JEDEM SEINS!
Ein „Frühsommer-Feeling“

Frisch und voller Energie tritt der Jogger seinen Trainingslauf an. Er stellt die Musik seiner Kopfhörer lauter, biegt in den schmalen Waldweg ein, richtet den Blick nach unten - keine der tückischen Baumwurzeln darf ihm jetzt entgehen - seine Knöchel würden das nicht verzeihen.
Als der Weg den Wald verlässt und breiter wird, sich weit sichtbar zwischen den Wiesen schlängelt, nimmt er die Strecke ins Visier, konzentriert sich auf Musik und Lauf, auf sein erhöhtes Tempo, auf das perfekte Zusammenspiel von Muskeln und Sehnen. Nimmt er die Ohrstöpsel während des Laufs raus, kann er seinen Atem, sein laut und kräftig schlagendes Herz hören – eine perfekte Sache.
Hundert Meter vor ihm sieht er einen Menschen mit Hund spazieren; sie rangeln ausgelassen um einen Stock. Unmut breitet sich im Jogger aus. Er will seinen Lauf nicht unterbrechen und schreit dem Menschen in den Rücken „den Köter an die Leine!“ Mensch und Hund zucken erschreckt zusammen, waren sie doch so vertieft in ihr Spiel und hörten ihn nicht herannahen.
Der Hund möchte aufmucken und ist schon unterwegs zum Jogger. Doch sein Mensch, von schlechtem Gewissen geplagt, versucht es mit einem entschuldigenden Lächeln, einigen Rechtfertigungsversuchen, während er barsch den Hund zu sich ruft. Er greift in das Halsband des verunsicherten Hundes, zieht ihn eng zu sich heran - schon muss der Jogger nicht mehr auf der Stelle treten und kann endlich passieren. „Geht doch!“, murrt er und setzt seinen Lauf stramm fort.
Doch zu früh lässt der Mensch den Hund wieder los: Hinter ihm taucht ein Schwarm Radfahrer auf, die ihre Geschwindigkeit wegen der vor ihnen gehenden Belästigung nur ungern drosseln wollen.
Sie richten ihre Oberkörper auf, stemmen die Arme in die Seiten, läuten den Bremsvorgang ein - schnell bringt noch einer der Biker seinen Schnauzer in Form – und der Mensch mit Hund wird mit Geklingel, einigen Flüchen und hektischen Armbewegungen rigoros in das Buschwerk neben dem Gehweg gescheucht. Schon ist die Bahn wieder frei, die behelmten Köpfe werden gesenkt, die Rücken sind wieder rund und die Augen fixieren den Weg - jetzt aber in die Pedale getreten, die unnötige Unterbrechung hat Zeit gestohlen ...
Mensch und Hund rappeln sich aus dem Gebüsch. Trotz der Zurechtweisung freut sich der Mensch ein bisschen: hat die vorbeirauschende Riege doch einen versteckt sitzenden Fasan aufgescheucht, der empört und laut kollernd aufflattert. Ein wirklich guter Flieger ist er allerdings nicht; vor allem der Start schafft oft Probleme – doch nach kleinen Anfangsschwierigkeiten zieht er mit breit gefächerten Schwingen hoch und sein prächtig gefärbtes Gefieder mit den langen Schwanzfedern glänzt dabei wie irisierend im Licht - ein wahrer Augenschmaus für den Menschen! Einige Meter weiter lässt sich der Fasan im dichten Strauchwerk vor einem Buchenhain nieder, mault wegen der unliebsamen Störung noch ein bisschen nach; doch dann beherrscht wieder vielstimmiges Gezwitscher die sich wie flüssige Seide anfühlende Luft.
Der Mensch lächelt entzückt. Der Hund jedoch erkennt nach kurzem Jagdansatz die Sinnlosigkeit seines Unterfangens - er kann nicht fliegen und eine Suche in dem dichten Gebüsch ist ihm jetzt zu mühsam.
Er holt sich ein neues Stöckchen herbei, wirft es geübt wie ein Tambourmajor in die Luft und bringt es seinem Menschen; sie spielen wieder, und ein Bausch Sommerwind schickt dem Menschen eine Prise würzigen Duftes nach frischem Blattgrün um die Nase.
Der Jogger ist schneller als die beiden unterwegs. Er kommt ihnen von vorne entgegen, worauf sie devot ein paar Meter in die angrenzenden Wiesen hüpfen. Der Hund erinnert sich offenbar an den vorangegangenen Zwist, an den strafenden Blick seines Herrn - er beschließt deshalb den Jogger zu ignorieren. Genüsslich wirft er sich stattdessen ins Gras und lässt sich den Rücken massieren: Er räkelt, dreht sich und stößt ein paar jauchzende Seufzer aus - der Mensch hingegen achtet auf die den Wegrand säumenden Wegwarten mit ihren filigranen blauen Blüten, er will sie nicht versehentlich zertreten „wie verzauberte Elfen“, denkt er dabei.
Schnaufend und prustend zieht der Jogger vorbei, ohne die beiden eines Blickes zu würdigen. Er spuckt in die Wiese auf der anderen Seite; vielleicht will er zeigen was für eine gewaltige Leistung er hier soeben erbringt: Der Schweiß rinnt ihm von der Stirn, die Haare sind verklebt und sein Lauf ist nicht mehr so elastisch wie noch zu Anfang seiner Rundtour. Sein Kopf glüht, auf seinem T-Shirt breiten sich große dunkle Flecken aus, und aus seinen Kopfhörern tönt blechern die Musik am Menschen mit Hund vorbei. „Das sieht arg nach Arbeit aus ...“, denkt sich der in der Wiese stehende Mensch.
Mensch und Hund setzen ihren Weg fort. Der Mensch beobachtet einige aufsteigende Lerchen, hört, wie sie sich zwitschernd und trällernd in dieses schier endlos wirkende Blau schrauben. Das Vergnügen dauert jedoch nur kurz, ein Bussard gleitet sanft in die Höhe. Die Lerchen, erschreckt über diesen Vorgang, stürzen erschreckt, tonlos und kopfüber zurück in die Wiesen. Der Bussard hat jetzt Lufthoheit, schwebt wie schwerelos in den Höhen und zementiert seine Alleinstellung durch einen weit über das Land tragenden Ruf.
Der Mensch dehnt sich kräftig durch, kriegt bei geöffnetem Mund eine ordentliche Ladung vom süßlich herben Duft des blühenden Grases mit seinen bunten Blüten ab, und eine Hummel kreuzt brummend sein Gesichtsfeld. Er freut sich über den klaren Gesang der Amseln, dem wie fordernd wirkenden Pfeifen der Buchfinken, und hört dem verwirrenden Getriller einer Nachtigall zu. Aus den Augenwinkeln sieht er gerade noch wie einige Rehe ihre eleganten Hälse mit den aufgerichteten Ohren aus dem Gras recken, ihre dunklen Augen auf ihn und den Hund richten - um sofort mit geschmeidigen Sätzen im angrenzenden Buchenhain zu verschwinden.
Irgendwo in den Weiten der Wälder ertönt schwach der Ruf eines Kuckuck - der Hund rennt vorneweg und jagt eine gläsern schillernde, Haken schlagende Libelle. Sie macht sich ein Spiel aus der Hatz mit dem Hund; jedenfalls bleibt völlig unklar, wer hier wen jagt ...
„JEDEM SEINS! – Was kann das Leben doch für ein Genuss sein!“, denkt sich der Mensch schmunzelnd, und überaus gelassen spazieren sie weiter …
© Elenore May


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Kommentare (8)

werderanerin ELBWOLF !!!
indeed Ich mag die im Detail beschriebenen Momentaufnahmen der Natur und die hierin eingebundenen drei "Gruppen" der Aktivisten. Deine Geschichte fokussiert das Miteinander einer jeden "Gruppe" und lässt fehlende Toleranz vermissen seitens aller.
Fast habe ich den Eindruck, am besten weiß Hund was zu tun und zu lassen ist (lach).

Gut gelungen, wäre aber etwas leichter zu lesen, wenn du zwischen den einzelnen Absätzen eine Leerzeile geschrieben hättest. Bitte nicht böse sein, ist nur mein Empfinden.

Es grüßt dich mit Dank
indeed
omasigi wirklich gute Schilderung gelungen, was so alles vorbei kommt, wenn man mit seinem Hund unterwegs ist.
Man sieht, der Jogger müsste sein Training nicht so tierisch ernst nehmen.
Die Radfahrer wollten ungebremst durch die Natur radeln.
Die Natur war neben Sache. Aber jeder machte das Seine nach seinen Bedürfnisse.
Fuer mich eine Geschichte zum Nachdenken.

omasigi
omasigi in Buchenwald stand:
Jedem das Seine
suum cuique

soweit zu EWO
ehemaliges Mitglied ... weißt Du, wo Deine Überschrift einst gestanden hat? Über dem Eingangstor von ... Buchenwald!
Manche "Formel" verwendet man einfach nicht mehr, aus Pietät.
elbwolf
Elenore Vielen Dank für die Kommentare - hat mich gefreut, wenn ich Euch erfreuen durfte ...
Elenore
werderanerin ja, so sollte es zumindest sein..., aber Jeder versteht wohl etwas anderes unter "wohltuend, entspannend" und das sollte man auch respektieren.
Manchmal nur könnte ein höflicheres Miteinander gut tun, denn niemand hat irgendwo "Vorrang".

Wir sind auch leidenschaftliche Radler und genießen es, durch die Natur zu radeln, wenn man genau hinschaut oder hinhört, fallen einem die wirklich schönen Dinge erst richtig auf.
Na klar, haben auch keine Ohrhörer in den Ohren..., aber auch das ist "Jedem Seins" !

Ein faires Miteinander wäre nicht nur bei einem Waldspaziergang wünschenswert !!!
lillii dem Menschen auf seinem Spaziergang begegnen durfte.
Die Gelassenheit müsste man haben...
Du hast es sehr anschaulich geschildert, ich bin nebenher spaziert und ins Gras gehüpft bei dem störenden Jogger und den pöbelnden Radfahrern. Schön geschrieben....

lieben Gruß lillii

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