Joan Anderson: Ein Jahr am Meer


Joan Anderson: Ein Jahr am Meer

Ich möchte hier ein Buch vorstellen und mit euch diskutieren, das mir vor ca. fünf Jahren zunächst im englischen Original begegnete (A Year by the Sea), das ich mir dann aber auch auf deutsch kaufte, um besser mit Freunden darüber reden zu können.
Es ist ein Buch über Selbstfindung und Emanzipation, aber auch über die Beziehung der Geschlechter miteinander, über Ehe und Liebe, ein ganz klein bisschen auch über Sexualität.

Meine ursprüngliche Faszination für dieses Buches kam durch die sanft fließende Sprache der Autorin im amerikanischen Original, die aber leider in der Übersetzung nicht voll ankommt. Aber darüber war es dann doch sehr schnell der Inhalt, der mich in den Bann zog. Ich bin ein Mann und Männer lesen selten Frauenbücher. Aber was diese Frau, Joan Anderson, über Männer sagt, über ihren "paddligen" Ehemann, über die Ehe mit ihm, das traf mich, das berührte mich, das rief mein Kopfnicken und meinen Protest hervor.

Ich habe noch keinen Plan für diesen Blog. Ich lege einfach mal los. Es soll aber keine Eintagsfliege sein, ein Blog ist ja eigentlich ein Tagebuch, in dem man zwar nicht unbedingt täglich, doch immer wieder notiert, was einem durch den Kopf geht. Ich habe einige Blogs im Internet zu Themen meiner Hobbys, insofern weiß ich, wie Blog geht. Aber dies ist ein völlig neues Terrain, hier kann ich nur experimentieren.

Aber das Buch von Joan Anderson ist - so meine ich - eine wunderbare Basis für Gespräche und Diskussionen über Frauen und Männer.

Genug der Vorrede. Gleich ein kurzes Zitat vom Anfang des Buches. Es fing damit an, dass ihr Mann mal wieder eine neue Stelle bekam und er ihr eröffnete, dass sie beide deshalb zum x-ten Male umziehen mussten. Das hatte Joan schon diverse Male murrend mitgemacht, diesmal riss ihr der Faden:

Ich hatte einfach weder Lust noch Energie dazu, mit ihm umzuziehen. Ein neues Leben anzufangen, an einem fremden Ort, wo wir doch hier schon nur noch nebeneinander her lebten, war zuviel für mich. Ich war selbst erstaunt, als ich mit der einzigen Alternative herausplatzte, die mir einfiel: mich in unser Häuschen auf Cape Cod zurückzuziehen und herauszufinden, was ich wirklich wollte. Meine Erstarrung, mein offenbarer Mangel an Mitgefühl beunruhigten mich, aber ich konnte nicht dagegen an.

Ihr Mann war so auf seine neue Position fokussiert, dass er ihre Entscheidung nicht wirklich begriff oder nicht richtig hinhörte. Sie lösten den Haushalt auf und Joan schrieb:

Als wir das Licht ausschalteten und uns auf die Matratze legten, die jetzt am Boden lag, weil wir das Bettgestell bereits verkauft hatten, ergriff mich Panik über mein weiteres Schicksal. Momente voller schöner Erinnerungen haben die Eigenschaft, alles andere auszulöschen. Ich drehte mich auf die Seite zu meinem Mann hin, legte meinen Arm um seine stattliche Mitte, voller Sehnsucht nach Ich-weiß-nicht-was. Diese vertraute Nähe würde mir fehlen, dachte ich, und kuschelte mich enger an ihn. Er bewegte sich und einen Moment lang glaubte ich, er würde sich auch umdrehen, etwas sagen, mich vielleicht in den Arm nehmen. Aber er schlief innerhalb von Sekunden ein und mir blieb nichts anderes übrig, als mich vom Rhythmus seines Atems einlullen zu lassen.

Das soll mal als Einleitung reichen, morgen schreibe ich mehr.
Till


8.2.2023

Ein wenig Hintergrund


Joan lebt in einer in die Jahre gekommenen Ehe. Irgendwann kommt die Zeit, wo man neben sich treten und die Dinge sozusagen von außen betrachten kann. Wieso habe ich eigentlich diesen Partner? Wieso bin ich noch mit ihm zusammen? Was ist jetzt anders als früher?

Ihr Mann hatte eine schwere Kindheit, stammte aus einer Alkoholikerfamilie und wurde in ein Internat gesteckt, das er hasste. Davon erzählte er ihr, als sie sich kennen lernten und sich ineinander verliebten. Und Joan fand, dass sie genau die Richtige war, diesen bedrückten melancholischen Mann zu lieben, zu hätscheln, ihn aus seiner Dunkelheit zu befreien. In der Paarpsychologie gibt es dafür den Ausdruck "Rettersyndrom".
Aber es war nicht immer leicht.

Zu oft verstand ich seine emotionale Verschlossenheit als Ablehnung und bettelte um seine Aufmerksamkeit. "Auch ich habe Bedürfnisse, weißt du?" widerholte ich dann, voller Hunger nach Nähe und Bestätigung." Er sah von dem Buch auf, das er las, und teilte mir mit: "Bedürfnisse sind ein Dach über dem Kopf und ein gefüllter Magen. Punkt."

Für Joan hieß Lieben nur Geben, Geben, Geben.  Und genau deswegen hatte sie sich "so einen" Mann gesucht. Aber mit der Zeit wurde es immer anstrengender.
Für mich bedeutete eine Beziehung Abenteuer, Spaß, Gemeinsamkeiten. Ich lud Freunde ein und veranstaltete Partys, in der Hoffnung, ihn damit anzuregen, aber meist zog er sich dann nur noch mehr in sich zurück.
Das war natürlich nicht so empathisch, wie sie sich einbildete. Man kann einem wasserscheuen Menschen seine Scheu nicht nehmen, indem man ihn ins Wasser schubst.

Am Morgen nach dieser letzten gemeinsamen Nacht auf der am Boden liegenden Matratze ging ihr Mann einfach zum fertig gepackten Auto, um zu seinem neuen fernen Job zu starten. Und Joan würde ab sofort in ihrem neuen Singleleben sein. Da brach es aus ihr heraus: "Ich kann es einfach nicht glauben, dass wir das tun." Ach nee, war seine logische Antwort, es war doch deine Idee. "Bis dann", sagte er noch mit Schmerz im Gesicht, und fuhr davon.

Es verblüffte mich, wie sehr mich dieser Abschied bedrückte. Vom Schmerz überwältigt fing sie an zu weinen, aber zwei Freundinnen, die informiert waren, kamen mit Themokannen voll Kaffee für ihre Reise nach Cape Cod.

Die Frauen, deren Ehen schon vor langer Zeit in Kälte, Wut und Gleichgültigkeit erstarrt waren, betrachteten mich mit sehnsüchtigen Blicken. Sie sagten, dass ich mutig sei und dass sie sich wünschten, sie hätten den Mumm, dasselbe zu tun, dass sie davon träumten, für sich selber einstehen zu können.

Ich lese das Buch jetzt zum dritten Mal, und beim drüber Schreiben fällt mir auf, dass mir der Name ihres Mannes gar nicht einfallen will. Ich blättere nochmal durch die Seiten, wo er vorkommt. Nichts. Immer nur "mein Mann".



9.2.23

Zweifel an der Richtigkeit


Die Autofahrt nach Cape Cod dauert ein paar Stunden und gerät zur emotionalen Achterbahnfahrt. War das richtig, was sie da getan hat? Der Leser erfährt, dass es nicht ihr erster Ausbruchsversuch war.

Ich hatte einige misslungene Versuche hinter mir, Zeiten, in denen ich aus einem Impuls heraus weggelaufen war, nur um zu erfahren, dass es den dramatischen Effekt verliert, wenn man es zu oft macht. Dieses Mal war es anders, es hatte etwas Monumentales. Ich hatte alle wichtigen Enden verknüpft, bevor ich die Flucht ergriff.

Zwischendurch macht sie das Radio an, hört Vivaldis Jahreszeiten, eine Musik, die sie gern beim Joggen gehört hat. Das passt gut, findet sie, sie läuft ja auf ein neues Leben zu. Dennoch lassen sich die Zweifel nicht wegwischen.

Es bleibt das Gefühl, etwas Unrechtes, sogar Ungehöriges getan zu haben. Derjenige, der den anderen verlässt, ist stets im Unrecht, während der Partner, der alles passiv hinnimmt, das ganze Mitgefühl bekommt. Den meisten Männern, ist mir aufgefallen, widerstrebt es, einfach zu gehen. Sie wollen zwar aus ihrer Ehe raus, aber sie drehen es so, dass die Frau den ersten Schritt unternimmt.

Hier muss ich das Resume von Joan Andersons Buch einmal kurz verlassen, denn dies ist eine der Stellen, die ich im ersten Eintrag in diesem Blog mit Protest vorangekündigt hatte. Die Formulierung "den meisten Männern widerstrebt es" ist kühn, die Aussage wird sich vermutlich auf drei, vier Männer gründen, die sie kennt. Ich kenne es genau umgekehrt. Dreimal in meinem Leben hat sich meine jeweilige Partnerin jahrelang so verhalten, dass ich schließlich gehen musste. Und jede behauptete, verlassen worden zu sein.

Zurück zu Joan Anderson auf der Fahrt zum Cape Cod.

Weiterhin begleiten mich diese negativen Stimmen, die mir vorwerfen, ich sei ein verwöhntes Gör. Schließlich hat mein Mann mich nie geschlagen, hat mich nie als Miststück beschimpft, und jetzt wirkt er so verloren.

Auf der deutschen Amazonseite gibt es nur wenige Bewertungen und Kommentare zu diesem Buch, auf der amerikanischen hingegen unzählige. Und es sind einige dabei, in denen der Autorin tatsächlich – zumeist von Frauen – vorgeworfen wird, ein verwöhntes Gör zu sein. Wenn ich auch so regelmäßig meine Tantiemen als Autorin bekäme, könnte ich das auch, schrieb eine.  Und wenn Joan über die Enge und den geringen Komfort in ihrem Cottage klagt, wird das Jammern auf hohem Niveau genannt. Dazu muss man wissen, dass Cape Cod in den Staaten das ist, was wir in Deutschland mit Sylt verbinden: ein kuscheliges Plätzchen für die Wohlhabenden.

Dann plötzlich sieht Joan das Schild einer bestimmten Ausfahrt und reißt in letzter Sekunde das Steuer herum, um abzufahren. Hier kommt eine Stelle, die mit ihrer gemeinsamen Geschichte zu tun hat.

Ich biege in die Trinity Street ein und sehe die Schauspielschule vor mir, mit den gleichen grellroten Tüen wie früher, und gleich daneben das Gässchen, in dem wir immer geknutscht hatten. Ein junges Pärchen lehnt an der Mauer und tut genau das. Ich fahre um den Block und entdecke das runtergekommene Haus, in dem ich im Untergeschoss eine Wohnung hatte und wir mit fliegenden Händen aneinander herumfummelten, ohne uns sehr viel weiter vorzuwagen.

Sie sucht noch weitere nostalgische Plätze auf, stellt dann aber fest:

Nur fällt mir plötzlich ein, dass er weglief, als unsere Beziehung ernst zu werden begann. Vielleicht hätte ich ihn gehen lassen sollen, aber ich war entschlossen, mir einen Ehemann zu angeln, und er war der aussichtsreichste Kandidat.
Ein Auto hinter mir hupt, weil ich nicht gleich bei grün losgefahren bin.

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Immer wieder mal reinschauen, weil ich das laufend aktualisiere.
Gerne auch Kommentare

Grüße
Till





 


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