Kastanien- oder die Kunst, loszulassen...........
» Kastanien- oder die Kunst, loszulassen...........
Ein indischer Weiser ging in sich versunken seines Weges. Am Straßenrand bemerkte er plötzlich einen Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er saß im Gras, seine Augen waren geschlossen. Die rechte Hand hielt er fest zugedrückt. Aus ihr lief Blut. Der Weise ging zu dem Mann und fragte, was mit ihm sei. Ob er sich an der Hand verletzt habe. Der Mann öffnete die Augen und blickte zu dem Weisen auf. Er klagte: „Es tut so weh. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr meine Hand schmerzt. Dieser Schmerz ist mein ständiger Begleiter, Tag für Tag, Stunde für Stunde muss ich ihn aushalten.“ Und er schloss wieder die Augen. „Laß mich Dir helfen“ sagte der Weise. Der andere öffnete wieder seine Augen und schaute ihn verständnislos an. Denn ihm war schließlich nicht zu helfen. Das Blut lief, der Schmerz war konstant, wie sollte ihm geholfen werden?. Da nahm der Weise vorsichtig die zugedrückte, blutende Hand in seine und öffnete sie. In ihr lag eine grüne, stachelige Kastanie. Die Stacheln hatten sich in das Fleisch der Hand gebohrt. Vorsichtig nahm der Weise die Kastanie aus der Hand des anderen und reinigte die Wunde. Schon bald hörte das Blut auf zu fließen und die Wunde konnte heilen. Diese Geschichte von der Kastanie finde ich immer wieder beeindruckend, wenn ich sie höre. Kastanien sind ja nicht nur diese grünen Früchte mit der stacheligen Schale. Kastanien können auch stachelige und schmerzhafte Worte sein, sie können Namen haben. Sie können ein Gesicht haben oder ein Datum. Der Weise hat dem Mann am Straßenrand einfach die Kastanie aus der Hand genommen. Die Wunde konnte heilen. Manchmal braucht man so einen Menschen, der den Mut hat, einem die Hand zu öffnen und die Kastanie vorsichtig zu entfernen. Es kann eine Freundin sein oder ein Verwandter, eine Pfarrerin oder ein Seelsorger. Es kann ein Arzt sein, ein Kind oder die Nachbarin.. Jemand,, der den urchristlichen Gedanken verfolgt, die Last des andern tragen zu wollen. Das Leid des anderen zu teilen, mit dem anderen Mitgefühl zu haben und nach eigenen Kräften dafür zu sorgen, dass die Wunden des anderen heilen. Das, sagt die Bibel, ist das Wesen der Nächstenliebe. Und die Nächstenliebe ist eines der größten Geschenke, die Menschen einander machen können. Der Mann in unserer Geschichte seinerseits hat sich helfen lassen. Er hat sich geöffnet. Er hat dem Weisen erlaubt, die Kastanie aus seiner Hand zu nehmen und damit losgelassen, was ihn schmerzt. Endgültig. Das ist nicht selbstverständlich. So merkwürdig es klingt - viele Menschen halten wie unter Zwang an ihren Schmerzen fest. Sie klammern sich zum Beispiel an eine Beziehung, die ihnen nicht gut tut. Sie halten an einem Arbeitsplatz fest, der krank macht. Oder sie trauern um einen Menschen, der schon lange tot ist. Das sind unnötige Schmerzen, weil sich diese Lebensverhältnisse ändern lassen. In solchen Fällen bleibt zu hoffen, dass diese Menschen jemanden finden, der ihnen die Hand öffnet und ihnen den Schmerz wegnimmt. Oder dass sie ihrerseits die Kraft und den Mut bekommen, ihre eigene Hand zu öffnen, um die Schale fallen zu lassen. Dass Menschen sich selber von dem trennen, was sie schmerzt. Denn ein Neuanfang ist möglich – jeder Zeit – auch mit Gottes Hilfe.
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Ich finde das ist ein guter Weg.
Los lassen was schmerzt!
Hema