In die Jahre gekommen?


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Ein Tagebuch



06.Juli 2oo9
Es ist wieder so eine Sommersonntagmorgen. So einer, wie ich ihn liebe, wie ich lausche auf die Stille, auf das leise wispern in den Blättern der Eiche neben meinem Balkon.
Als ich vor neun Jahren hier einzog, konnte von oben herabsehen auf das kleine Bäumchen. Nun ragen seine Äste schon bis über den Balkon über mir.
Ja mein Balkon. Nie habe ich so schön gewohnt: Unter mir die weite grüne Wiese, auf deren Gräsern jetzt um 7,30 Uhr Milliarden Tautröpfchen wie Diamanten in der Sonne glitzern. Auf der rechten Seite ist die Wiese begrenzt von einem kleinen Wald mit sehr hohen ernsten Tannen, dazwischen ein Haselstrauch, ein Holunderbusch und zwei Birken, die hell und freundlich hindurch leuchten. Und ganz hinten ragt eine riesige Eiche ihre Äste, in die Breite und in die Höhe. als wolle sie alles um sie her umarmen und beschützen.
In etwa hundert Meter Entfernung winken einige weiß gestrichene, gemütlich aussehende Häuser mit ihren roten Dächern. Wenn ich nach links schaue, glänzt golden ein großes Gestenfeld. Schon bald wird es gemäht sein.
In einiger Entfernung steht grün und hoch der Lärmschutzwall neben der Autobahn. Und rüber schaue ich wieder Grün, Grün, Grün, das bis an den silbrigen Horizont reicht. Der Himmel über mir aber strahlt in einem so märchenhaft reinem Seidenblau. So azurn und so hoch! Flugzeuge haben einige weiße Kondensstreifen in das Blau gemalt, die aber schnell in Nichts vergehen unter der Sommersonne.
Ich sitze hier, habe gerade mein Frühstück beendet. Die Vögel zwitschern wieder laut. Ihre erste Brut ist schon ausgeflogen. Drosseln, Meisen und andere sind dabei, den nächsten Nachwuchs zu planen.
Ich bin glücklich, fühle mich gut, habe den Kopf voller Pläne, was ich alles tun sollte und möchte, und weiß doch, dass ich nicht die Hälfte davon in die Tat umsetzen werde.
Es liegt daran (weiß ich), dass meine Tage immer kürzer zu werden scheinen. Ich weiß auch, dass meine Kräfte nicht mehr die gleichen sind, wie noch vor 4-5 Jahren.
Was ich früher mit Tempo und mit Vollgas erledigt habe, mache ich jetzt gemütlich im zweiten Gang. Und ich fahre gut damit! Ich nehme wir Zeit, Dinge die erledigt werden müssen, erst einmal anzuschauen, um sie dann, (falls sich manches nicht schon von allein erledigt hat) mit Kraft und Mut
anzugehen.
Schließlich bin ich sechsundsiebzig, sehe, wenn ich mich hübsch mache, aus wir sechsundsechzig und fühle mich auch so. Wieder. Denn nach der Krebsoperation voriges Jahr konnte ich mich gut erholen. Ich bin unendlich dankbar für mein neues Leben und fühle mich gesund. Ich weiß, das bleibt nicht so. Aber dann wird man sehen....
Oh, ich bin nicht einverstanden, dass mein Bauchumfang von 68 auf 80 angewachsen ist. Das ärgert mich. Aber anstatt intensiv Gymnastik und Sport zu treiben, sehe ich mir bescheuerte Fernsehserien an!
Nein, nicht immer. Gestern bin ich trotz Hitze (26) fast drei Stunden gelaufen. Nein, nicht gejoggt, trotzdem war ich erschöpft. Aber mein Bauch fühle sich noch dicker an, als vorher.
Gott sei Dank kann ich noch gut laufen, nicht rennen, aber flott gehen.
Und was mir auffällt: ich bin immer allein unterwegs. Treffe nie einen Menschen, höchstens mal jemand mit Hund. Ich gehe allerdings am liebsten am Vormittag, so zwischen zehn und zwölf Uhr. Da stehen die ordentlichen Hausfrauen am Herd oder putzen ihre Wohnung. Ich mache solche Dinge nur noch, wenn mir danach ist.
Aber eine Freundin, ein Mensch, der oder die meine Interessen teilt, mit mir redet, durch die Natur läuft, vielleicht auch viel liest, Verse schmiedet, sich für Politik und alle Welt interessiert, so ein Mensch fehlt mir.
Ich bin nicht einsam. Ich habe Geschwister, Kinder, Freundinnen. Gehe zur Gymnastik, zum Kegeln, hin und wieder ins Theater (aber das ist manchmal wirklich zum Abgewöhnen!)
Die netten, liebenswerten Frauen, mit denen ich mich regelmäßig treffe, können nicht mehr laufen, lesen außer vielleicht einem Groschenroman nichts, sind nicht interessiert an den Dingen, die mich beschäftigen. Alle vierzehn Tage treffen wir uns und sie sind so zufrieden, ihren Schmuck zur Schau zu tragen, sich über ihre und die Krankheiten anderer Leute zu reden und ein schönes Stück Torte zu essen. Mag ich ja auch, zugegeben, ich genieße die Stunden mit ihnen. Ich kenne sie seit über zwanzig Jahren und sie sind wirklich liebe Menschen.
Es ist nun mal so, das die über siebzig Jährigen alle gesundheitliche Mängel haben. Aber muss da ständig drüber geredet werden?
Das Leben ist schön, trotz Einschränkungen, und es ist einmalig.
Ich weiß, dass es nicht so bleibt und deshalb genieße ich jeden, und besonders so einen makellosen, wundervollen, sonnigen Sonntagmorgen wie heute.

27. Januar 2010
Eigentlich wollte ich Garnichts mehr aufschreiben. Doch es hat sich so viel ereignet Mein Schwager ist an Bauchspeichelkrebs gestorben. Alle haben wir ihn geliebt. Er war ein so guter, hilfsbereiter Mensch.
Im August war ich zur Reha in Badenweiler. Eine schöne, direkt am Wald gelegene Klinik. Ich war erleichtert, dass nicht nur Krebspatienten dort waren, sondern eine Mischung aus allen möglichen Wehwehchen. Abends konnten wir gemütlich plaudernd auf der großen Terrasse sitzen, eine Weinschorle oder ein Bier trinken, und ich habe sogar wieder einmal getanzt. Und der Wald und Spaziergänge durch einen Weinberg haben mir sehr gut getan.
Gleich am zweiten Abend geschah etwas, was ich nicht mehr für möglich gehalten hatte: Ein gut aussehender Mann, zehn Jahre jünger als ich, (ich habe natürlich nicht gesagt, wie alt ich bin!) war ein bisschen verliebt in mich. Ich konnte es kaum fassen, dieses Kribbeln in meinem Alter noch einmal zu spüren? Nach fünf Tagen reiste er ab und kam mich noch einmal besuchen, weil er in Kontakt mit mir bleiben wollte. Wir sind spazieren
wieder abfuhr, war ich erleichtert. Er wollte mir zu nahe kommen. Das wollte ich aber nicht. Nein, auf keinen Fall. Abends in meinem Zimmer habe ich dieses Gedicht geschrieben:

Liebe im Alter?

Still sehnt sie sich nach Liebe,
doch fürchtet sie sich sehr,
denn siegen erst die Triebe,
gibt`s keine Freiheit mehr.

Ein Freund zu sein, platonisch,
das lehnen Männer ab.
Sie äußern sich ironisch,
sie ständ` schon halb im Grab.

Alle Sehnsucht ist vergebens,
drum will sie lieber ganz allein,
im Herbste ihres Lebens,
nicht einsam, aber Single sein.

Später habe ich gelacht, denn ich wusste, ich hatte ja alles, mein Leben war reich gewesen: Liebe, Arbeit, Kinder. Ein zweiter Anlauf mit einem neuen Partner ging schief.
Nun, dieser besagte Kurschatten erzählte stolz von seinen vielen Kindern und Enkeln. Seite 28 Jahren wäre er Witwer. Hat seine Kinder allein großgezogen. Aber er hat es mehr als zwanzig Jahre nicht fertig gebracht, eine neue Verbindung einzugehen? Ohne Frauen hat er nicht gelebt, davon bin ich überzeugt. Hier und da eine? Ja sicher, das war es. Jedenfalls bin ich froh, dass 500 Kilometer zwischen uns sind. Er wurde mir einfach zu anhänglich. Und verreisen würde er auch nicht, hat er gesagt. Als sparsamer Schwabe hat er zwei Mietshäuser zu versorgen und Zeit zum Lesen hätte er kaum. Aber Tanzen kann er gut! Na also! Er sucht sich schon seine Schätzchen.
Das war also eine kurze Episode. Gut so. Denn im Herbst wurde ich sehr Krank. Eine Grippe und eine Gürtelrose, die mich wie ein Blitzeinschlag getroffen hat, haben mir das Leben ganz schön vermiest. Die Sache mit dem Brustkrebs habe ich eigentlich ohne Schwierigkeiten verkraftet, aber die Gürtelrose ist teuflisch und setzt mir immer noch sehr zu.
Meine Kinder mit Anhang (im ganzen neunzehn) waren am 4. Advent bei mir. Es war schön, alle beieinander zu sehen. Es war sehr nett und harmonisch.
rokatei

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Kommentare (3)

Roxanna mitfühlend und mit großem Interesse habe ich eben gelesen, was du über dein Leben aufgeschrieben hast. Es berührt mich, wie du dein Leben zu dem damaligen Zeitpunkt gemeistert und auch genossen hast trotz der gesundheitlichen Probleme. Das wirkt so gelassen und als hättest du gut für dich gesorgt und auf dich geachtet. Gerne würde ich mehr von dir lesen, es hilft "Vorbilder" zu haben.

Herzliche Grüße
Roxanna
Vivit Ich hoffe sehr, es gibt ihn noch für Dich ..... diesen so schönen Sommersonntagmorgen, wie Du ihn beschrieben hast.

Beste Grüße von
Vivit
mygeneration38 weist du wie ich dich gesucht habe
das halbe Internet habe ich durchforstetwann verhunzen wir gemeinsam ein märchen so richtig mit Fortsetzungen und nun warst du da und mein Internet war so schwach dass ich dich nicht aufrufen konnteich schike dir einen Linknmit meinem verhunzten Dornröschen
aber zuerst meine mailadresse; sonnenblume1938qgmx.net

Dornröschen heute

sei so lieb und melde dich deine evi

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