Hoffeste im "roten Wedding Berlin"1950 - 1955


Hoffeste im
Im roten Wedding in Berlin aufgewachsen in einer Straße, die zum großen Teil aus Ruinen bestand, gab es nur einige noch bewohnte Häuser und wenige Geschäfte. Die heruntergekommenen Altbauten hatten zum Teil 5-7 Hinterhöfe, noch mit Kuhstall, Schlächterei, Hühnern und vielen kriegsverletzten Menschen, körperlich und auch seelisch. Manche hatten “een appes Been oder een appen Arm.” Die Wohnungen waren eng, dunkel, die Klos im Treppenhaus. Wir spielten in den Ruinen, es gab viele Kinder, die sich zu Banden zusammen schlossen. Die Hierarchie hatte man schnell gelernt. Groß war die Vorfreude auf ein angekündigtes Hoffest in einem der Häuser. Dieses Jahr war unser Haus dran. Kinder, die in dem Haus wohnten, in dem das Fest stattfinden sollte, hatten freien Zugang, die anderen aus den Nachbarhäusern mussten einen geringen Eintritt zahlen. Schon ein bis zwei Wochen vorher erwachten die Menschen zu neuem Leben.. Einige Leute übernahmen die Organisation, denn meist waren mindestens hundert Teilnehmer dabei. Wir Kinder bastelten Fähnchen, malten Eintrittskarten, bereiteten Spiele vor. Die Erwachsenen kümmerten sich um das Essen, die Musik und das Programm. Aus wenig machten sie viel, die kommende Woche gab es Schmalzstullen.
Am Festtag gab es ein großes Gewusel, der Hof wurde geschmückt, ein provisorischer Grill aufgebaut, Tische und Stühle nach draußen geschleppt, “wann is n 5 ?” Endlich, die Stimme von Onkel Pelle, es gab kein Halten mehr. Wir stürmten den Hof, blieben andächtig stehen, alles war so schön geschmückt, “kiek mal, soville Essen!” Es roch nach Würstchen, Kuchen, sauren Gurken, wie Weihnachten im Freien. Onkel Pelle warf händevoll Bonbons, und wir stürzten uns drauf. Dann setzen wir uns barfuß auf den Boden und lauschten, einige Nachbarn hatten alte Instrumente und spielten erstmal für uns und die Gäste aus den anderen Häusern das Lied von der Krummen Lanke:
“Und denn saß ick mit de Emma uff de Banke.
Die Orgel, ach die hat so schön jetönt,
wir dachten beede an die Krumme Lanke,
Und die janzen vielen Tanten ham jeween…”
Wir alle sangen aus voller Kehle mit und so manche Träne is jeflossen. Dann begann das Programm, mein Vater als Besitzer des einzigen Tante Emma Ladens hielt eine Rede im Berliner Jargon. “ Kiek ma, Vater hat jute Laune!” "Na klar manne, der will ja neue Kunden habn, die bei ihm koofen!" Nach einem reichlichen Schmausen, wir stopften alles in uns rein, bis uns fast schlecht war und vor lauter Lachen bekamen wir Bauchweh . Es gab Wettspiele, Würstchen schnappen, Rätsel raten und zwischendurch "ooch mal eine Maulschelle", wenn wir es zu arg trieben. Um 20 Uhr wurden alle Kinder ins Bett geschickt, denn nun begann für die Erwachsenen das tanzen und der Alkohol floss in Strömen. Wir wohnten Parterre und konnten noch lange unsere “Neesen” am Fenster platt drücken und die Erwachsenen sehen, wie sie tanzten, torkelten und johlten, bis wir trotz der Lautstärke müde, erschöpft und glücklich einschliefen.

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Kommentare (6)

Komet

Liebe Malina,
herrlich Dein Bericht. Ich habe es gern gelesen und mich an viele Dinge erinnert.

Herzliche Grüße
Ruth/Komet

malina

@Komet
Liebe Ruth, solche Feste waren damal Sternstunden im grauen Alltag von Berlin. Die Menschen waren erschöpft und arm. Aber für so einen besonderen Tag erwachten sie zu neuem Leben und gaben alles. Für uns Kinder war es wie ein Traum, wir durften essen, soviel wir wollten und die Erwachsenen lachten, sangen und trieben ihre Späße mit uns.

ladybird

Liebe Malina,
da macht sich ja direkt eine "Sehnsucht" breit, in der "Krummen Lanke" hammer schon gebadet...Du hast es uns Lesern  ganz wunderbar "erleben" lassen. Dann kennst Du sicher auch noch die
"Laubenpieper"? Und natürlich " olle Bolle"?....der zu Pfingsten reiste?
Dieses  Erlebnis ist  eben so schön, wie Deine Erlebnisse mit "Marie"

(5 Wörter)
mit Freude gelesen
herzlichst 🐞-ladybird

malina

@ladybird  
Danke für deinen lieben Kommentar, ja, als Urberlinerin kenne ich die ganzen Gassenhauer und an diesem Tag wurde noch viel gesungen. Das war im damaligen grauen und trostlosen Berlin eine Sternstunde, an der viele Menschen tatkräftig mitgewirkt haben. Und für uns Kinder war es Freiheit, sich satt essen und sich über die strengen Erwachsenen lustigmachen,

malina

Liebe Andrea, je mehr ich schreibe, um so mehr Erinnerungen werden wach. Diese Sternstunden in dem armen und kaputten Berlin ließen für einige Zeit die Trostlosigkeit vergessen. Die Erwachsenen erwachten wie aus tiefem Schlaf und gaben ihr Bestes zum Gelingen des Festes. In der Woche darauf gab es in den Familien nur Schalzstullen, da alle Vorräte und das wenige Geld aufgebraucht waren.
Lieben Gruß, Malina

Muscari


Liebe Malina,

Eine tolle Erinnerung, vor allem auch mit Berliner Dialekt. Der mischt Deine Geschichte noch zusätzlich auf. Kommt mir vor, wie "Zille sein Milljö".
Auch das Foto ist super. Und dann och mit de Emma uff de Banke...
Jesses, und das alles in der noch halb zerstörten Umgebung von Berlin.
Was waren das für Zeiten. Heute nicht mehr vorstellbar.

Danke für die nette Erinnerungsgeschichte und liebe Grüße von
Andrea

 


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