In der Hoch-Provence
Auf "La Grange"
Bald fahren wir wieder hin; zum dritten Mal, in "Die Scheune"!
Zwar nur für einige Tage, aber mindestens eine Woche. Viellelicht hängen wir gleich zwei Jahr dran..!
Wir werden dort unser Zelt aufschlagen, unser Zweimannzelt. Letztens, als wir noch mit unseren Kinder dort Ferien machten, ganz nördlich in der Provence, war es unser letzter Familienurlaub - für etliche Jahre, schätze ich; auf das Großeltern-Arrangement mit geliebten, stinkenden Quäkerchen kann ich mich noch nicht freuen.
Wir haben dort - wo, fragen Sie? - davon später, eigentlich ist es belanglos, und uneigentlich werde ich nicht verraten, wo es diesen zum Ferienparadies umgebauten Bauernhof gibt, "La Grange" nennt sie der Patron, echter, niederrheinischer Landadel - nein, Adel doch nicht, nicht des Geblüts halber, aber des markanten Kopfes und der Bildung schon, halb der "Tolle Bomberg", "Pitt Stäckrüw", "de blaue Löll" - Originale einer Kleinstadt am Niederrhein.
Auch heißt er nicht Jupp oder Joseph, aber meinetwegen immerhin Wilhelm; er erbaut sich zur Zeit einen Turm, vier, fast fünf m im Durchmesser; zwei Stockwerke hatte er vorigen Sommer schon gesetzt und gerüstet, die Innenmauern hochgezogen und dessen Außenwand, sozusagen, was „deutsch“ der Verblender wäre, eine sauber verfugte, umlaufende Flaschenarchitektur ist, nicht als Schönwetter-Schnörkelei, so mal eintausend Fläschchen; nein, vom Fundament bis unters Gesims: Flaschen über Flaschen, Flaschen unter Flaschen. Übern Daumen geschätzt: 48000! Leere natürlich, genossene, ausgetrunkene in etlichen Jahren, mit und ohne Freunde. Ein Alkoholiker der Mann? Oder zumindest ein workaholic? Partout nicht; im Juni 90, als nur die Rheinländer mit (Kindern) so früh auf den kultusministeriell festgelegten Sommerferientrip losgelassen waren, trank er zwei Wochen keinen Tropfen - und die Mauer wuchs trotzdem, vom Vorrat der unvermauerten Flaschen.
Die Flaschenarchitektur hat er später aufgegeben, auf Protest seiner jungen Frau hin. Jetzt werden Glas und Blech entsorgt im nächstgelegenen Container, in Beaufort.
Wo, fragen Sie sich? Also, Beaufort sur Gervanne. Ja, von da müssen Sie noch weiter. Gute Fahrt! - Mehr wird nicht verraten.
Wissen Sie noch: in der Frankfurter Rundschau wurde vor 20 Jahren das schöne Fermentera gepriesen, als idyllisch, als paradiesisch, als arkanisch, als arkadisch – noch was? (Vielleicht vergaß ich was…!)
Ah, es hieß: „Formentera“? Na, dann setzte dort eben der unaufhaltsame Tourismus der Weichen, der Reichen, der Teichen, der Bleichen ein, der Paradies-Schleicher… Und was schrieb ein fleißiger FR-Korrespondent heuer: alles versaut, alles touristisch erschlossen; es lohnt nicht mehr, diese dumme, ausgelaugte Welt!
Ach, wie sehne ich mich nach solchen Textchen?
Unsere liebliche, schnuckelkleine Insel Formentera, mit einer seligen Oberfläche von etwa 90 km² und einer Einwohnerzahl von 5.200, liegt 10,56781 Seemeilen vor der Süd-Ost-Küste des Eilands Ibiza.
Herrlich: Von praktisch jedem Punkt der Trauminsel aus kann man das Meer sehen, und es gibt herrliche Strände und versteckte Buchten, einige mit einzigartig königlichen Grotten und Gröttchen.
Und erst sie: Unsere abgelegene Isla Espalmador ist das Ausflugsziel für den Yachtie schlechthin! Dort trifft sich Gott mit dem Papst, wenn er nicht nach Roma kommen will. Der Spiritus Sanctus haust dort in der Grotte „Pitiusa“, bevor er zu einer neuen Eroberung der „Unbefleckten Empfängnis“ aufbricht.
Das ganze Jahr über segnet sich die Insel mit frühlingshaftem Klima, die prangend reiche Vegetation mit den im Mittelmeerraum typischen Pinien ebenso wie mit seltensten Palmen und die Ruhe und Abgeschiedenheit von unserer lauten Welt machen Formentera zu einem wahren Paradies für Menschlein, Hundchen und niedliche Mädchen.
Hier schrieb Albert Einstein (der deutsche Physiker und Nobelpreisträger und der bedeutendste Jude der Weltgeschichte): "Manche Männer bemühen sich lebenslang, das Wesen einer Frau zu verstehen. Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen, z.B. der Relativitätstheorie. Oder der Wassertemperatur auf Formentera."
So soll es dort nicht überall ablaufen, wo es noch schön und wohlfeil und gastfreundlich ist. Also keine Werbung für dieses kleine, abgelegene Paradies.
Ach, ist das wichtig?
Ja, die hübsche, private Einsiedelei firmiert nirgends.
Nur Freunde empfehlen sie Freunden.
Und ich...?
Ach, nein - Lassen Sie sich mal ablenken; mir ist gerade was anderes wichtiger, was ich Ihnen ungefragt beantworten will:
Ach, das gefällt mir aber.
Ja, schön, hören Sie erst mal zu; das hilft:
Schon seit fünfzehn Jahren jagt der Hausherr selber nicht mehr. Er hat an den betreffenden Zufahrten Verbotsschilder aufgestellt und sich dem Clinch der anliegenden Jagdpächter gestellt, die sauer sind, wenn sich das aufgescheuchte Wild ins umfriedete Revier zurückzieht, und mit Schadensersatzforderungen drohten.
Aber wie war das mit dem Siebenschläfer? Nun, gut: Der hat so schöne Knopfaugen, einen dicken, buschigen Schwanz - mal langsam, Sie haben meine Frau doch schwärmen gehört, von diesen wuscheligen, braunen Putzis, die da die Grenze zwischen Freiland und Haus, evolutiv den Zustand zwischen Feld- und Haustier überschreiten. Verstehen Sie? Hier scheinen sich die Vorteile der Domestikation durch den Menschen auszuzahlen für eine weitere Tierart. Haben Sie schon das Foto des Tieres in dem Käfig gesehen? Die Dias sind immer noch nicht fertig. Irgendeiner hat keine Lust daran, dass sie fertig werden. Oder?
Erst einmal das Allgemeine! Unser Haus, als früherer Schafstall, na-tier-lich Bergerie genannt, liegt abseits vom Haupthaus. 15 Minuten zu Fuß; fast so lange dauerte es mit dem Wagen, mit den Koffern, Klamotten und Kindern drin. Voller „Passat“ in schönster Windstille segelt quer am Hang in das nächste Tal, das Tal der Schmetterlinge, hauptsächlich des Schachbrettfalters. Weil wir so langsam fahren mussten, kurvten und auch mal zurücksetzten, verstehste; Gegenverkehr nur möglich an zwei Stellen, wo einer am anderen vorbeirutschen muß. Rechts ging’s 5o/8o m hoch, links gähnten die struppig bewachsenen Abgründe; die Sicht abwärts gemildert von freundlich buschiger Natur, frech-besenhaftem Ginster, gemütlich-schattigem Holunder, Weißdorn – und nochmals Weißdron; alles schon abgeblüht, von langbeinigen Birken, Heckenwälle aus Rotdorn und Holunder. Dem Duft kann ich ganzjährig nachhängen; da braucht's keine Blütezeit mehr für meine Gehirnnase. Der Weg sandig, teils geschottert, leidlich in Schuß. Die letzten Gewitterregen sind durch schräg angelegte Querrinnen aus Holzröhren optimal abgelaufen, ohne zu große Erosion. Der Patron, also der Wilhelm, wie man ihn schon nach einigen Stunden nennen darf, weil es einem vorgesagt wird, der Wilhelm hatte solche Sachen auf dem Hof, in den Gasthäusern und längs der Wege prima im Handgriff. Er ist schon 3o Jahre in Frankreich, hat den Bergbauernhof für 15ooo Francs (alte, klar! verstehen Sie?) damals gekauft, als er für seine Familie ein Feriendomizil suchte.
Was haben der Gewitterregen, die dickwandig kühle, weißgekälkte Bergerie, oder auch der Siebenschläfer mit der Familie, Schulte-Berking will ich sie nennen, zu tun?
Viel, die haben wir zwar nicht mitgebucht, als wir 14 Tage La de Grange gemietet haben, aber wir hatten eben familiären Kontakt mit dem Patron und seiner Frau. Wer ihn (oder sie ) nicht sehen will, kann sich ja anders benehmen, Platz zum Weggucken oder Wandern oder Sich-anders-Benehmen ist genügend da. Ferien, und gleich wieder Nähe zu jemandem - muß ja nicht sein. Aber muß auch nicht nicht sein, für uns jedenfalls.
Das ergibt sich, zwangsläufig nennt man das, ohne zu überlegen, ist aber gar kein Zwang; siehe diesen Siebenschläfer im Haus, denke Sie es so: Wir kamen in unser Häuschen, nach ungefähr 1000 km Anfahrt, die geschmackssicher aufgemöbelte, für die Schlafräume und für den Küchen- und Gemütlichkeitsbereich optimal eingerichtete Bergerie, mit allen Vorzügen eines auch im prallsten Sonnenstand dickmaurigen, kühlen Hauses mit kleinen Fenstern. Und mussten feststellen, es gibt hier keinen Strom. Die Kinder hatten das gehört, als wir über Mundpropaganda von diesem Haus hörten, uns nur noch näher bei Freunden informierten, uns den handgestrickten Hausprospekt bestellten und telefonisch uns anmeldeten. Ich jedenfalls wusste nicht, dass wir Ferien ohne elektrischen Strom gebucht hatten.
Und wie kommt man da klar? Abends im Bett lesen, mit der Handfunzel, wie in Internatszeiten? Und Essen kochen, die Frauen wollen sich föhnen und naß rasieren kann ich mich gar nicht!
Klar, Gas hatten wir, für Heißwasser, Kühlschrank -
Kühlschrank? Ja, Gaskühlschrank - doch davon später, ein Abenteuer für sich. Und noch einen Gas-Föhn, was? Soll es zwar geben, für Campingzwecke. Aber Eva legte sich zum Föhnen draußen auf ein Badetuch und sonnte sich dort gleich vom Scheitel bis zur Zeh, nackig, weil wir wirklich abseits lagen. Kathrin hat das fotografiert. Und ich rasierte mich drei Wochen lang nicht, und danach auch zwei Jahre nicht mehr.
Also, die Energieprobleme schienen gelöst, ohne vom französischen Atomstromnetz abhängig zu sein. Der Rest ist dann Routine: z.B. die Petroleumlampen für die Schlafzimmer.
Den Siebenschläfer haben sie vergessen.
Ach, ja, er gehört zu den Schlamfäusen. Was? Bitte? Den Schlafmäusen. Der Verwandte, der Gartenschläfer, macht in Süddeutschland gerade die von tierlieben Menschen geförderte Umstellung aufs träge, rund um die Uhr gefütterte, ziemlich charakterlose Haustier mit.
Das hatten wir schon. Aber unser Siebenschläfer war anders.
Also, Wilhelm hatte uns im Schlafraum auf einen länglichen Holzkasten hingewiesen, der neben dem Bett stand, ohne zu warten, bis wir ihn entdeckten,
"Für die Siebenschläfer, die wir im Haus haben!"
Wir kucken ihn groß an. "Sieben-Was?" Will er die Tiere aussetzen, zum possierlichen Spiel mit unseren kleinen Menschlein?
Die Falle funktioniere so; er fummelt etwas an diesem rechteckigen Kasten, der auf der einen Schmalseite offen, mit einem Pendelbrettchen, auf der anderen aber fest vergittert ist.
"Die sind nachtaktiv. Und können da schön poltern wie zu Karneval. Besonders die Weibchen mit ihren Jungen. Possierlich, sehr neugierig, und lästig, wenn die spielen wollen: Mama, der Kindergarten im Schuppen hat heute dicht, die dicke Tante Trude kommt nicht aus dem Bett. Jetzt spielen wir Vorhangschaukeln in den Röcken der angereisten Madame."
Wir schlucken. Eva legt einen Anorak aufs Bett, den sie in den schon geöffneten Schrank hängen wollte.
"Da gehen die jungen Biester gerne in die aufgestellte Falle, hier mit den Nüssen als Köder; wenn die so toben, bis Mama wieder zurück ist mit einem Maulwurf oder einer Wühlmaus." Alte Männlein, die seien ruhiger, hielten ihr Revier sauber, auch von Nebenbuhlern, beißen auch die Weibchen weg, diese alten sind sozusagen pensioniert, beamtete Oberlehrer, fuchsteufelswild, wenn sie ihr Revier verteidigen müssen.
Wir hatten tatsächlich einen (oder gar zwei?) Siebenschläfer. In den zwei ersten Nächten war nichts zu hören. Tobias entdeckte zuerst was Handfestes, nicht uns Gehöriges: Köttelchen in der Küche auf dem Tisch, auf der Fensterbank und hinter dem Gaskühlschrank; es war ihm also dort nicht zu heiß. Ein Zuckerarmband zerbissen.
Und, da, Kathrin ruft durchs Haus: "Auf meinem Kopfkissen, ih!" als wir von einer Tagestour aus Valence zurückkommen.
Da haben wir die Falle aus dem Schlafraum in die Küche geschleppt. Und mit den süßesten buntesten, geschmacklosesten Zuckerkringeln von einer Kirmes garniert, die so süß waren, dass unsere Kinder nach dem ersten, schnellen Biss lieber verzichteten.
Die Falle war appetitlich aufbereitet. Abends vor der um fünf cm offenen Tür des Kühlschranks platziert.
In der zweiten Woche nachts: ein Rappeln, aber wie! Denk ich, entweder haben wir diesmal laute Einbrecher - oder der Köttel-Kerl sitzt in der Falle. Die Treppe runter, ohne die Gaslaterne. Wieder rauf zum Licht! Dann bestaunten wir ihn im Lichtkegel: Er saß fest. Mit der Taschenlampe leuchtete ich durchs Gitter ins Kasteninnere. Ja, die Knopfaugen, das schmale Köpfchen mit den süßen Öhrchen. Das Tierchen war auf der offenen Seite über ein schmales Laufbrett reingeklettert, das an einem point of no return runterkippen musste...
Ich schleppe die Falle nach draußen vor die Haustür.
Wieder oben im Schlafzimmer, ich ziehe das Laken bis unters Kinn, ich puste das Kerzenlicht wieder aus, da höre ich noch das Rappeln in der Falle. Bist kein Robin Wood, ätsch! warst nicht schlau genug, stabil ist das Gefängnis, da nützen dir die scharfen Zähne nichts, gute Nacht, alter Bock! Doch, muß ich den Kasten noch weiter um die Ecke zum Holzstapel bringen? denke ich noch, bin aber eingeschlafen.
Ist das nun eine Wandersage wie die, von denen ein Solinger Ehepaar mithilfe der zwei erschienen Sammlungen des Kulturforschers Brednich tagelang die Unterhaltung bestreiten wollte, bis wir unsere eigene fabulierten zu dem Schild "Bernd, wo bist du?", das in der Gemeinschaftsbar an der Wand jeden Neubesucher anfragt: Versicherungsbetrug als Ausweg aus einer verkorksten Ehe - zu beider Zufriedenheit; auf einer Wanderung zur Chute de la Druise geht ein deutscher Gast verschütt, der eine tolle Lebensversicherung zugunsten einer Freundin abgeschlossen hat...
Von weiteren Erkundungen und fiktivem Schwindel? (Vgl. Sie Brednichs Fabelbuch "Maus im Jumbo-Jet". 1991, S. 115!)
Doch, zurück zu unseren Siebenschläfern. Der Patron hatte uns folgende Story erzählt. Nachbarn wollten mehrere Räume in ihrem Bauernhof renovieren. Nachts gingen ihnen zwei Siebenschläfer in eine Lebendfalle, die weiß markiert waren mit Kalkspuren. Sie setzten die Tiere einige km weiter, jenseits eines kleinen Flüßchens aus, weil sie die Tiere nicht töten wollten. Vier Tage später fanden sie wieder ein Tier in ihrer Falle vor: markiert! So sollten die Tiere über einen erstaunlichen Orientierungssinn verfügen? Wir schleppten unser gefangenes Tierchen bis zu dem weit entfernten Col de la Croix.
Als es aus der dunklen Falle ins Helle, mit einem heftigen Satz, heraussprang und in dem nächsten Gebüsch verschwand, sah ich den gekerbten glatten Schwanz des Viechs. Ich behielt mein Erstaunen für mich; suchte erst, nachdem wir nach unserem Urlaub wieder zu Hause waren, im Lexikon und auch googelnd, nach, und kam zu dem von der Familie nicht akzeptierten Schluß, dass wir eine … Ratte gefangen und freigesetzt hatten.
Was noch in Erinnerung blieb von La Grange und unserer Bergerie?
Z. B. Fahrten nach Nimes, nach Arles, in die Gluthölle und Farbenhimmel der Provence und der Camargue, von Gelagen und Konzerten auf dem mitternächtlichen Hof: das erste Violin-Konzert von Max Bruch (opus 26), im Hintergrund die windgepeitschten, von fernen Blitzen durchzuckten Pappeln: wie drohend geschwungene Riesenschwerter als gezackte Grenzwächter eines Paradieses.
Wovon noch erzählen: von mehreren Gelagen in ländlichen Tavernen, Baden in aufgestauten Flüßchen, der lokalen süffigen Sekt-Besonderheit Clairette de Die. Von Fotografier-Orgien im Anblick der riesigen Sonnenblumenfelder. Besuchen im Künsterstädtchen Dieulefit.
Ein wundersam-beglückender Tag in Sérignan-du-Comtat, zu leisem, fast sprachlosem Besuch im „Harmas“, dem wunderlichen Haus des wundersam-fleißig-ökologisch bewussten Naturforschers und Insektenkundlers Jean-Henri Fabre (1823-1915).
Ebenso dort das gastfreundliche Haus des deutschen Provence-Malers Werner Lichtner-Aix (1939-1987), Eintritt frei. – Kultur in der Natur!
Oder von den vielen Gewittern in diesem Bergkesselchen? Ja, von einem entsetzlichen Unwetter möchte ich noch erzählen, als wir neu singen lernten: psalmodisch-rituell-popig. Wir waren zu Fuß zum Haupthaus gezogen; die Kinder schon morgens zum Baden im stets sauberen, herrlich gelegenen Schwimmbecken. Wir, erst nachmittags nach einem herrlich genossenen elternfreien Vormittag (gelesen habe ich in Joseph Roths Feuilletons "Im mittäglichen Frankreich" und "Die weißen Städte", herrliche Skizzen aus dem Jahre 1925).
Nach unserer Liebes- äh, Lieblingsspeise, Thunfisch mit Grünzeugs und Schafskäse (und Tomaten auch; aber mit wunderbar brüstigem, saftigem und geruchstarkem Fleisch); Eva stellte eine Route nach Antibes zusammen, mit Texten von Walter Hasenclever, er dort einsaß, von Ernst Jünger, dem ich die folgende, lauthals verkündete Freude aus dem Jahre 1925 nie verzeihen will:
"Der Tag, an dem der parlamentarische Staat unter unserem Zugriff zusammenstürzt und an dem wir die nationale Diktatur ausrufen, wird unser höchster Festtag sein".
Aber, zum ästhetischen Ausgleich auch an ein höchst kostbares Gedicht von Wilhelm Lehmann "War ich einst in Antibes?" erinnere ich mich.
Schrieb einige Notizen zu unserer dreitägigen Fahrt nach Nimes und unserer Kletterei auf dem dritten Bogengang des Pont du Gard, wo wir einen Holländer zu retten meinten, der mit einem Kleinkind im Rückengestell auf der obersten Plattenabdeckung des fast 2 m breiten Wasserleitungskanals, also etwa in 50 m Höhe über dem Gardon, balancierte, filmte und auf meine Vorsichtsfrage antwortete, ob ich wasserscheu sei, er sei ein ehemaliger Kraker aus Amsterdam.
Nachmittags zog es uns auch rüber zu den Ausflügen, die die Kinder planten. Wir wanderten über den Kirchenhügel von E., zu Fuß durch die Gervanne, bevor sie in die Drome mündet, halfen Deutschen, die hier ihren Landrover samt Gepäckanhänger am Ufer mit dicken Flußsteinen vollluden für ihren Steingarten in Köln-Neviges ("... so schöne, geädert! Brocken des Gottes dieser Berge!". Aufpassen! Gut gepackt...? - Das macht Gewicht für den Heimweg.)
Beobachteten einen gedrungenen, kleinen Schlangenadler, der auf der Warte eines Telefonmastes sich zehn Minuten geduldete, bis er katapultartig aufstieg und sich ruckartig-schnell runterstürzte auf ein gesichtetes Beutetier - wer weiß, eine im Stoopelgras nach Mäusen schlängelnde Aspis, die es hier noch immer gibt und für die jeder Apotheker in den umliegenden Dörfern ein Serum bereit hält.
In zwei Wochen - nein, jetzt, in diesem Augenblick sollen meine Ferien beginnen, und anschließend die Fahrten ins Ardèche, dann hinunter ans Meer, nach Antibes.
Ich will jetzt fahren. In der Erinnerung.
Was soll schon die lautmalerisch aufgemotzte Schilderung eines Unwetters bis weit nach Mitternacht, als wir tanzend und trunken zurück in unsere Bergerie wanderten und bis zum Morgenlicht uns gegenseitig aus den "Verlobten" von Manzoni vorlasen, in der Neuübersetzung, die "Das Brautpaar" heißt...
Ach, sorry, ich habe keine Lust mehr, weiterzuschrei...
Bald fahren wir wieder hin; zum dritten Mal, in "Die Scheune"!
Zwar nur für einige Tage, aber mindestens eine Woche. Viellelicht hängen wir gleich zwei Jahr dran..!
Wir werden dort unser Zelt aufschlagen, unser Zweimannzelt. Letztens, als wir noch mit unseren Kinder dort Ferien machten, ganz nördlich in der Provence, war es unser letzter Familienurlaub - für etliche Jahre, schätze ich; auf das Großeltern-Arrangement mit geliebten, stinkenden Quäkerchen kann ich mich noch nicht freuen.
Wir haben dort - wo, fragen Sie? - davon später, eigentlich ist es belanglos, und uneigentlich werde ich nicht verraten, wo es diesen zum Ferienparadies umgebauten Bauernhof gibt, "La Grange" nennt sie der Patron, echter, niederrheinischer Landadel - nein, Adel doch nicht, nicht des Geblüts halber, aber des markanten Kopfes und der Bildung schon, halb der "Tolle Bomberg", "Pitt Stäckrüw", "de blaue Löll" - Originale einer Kleinstadt am Niederrhein.
Auch heißt er nicht Jupp oder Joseph, aber meinetwegen immerhin Wilhelm; er erbaut sich zur Zeit einen Turm, vier, fast fünf m im Durchmesser; zwei Stockwerke hatte er vorigen Sommer schon gesetzt und gerüstet, die Innenmauern hochgezogen und dessen Außenwand, sozusagen, was „deutsch“ der Verblender wäre, eine sauber verfugte, umlaufende Flaschenarchitektur ist, nicht als Schönwetter-Schnörkelei, so mal eintausend Fläschchen; nein, vom Fundament bis unters Gesims: Flaschen über Flaschen, Flaschen unter Flaschen. Übern Daumen geschätzt: 48000! Leere natürlich, genossene, ausgetrunkene in etlichen Jahren, mit und ohne Freunde. Ein Alkoholiker der Mann? Oder zumindest ein workaholic? Partout nicht; im Juni 90, als nur die Rheinländer mit (Kindern) so früh auf den kultusministeriell festgelegten Sommerferientrip losgelassen waren, trank er zwei Wochen keinen Tropfen - und die Mauer wuchs trotzdem, vom Vorrat der unvermauerten Flaschen.
Die Flaschenarchitektur hat er später aufgegeben, auf Protest seiner jungen Frau hin. Jetzt werden Glas und Blech entsorgt im nächstgelegenen Container, in Beaufort.
Wo, fragen Sie sich? Also, Beaufort sur Gervanne. Ja, von da müssen Sie noch weiter. Gute Fahrt! - Mehr wird nicht verraten.
Wissen Sie noch: in der Frankfurter Rundschau wurde vor 20 Jahren das schöne Fermentera gepriesen, als idyllisch, als paradiesisch, als arkanisch, als arkadisch – noch was? (Vielleicht vergaß ich was…!)
Ah, es hieß: „Formentera“? Na, dann setzte dort eben der unaufhaltsame Tourismus der Weichen, der Reichen, der Teichen, der Bleichen ein, der Paradies-Schleicher… Und was schrieb ein fleißiger FR-Korrespondent heuer: alles versaut, alles touristisch erschlossen; es lohnt nicht mehr, diese dumme, ausgelaugte Welt!
Ach, wie sehne ich mich nach solchen Textchen?
Unsere liebliche, schnuckelkleine Insel Formentera, mit einer seligen Oberfläche von etwa 90 km² und einer Einwohnerzahl von 5.200, liegt 10,56781 Seemeilen vor der Süd-Ost-Küste des Eilands Ibiza.
Herrlich: Von praktisch jedem Punkt der Trauminsel aus kann man das Meer sehen, und es gibt herrliche Strände und versteckte Buchten, einige mit einzigartig königlichen Grotten und Gröttchen.
Und erst sie: Unsere abgelegene Isla Espalmador ist das Ausflugsziel für den Yachtie schlechthin! Dort trifft sich Gott mit dem Papst, wenn er nicht nach Roma kommen will. Der Spiritus Sanctus haust dort in der Grotte „Pitiusa“, bevor er zu einer neuen Eroberung der „Unbefleckten Empfängnis“ aufbricht.
Das ganze Jahr über segnet sich die Insel mit frühlingshaftem Klima, die prangend reiche Vegetation mit den im Mittelmeerraum typischen Pinien ebenso wie mit seltensten Palmen und die Ruhe und Abgeschiedenheit von unserer lauten Welt machen Formentera zu einem wahren Paradies für Menschlein, Hundchen und niedliche Mädchen.
Hier schrieb Albert Einstein (der deutsche Physiker und Nobelpreisträger und der bedeutendste Jude der Weltgeschichte): "Manche Männer bemühen sich lebenslang, das Wesen einer Frau zu verstehen. Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen, z.B. der Relativitätstheorie. Oder der Wassertemperatur auf Formentera."
So soll es dort nicht überall ablaufen, wo es noch schön und wohlfeil und gastfreundlich ist. Also keine Werbung für dieses kleine, abgelegene Paradies.
Ach, ist das wichtig?
Ja, die hübsche, private Einsiedelei firmiert nirgends.
Nur Freunde empfehlen sie Freunden.
Und ich...?
Ach, nein - Lassen Sie sich mal ablenken; mir ist gerade was anderes wichtiger, was ich Ihnen ungefragt beantworten will:
Ach, das gefällt mir aber.
Ja, schön, hören Sie erst mal zu; das hilft:
Schon seit fünfzehn Jahren jagt der Hausherr selber nicht mehr. Er hat an den betreffenden Zufahrten Verbotsschilder aufgestellt und sich dem Clinch der anliegenden Jagdpächter gestellt, die sauer sind, wenn sich das aufgescheuchte Wild ins umfriedete Revier zurückzieht, und mit Schadensersatzforderungen drohten.
Aber wie war das mit dem Siebenschläfer? Nun, gut: Der hat so schöne Knopfaugen, einen dicken, buschigen Schwanz - mal langsam, Sie haben meine Frau doch schwärmen gehört, von diesen wuscheligen, braunen Putzis, die da die Grenze zwischen Freiland und Haus, evolutiv den Zustand zwischen Feld- und Haustier überschreiten. Verstehen Sie? Hier scheinen sich die Vorteile der Domestikation durch den Menschen auszuzahlen für eine weitere Tierart. Haben Sie schon das Foto des Tieres in dem Käfig gesehen? Die Dias sind immer noch nicht fertig. Irgendeiner hat keine Lust daran, dass sie fertig werden. Oder?
Erst einmal das Allgemeine! Unser Haus, als früherer Schafstall, na-tier-lich Bergerie genannt, liegt abseits vom Haupthaus. 15 Minuten zu Fuß; fast so lange dauerte es mit dem Wagen, mit den Koffern, Klamotten und Kindern drin. Voller „Passat“ in schönster Windstille segelt quer am Hang in das nächste Tal, das Tal der Schmetterlinge, hauptsächlich des Schachbrettfalters. Weil wir so langsam fahren mussten, kurvten und auch mal zurücksetzten, verstehste; Gegenverkehr nur möglich an zwei Stellen, wo einer am anderen vorbeirutschen muß. Rechts ging’s 5o/8o m hoch, links gähnten die struppig bewachsenen Abgründe; die Sicht abwärts gemildert von freundlich buschiger Natur, frech-besenhaftem Ginster, gemütlich-schattigem Holunder, Weißdorn – und nochmals Weißdron; alles schon abgeblüht, von langbeinigen Birken, Heckenwälle aus Rotdorn und Holunder. Dem Duft kann ich ganzjährig nachhängen; da braucht's keine Blütezeit mehr für meine Gehirnnase. Der Weg sandig, teils geschottert, leidlich in Schuß. Die letzten Gewitterregen sind durch schräg angelegte Querrinnen aus Holzröhren optimal abgelaufen, ohne zu große Erosion. Der Patron, also der Wilhelm, wie man ihn schon nach einigen Stunden nennen darf, weil es einem vorgesagt wird, der Wilhelm hatte solche Sachen auf dem Hof, in den Gasthäusern und längs der Wege prima im Handgriff. Er ist schon 3o Jahre in Frankreich, hat den Bergbauernhof für 15ooo Francs (alte, klar! verstehen Sie?) damals gekauft, als er für seine Familie ein Feriendomizil suchte.
Was haben der Gewitterregen, die dickwandig kühle, weißgekälkte Bergerie, oder auch der Siebenschläfer mit der Familie, Schulte-Berking will ich sie nennen, zu tun?
Viel, die haben wir zwar nicht mitgebucht, als wir 14 Tage La de Grange gemietet haben, aber wir hatten eben familiären Kontakt mit dem Patron und seiner Frau. Wer ihn (oder sie ) nicht sehen will, kann sich ja anders benehmen, Platz zum Weggucken oder Wandern oder Sich-anders-Benehmen ist genügend da. Ferien, und gleich wieder Nähe zu jemandem - muß ja nicht sein. Aber muß auch nicht nicht sein, für uns jedenfalls.
Das ergibt sich, zwangsläufig nennt man das, ohne zu überlegen, ist aber gar kein Zwang; siehe diesen Siebenschläfer im Haus, denke Sie es so: Wir kamen in unser Häuschen, nach ungefähr 1000 km Anfahrt, die geschmackssicher aufgemöbelte, für die Schlafräume und für den Küchen- und Gemütlichkeitsbereich optimal eingerichtete Bergerie, mit allen Vorzügen eines auch im prallsten Sonnenstand dickmaurigen, kühlen Hauses mit kleinen Fenstern. Und mussten feststellen, es gibt hier keinen Strom. Die Kinder hatten das gehört, als wir über Mundpropaganda von diesem Haus hörten, uns nur noch näher bei Freunden informierten, uns den handgestrickten Hausprospekt bestellten und telefonisch uns anmeldeten. Ich jedenfalls wusste nicht, dass wir Ferien ohne elektrischen Strom gebucht hatten.
Und wie kommt man da klar? Abends im Bett lesen, mit der Handfunzel, wie in Internatszeiten? Und Essen kochen, die Frauen wollen sich föhnen und naß rasieren kann ich mich gar nicht!
Klar, Gas hatten wir, für Heißwasser, Kühlschrank -
Kühlschrank? Ja, Gaskühlschrank - doch davon später, ein Abenteuer für sich. Und noch einen Gas-Föhn, was? Soll es zwar geben, für Campingzwecke. Aber Eva legte sich zum Föhnen draußen auf ein Badetuch und sonnte sich dort gleich vom Scheitel bis zur Zeh, nackig, weil wir wirklich abseits lagen. Kathrin hat das fotografiert. Und ich rasierte mich drei Wochen lang nicht, und danach auch zwei Jahre nicht mehr.
Also, die Energieprobleme schienen gelöst, ohne vom französischen Atomstromnetz abhängig zu sein. Der Rest ist dann Routine: z.B. die Petroleumlampen für die Schlafzimmer.
Den Siebenschläfer haben sie vergessen.
Ach, ja, er gehört zu den Schlamfäusen. Was? Bitte? Den Schlafmäusen. Der Verwandte, der Gartenschläfer, macht in Süddeutschland gerade die von tierlieben Menschen geförderte Umstellung aufs träge, rund um die Uhr gefütterte, ziemlich charakterlose Haustier mit.
Das hatten wir schon. Aber unser Siebenschläfer war anders.
Also, Wilhelm hatte uns im Schlafraum auf einen länglichen Holzkasten hingewiesen, der neben dem Bett stand, ohne zu warten, bis wir ihn entdeckten,
"Für die Siebenschläfer, die wir im Haus haben!"
Wir kucken ihn groß an. "Sieben-Was?" Will er die Tiere aussetzen, zum possierlichen Spiel mit unseren kleinen Menschlein?
Die Falle funktioniere so; er fummelt etwas an diesem rechteckigen Kasten, der auf der einen Schmalseite offen, mit einem Pendelbrettchen, auf der anderen aber fest vergittert ist.
"Die sind nachtaktiv. Und können da schön poltern wie zu Karneval. Besonders die Weibchen mit ihren Jungen. Possierlich, sehr neugierig, und lästig, wenn die spielen wollen: Mama, der Kindergarten im Schuppen hat heute dicht, die dicke Tante Trude kommt nicht aus dem Bett. Jetzt spielen wir Vorhangschaukeln in den Röcken der angereisten Madame."
Wir schlucken. Eva legt einen Anorak aufs Bett, den sie in den schon geöffneten Schrank hängen wollte.
"Da gehen die jungen Biester gerne in die aufgestellte Falle, hier mit den Nüssen als Köder; wenn die so toben, bis Mama wieder zurück ist mit einem Maulwurf oder einer Wühlmaus." Alte Männlein, die seien ruhiger, hielten ihr Revier sauber, auch von Nebenbuhlern, beißen auch die Weibchen weg, diese alten sind sozusagen pensioniert, beamtete Oberlehrer, fuchsteufelswild, wenn sie ihr Revier verteidigen müssen.
Wir hatten tatsächlich einen (oder gar zwei?) Siebenschläfer. In den zwei ersten Nächten war nichts zu hören. Tobias entdeckte zuerst was Handfestes, nicht uns Gehöriges: Köttelchen in der Küche auf dem Tisch, auf der Fensterbank und hinter dem Gaskühlschrank; es war ihm also dort nicht zu heiß. Ein Zuckerarmband zerbissen.
Und, da, Kathrin ruft durchs Haus: "Auf meinem Kopfkissen, ih!" als wir von einer Tagestour aus Valence zurückkommen.
Da haben wir die Falle aus dem Schlafraum in die Küche geschleppt. Und mit den süßesten buntesten, geschmacklosesten Zuckerkringeln von einer Kirmes garniert, die so süß waren, dass unsere Kinder nach dem ersten, schnellen Biss lieber verzichteten.
Die Falle war appetitlich aufbereitet. Abends vor der um fünf cm offenen Tür des Kühlschranks platziert.
In der zweiten Woche nachts: ein Rappeln, aber wie! Denk ich, entweder haben wir diesmal laute Einbrecher - oder der Köttel-Kerl sitzt in der Falle. Die Treppe runter, ohne die Gaslaterne. Wieder rauf zum Licht! Dann bestaunten wir ihn im Lichtkegel: Er saß fest. Mit der Taschenlampe leuchtete ich durchs Gitter ins Kasteninnere. Ja, die Knopfaugen, das schmale Köpfchen mit den süßen Öhrchen. Das Tierchen war auf der offenen Seite über ein schmales Laufbrett reingeklettert, das an einem point of no return runterkippen musste...
Ich schleppe die Falle nach draußen vor die Haustür.
Wieder oben im Schlafzimmer, ich ziehe das Laken bis unters Kinn, ich puste das Kerzenlicht wieder aus, da höre ich noch das Rappeln in der Falle. Bist kein Robin Wood, ätsch! warst nicht schlau genug, stabil ist das Gefängnis, da nützen dir die scharfen Zähne nichts, gute Nacht, alter Bock! Doch, muß ich den Kasten noch weiter um die Ecke zum Holzstapel bringen? denke ich noch, bin aber eingeschlafen.
Ist das nun eine Wandersage wie die, von denen ein Solinger Ehepaar mithilfe der zwei erschienen Sammlungen des Kulturforschers Brednich tagelang die Unterhaltung bestreiten wollte, bis wir unsere eigene fabulierten zu dem Schild "Bernd, wo bist du?", das in der Gemeinschaftsbar an der Wand jeden Neubesucher anfragt: Versicherungsbetrug als Ausweg aus einer verkorksten Ehe - zu beider Zufriedenheit; auf einer Wanderung zur Chute de la Druise geht ein deutscher Gast verschütt, der eine tolle Lebensversicherung zugunsten einer Freundin abgeschlossen hat...
Von weiteren Erkundungen und fiktivem Schwindel? (Vgl. Sie Brednichs Fabelbuch "Maus im Jumbo-Jet". 1991, S. 115!)
Doch, zurück zu unseren Siebenschläfern. Der Patron hatte uns folgende Story erzählt. Nachbarn wollten mehrere Räume in ihrem Bauernhof renovieren. Nachts gingen ihnen zwei Siebenschläfer in eine Lebendfalle, die weiß markiert waren mit Kalkspuren. Sie setzten die Tiere einige km weiter, jenseits eines kleinen Flüßchens aus, weil sie die Tiere nicht töten wollten. Vier Tage später fanden sie wieder ein Tier in ihrer Falle vor: markiert! So sollten die Tiere über einen erstaunlichen Orientierungssinn verfügen? Wir schleppten unser gefangenes Tierchen bis zu dem weit entfernten Col de la Croix.
Als es aus der dunklen Falle ins Helle, mit einem heftigen Satz, heraussprang und in dem nächsten Gebüsch verschwand, sah ich den gekerbten glatten Schwanz des Viechs. Ich behielt mein Erstaunen für mich; suchte erst, nachdem wir nach unserem Urlaub wieder zu Hause waren, im Lexikon und auch googelnd, nach, und kam zu dem von der Familie nicht akzeptierten Schluß, dass wir eine … Ratte gefangen und freigesetzt hatten.
Was noch in Erinnerung blieb von La Grange und unserer Bergerie?
Z. B. Fahrten nach Nimes, nach Arles, in die Gluthölle und Farbenhimmel der Provence und der Camargue, von Gelagen und Konzerten auf dem mitternächtlichen Hof: das erste Violin-Konzert von Max Bruch (opus 26), im Hintergrund die windgepeitschten, von fernen Blitzen durchzuckten Pappeln: wie drohend geschwungene Riesenschwerter als gezackte Grenzwächter eines Paradieses.
Wovon noch erzählen: von mehreren Gelagen in ländlichen Tavernen, Baden in aufgestauten Flüßchen, der lokalen süffigen Sekt-Besonderheit Clairette de Die. Von Fotografier-Orgien im Anblick der riesigen Sonnenblumenfelder. Besuchen im Künsterstädtchen Dieulefit.
Ein wundersam-beglückender Tag in Sérignan-du-Comtat, zu leisem, fast sprachlosem Besuch im „Harmas“, dem wunderlichen Haus des wundersam-fleißig-ökologisch bewussten Naturforschers und Insektenkundlers Jean-Henri Fabre (1823-1915).
Ebenso dort das gastfreundliche Haus des deutschen Provence-Malers Werner Lichtner-Aix (1939-1987), Eintritt frei. – Kultur in der Natur!
Oder von den vielen Gewittern in diesem Bergkesselchen? Ja, von einem entsetzlichen Unwetter möchte ich noch erzählen, als wir neu singen lernten: psalmodisch-rituell-popig. Wir waren zu Fuß zum Haupthaus gezogen; die Kinder schon morgens zum Baden im stets sauberen, herrlich gelegenen Schwimmbecken. Wir, erst nachmittags nach einem herrlich genossenen elternfreien Vormittag (gelesen habe ich in Joseph Roths Feuilletons "Im mittäglichen Frankreich" und "Die weißen Städte", herrliche Skizzen aus dem Jahre 1925).
Nach unserer Liebes- äh, Lieblingsspeise, Thunfisch mit Grünzeugs und Schafskäse (und Tomaten auch; aber mit wunderbar brüstigem, saftigem und geruchstarkem Fleisch); Eva stellte eine Route nach Antibes zusammen, mit Texten von Walter Hasenclever, er dort einsaß, von Ernst Jünger, dem ich die folgende, lauthals verkündete Freude aus dem Jahre 1925 nie verzeihen will:
"Der Tag, an dem der parlamentarische Staat unter unserem Zugriff zusammenstürzt und an dem wir die nationale Diktatur ausrufen, wird unser höchster Festtag sein".
Aber, zum ästhetischen Ausgleich auch an ein höchst kostbares Gedicht von Wilhelm Lehmann "War ich einst in Antibes?" erinnere ich mich.
Schrieb einige Notizen zu unserer dreitägigen Fahrt nach Nimes und unserer Kletterei auf dem dritten Bogengang des Pont du Gard, wo wir einen Holländer zu retten meinten, der mit einem Kleinkind im Rückengestell auf der obersten Plattenabdeckung des fast 2 m breiten Wasserleitungskanals, also etwa in 50 m Höhe über dem Gardon, balancierte, filmte und auf meine Vorsichtsfrage antwortete, ob ich wasserscheu sei, er sei ein ehemaliger Kraker aus Amsterdam.
Nachmittags zog es uns auch rüber zu den Ausflügen, die die Kinder planten. Wir wanderten über den Kirchenhügel von E., zu Fuß durch die Gervanne, bevor sie in die Drome mündet, halfen Deutschen, die hier ihren Landrover samt Gepäckanhänger am Ufer mit dicken Flußsteinen vollluden für ihren Steingarten in Köln-Neviges ("... so schöne, geädert! Brocken des Gottes dieser Berge!". Aufpassen! Gut gepackt...? - Das macht Gewicht für den Heimweg.)
Beobachteten einen gedrungenen, kleinen Schlangenadler, der auf der Warte eines Telefonmastes sich zehn Minuten geduldete, bis er katapultartig aufstieg und sich ruckartig-schnell runterstürzte auf ein gesichtetes Beutetier - wer weiß, eine im Stoopelgras nach Mäusen schlängelnde Aspis, die es hier noch immer gibt und für die jeder Apotheker in den umliegenden Dörfern ein Serum bereit hält.
In zwei Wochen - nein, jetzt, in diesem Augenblick sollen meine Ferien beginnen, und anschließend die Fahrten ins Ardèche, dann hinunter ans Meer, nach Antibes.
Ich will jetzt fahren. In der Erinnerung.
Was soll schon die lautmalerisch aufgemotzte Schilderung eines Unwetters bis weit nach Mitternacht, als wir tanzend und trunken zurück in unsere Bergerie wanderten und bis zum Morgenlicht uns gegenseitig aus den "Verlobten" von Manzoni vorlasen, in der Neuübersetzung, die "Das Brautpaar" heißt...
Ach, sorry, ich habe keine Lust mehr, weiterzuschrei...
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