Ich hatte niemanden gesucht



Ich hatte niemanden gesucht. Ich war schon mundtot – nur das Geplänkel da in Feierabend.de gab mir noch Gelegenheit, etwas zu sagen oder zu schreiben. Wenn man dann zur Rechtfertigung aufgefordert wird, warum man nichts mehr sagen kann, wenn man sich für etwas und nichts schuldig fühlen soll. Man schmiss den Handschuh in den Ring – ich hatte die Untergrundarbeiten nicht wahrgenommen. Zu Weihnachten 2007 ließ ich mich nicht mehr zum Familien-Brunch mitschleppen. Sylvester 2007 und danach …ich setzte da dem Ganzen vielleicht noch eine Krone auf: ich ließ mich „zu Hause“ voll laufen und grölte – vielleicht wie ein waidwundgeschossenes Stück Wild.

Neun Jahre Zusammenleben. Anfangs naja, ich akzeptierte ihre Freunde und Bekannten, machte Alles mit, mochte die beiden älteren Söhne, die trotz oder nach der Scheidung ihrer Mutter zu ihr hielten und sich um sie kümmerten, egal, ob freiwillig oder auf Kommando. Zu Beiden habe ich immer gesagt, dass man sich eben zurücknehmen kann und es so laufen lassen kann. Denn Widerstand, Aufruhr – nicht mein Ding – ich war nicht bereit zu Streitereien. Mir genügte, dass die Familien mich mochten und freundlich zu mir waren. Bei den OP’s und den REHA’s begleitete ich, doch einen liebevollen Reflex erfuhr ich nicht. Und meine Krankenhausaufenthalte – das Zu- und Rückbringen – kein Bisschen Beihilfe. Eine lästige Tatsache.

Bis zu meinem „Ausbruch im Alkohol“ marschierte ich brav. Auch, wenn dabei der herzliche Kontakt zu meinen Geschwister – und davon habe ich sechs – sich auflöste. Brav marschiert, das Geratsche über mich überhört. Da starb meine Mutter im September 2007. Ich war noch bei ihr, bevor sie zwei Tage später, nach langem innerem Kampf im Alter von 98 Jahren minus 17 Tagen los lassen konnte.
Als wir dann in Dachau von der Einsegungshalle hinaus zu dem Platz gingen, den meine älteste Schwester schon gekauft, unseren Vater aus Bonn dorthin und auch ihren Sohn aus Ingolstadt herüber geholt hatte, da plautze diese Lebensabschnittsgefährtin mit voller Frontseite auf die Schnauze, platt wie eine Schildkröte. Du magst darüber denken so oder so – vielleicht war es ein Zeichen meiner Mutter???

Im März 2008, nach der Kündigung der gemeinsam gemieteten Wohnung, war ich tröpfchenweise weg gezogen, in eine Einrichtung mit 43 Parteien, wo nur alte Leute wohnen, aber alleine in eine 2-Zimmerwohnung. Ich habe viele sachliche Verluste hinnehmen müssen, ich lebte auf. Die Geschwister nahmen wieder Kontakt mit mir auf. Das Jüngste, mit dem ich Hand in Hand alleine zum Sarg vorgegangen war, um von Mutter Abschied zu nehmen, war auch das erste, das mal eben vorbei kam, mich dann zum Geburtstag der ältesten Schwester mitnahm. „Schön, dass du wieder da bist!“ Alle sagten das, und ich fühlte das auch.

In dieser Zeit des Zerbrechens der alten Verkettung gab es die ständigen Wechsel meiner „Callsign’s“.
Man war eifersüchtig auf diese drahtlose Verbindung im Internet und da und dort mein Angebot, helfen zu wollen/dürfen. So ganz beiläufig fand ich in einem „Mitglied des Tages“ einen Menschen, der so nahe an der Stelle wohnt, wo ich einmal auf der Erde gelandet war: Gesprächsstoff! Und ich kramte zu der Zeit in der Vergangenheit rum. Da der Kaisersteg über die Spree – und schon, da er gerade neu eröffnet worden war, bekam ich frische Bilder aus Berlin. Ich schrieb von Eichwalde, von den neun Jahren da als Schüler, und schon bekam ich frische Bilder von dort. So war da eine nette Connection entstanden. Klar, die südlichen Regio’s bei Feierabend.de sagten mir nichts, ich schrieb mich als „alten Preusse“ bei Berlin-Mitte und Potsdam ein. Und nahm aus der Ferne an dem Leben und Treiben da teil, immer versorgt mit verschiedenen Informationen.

Wir, die LAG und ich, bekamen das Angebot zur Beherbergung in Berlin. So nett verpackt und uneigennützig. Daraus wurde nun gar nichts. Der Winter ging, Schneebilder aus Berlin. Etwas kam herüber aus Mutters Nachlass – zur Beisetzung der Mutter hatte ich noch keinen dunklen Anzug, so etwas bräuchte ich nicht. Jetzt aber zur Geburtstagsfeier meiner Schwester fühlte ich mich in dem edlen Stoff gerade zu wohl.

Berlin lud ein – habe ich die Länge des Besuchs, eine Woche, bestimmt? Mai, Frühling, Pfingsten, alles in einem Topf. Ich war nicht eingezwängt durch Meckerei, durch Geldmangel, ich war soo frei wie ein Vogel. Ich kaufte die Rückfahrkarte und fuhr ganz frei los nach Norden, weg von dem Zirkel der Ohnmacht von einst, hin zu einem Ort, an dem mich ein Menschlein erwartete, das ich per Internet, Skype und Telefonate nach und nach näher kennen gelernt hatte. Aber primär war Alles unter dem vom Heimweh nach Berlin, nach meinem so lange entbehrten Zuhause geprägt.

Die Fahrt dorthin, da mit durchgehendem Zug von Ingolstadt Hbf bis Berlin-Südkreuz, mit einem der ICE’s, die zweistündlich die Strecke durch Bayern, Franken, Thüringen, Sachsen, Sachen-Anhalt und Mark Brandenburg passieren, ein tiefgreifendes Erlebnis, das sich von da an alle 12 bis 16 Wochen wiederholen durfte. Ich kam nach Hause.

Nach Hause, das heißt: das liebe Menschlein war die richtige Medizin für so einen verkalkten und verkorksten Wessy. Alle Spannungen, die noch innerlich herrschten (z.B. „Ich lasse mir nichts befehlen!“), wurden beseitigt. Und da noch irgend andere virtuelle Verbindungen existierten, kam da am lauschigen Abend auf dem Gendarmenmarkt der Satz auf mich zu: „Ich kämpfe um dich!“ – Ich war angekommen.

Zwei Jahre des Hin und Her waren verstrichen, da kam das Wohnungsangebot für mich, ein klein Bisschen weiter weg, als gedacht, aber sonst passend. Und nun geht es in die Schlussrunde „Ingolstadt“ – ein Ort, der eigentlich zuvor nie auf meinem Panier gestanden hatte. Ich verlasse die Urlaubsländer rund um Berlin-Brandenburg, höre auf Urlaub zu machen, fange an, mich noch einmal recht gemütlich einzurichten, so Hand in Hand mit meinem Spatz „Das mächt wohl sein …“.


Es mag eine Abrechnung sein. Warum nicht?! Damals war man mit seinen Freunden so abfällig über meine Aktionen im Internet hergefallen. Ich hatte zweimal alles abgeräumt, aber immer noch kamen Mails von Feierabend.de herüber.

Diese gehässige Eifersüchtelei! Ich brauchte eine Weile, auch die anderen Falschgesichter zu erkennen.

Und nun? Da hat sich das Individuum von damals auch bei Feierabend.de eingeschrieben, hat meine VK angezapft. Da kann ich nur sagen: Hochmut kommt zu Fall. Der Fall ist gegessen!
Anna-Elisabeth



ortwin

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Kommentare (1)

tranquilla ortwin, nach den erfahrungen.

deine schilderung macht nachdenklich.
wenn sie denn stimmt, deine geschichte,
dann ist sie ein beispiel dafür, dass
man nie aufgeben soll am leben teilzuhaben.
du bist gefunden worden, halte das glück ganz fest.

liebe grüße
tranquilla

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