Glosse vom 16. Februar 2009


Glosse vom 16. Februar 2009

Vorbemerkung: Die Anregung zu dieser Glosse bekam ich aufgrund der Diskussion zur Eröffnung der beiden neuen Foren Fotokunst und Bildende Kunst. Das Thema Kunst etc. ist nicht nur "ein weites Feld", sondern könnte nahezu zu einer unendlichen Geschichte werden. Sicher wäre das Thema Kunst und Nicht-Kunst oder: Kunst und Kitsch in diesem Zusammenhang sehr interessant, aber eines nach dem anderen ...
Hier werden einige Titel genannt; ich gehe an anderer Stelle auf diese Titel genauer ein.
Auf eine Verlinkung habe ich verzichtet; Guardini, Heidegger, selbst dessen Schrift "Vom Ursprung des Kunstwerkes" ... findet sich alles bei Wikipedia.


Die Bertha
vom Niederrhein





Was ich gerne mag:

... nicht nur die Kunst (lassen wir zunächst offen, was man darunter versteht!), sondern auch die Diskussion zur Frage, was denn Kunst überhaupt ist. Daß Kunst eine Nominalableitung des Verbs „können“ ist, erzielt ja bei den Diskutanten noch einen Konsens, dann aber geht es sehr schnell über zur Deutungs- und Machtfrage, wer denn nun entscheidet, was Kunst ist oder eben nicht ist.
Die viel wichtigere Frage ist ja zunächst, wie kommt der Mensch zur Kunst. Kunst, als menschliches Produkt, wird ja sehr allgemein definiert als etwas, dessen Funktion und Zweck eigentlich nicht eindeutig bestimmt ist.
Ein Messer ist zunächst ein Gebrauchsgegenstand, verziert vielleicht zum künstlerisch gestalteten Gebrauchsgegenstand, schließlich noch mehr ausgestaltet und gar nicht mehr zum praktischen Gebrauch vorgesehen, ist dann nach herkömmlicher Definition Kunst, ein Kunstgegenstand. Das Erstaunliche, vielleicht sogar das Kuriose ist, wie kommt der Mensch nun zur Kunst. Warum hat der Mensch seine ursprünglichen Gebrauchsgegenstände wie Messer, Speer, Gefäße (Tongefäße) etc. verziert, immer mehr ausgestaltet, schließlich ihrer profanen Funktion enthoben und etwa kultischen Funktionen zugeführt? Dies wohlbemerkt in der Zeit seiner Wildbeuter- und Sammlerexistenz; eine Zeit des alltäglichen Existenzkampfes.
Was bewegte die Menschen dazu, auf einmal sich künstlerisch zu betätigen? Auffallend ist die fast explosionsartige Entfaltung künstlerischer Tätigkeiten und Produkte im Paläolithikum, also in der Altsteinzeit so um und ab 40.000 vor unserer Zeitrechnung. Anthropologen sehen diese Entfaltung künstlerischer Tätigkeit im Zusammenhang mit der Entfaltung religiöser Ideen und kultischen Ritualen. D.h. Kunst und Religion sind interdependente Phänomene. Etwas, was von den Atheisten und Agnostiker unter den künstlerisch tätigen Menschen, gerne geleugnet und/oder verdrängt wird. (Vor gar nicht so langer Zeit war dieses Thema – der Ursprung der Kunst in der Religion – SPIEGEL-Titelthema.)


Was ich nicht mag:

... zumindest was doch sehr erstaunt und verwundert: Der Anspruch einer Deutungshoheit, was nun nicht nur Kunst ist, sondern vor allem das Jurisdiktionsbedürfnis mancher Menschen, definitiv und absolut zu entscheiden, was eben gute bzw. schlechte Kunst ist, was überhaupt Kunst ist.
Die Geschichte der Kritik zeigt köstliche und weniger amüsante Beispiele dieses – wohl offensichtlich oft zwangsneurotischen - Bedürfnisses, Künstler, künstlerisch tätige Menschen und ihre Werke niederzumachen. Denn allein Wortwahl, Diktion und Intention zeigen, daß sich hier nicht jemand fragend und untersuchend dem Phänomen Kunst – eben in de konkreten Erscheinung eines Werkes und/oder in der Person des Künstlers, des künstlerisch schaffenden Menschen – nähert, sondern wohl in der offensichtlichen Intention, etwa und/oder jemand fertig- und niederzumachen.
Nochmals: Die Geschichte der Literatur-, der Musik- und eben auch der Kunstkritik zeigt, wie bösartig, wie offenbar unzutreffend Kritik sein kann. Oder nur eben subjektiv, zeitlich begrenzt und beschränkt (weil eben nur aus dem Geist oder Ungeist einer bestimmten Zeit her verständlich).

Nahezu unerträglich in einer bzw. dieser Mischung aus Dummheit und Dreistigkeit, Blödheit und Bösartigkeit, sind jene kleinkarierten Krämerseelen, die ihre haus- und handgestrickte „Kritik“, vermutlich selbst unfähig, irgendwelcher auch nur vom Ansatz her künstlerisch-handwerklich-kreativer Tätigkeit nachzugehen, ungefragt anderen gleichsam „vor und auskotzen“. Man fragt sich schon, was diese Menschen dazu treibt, auf der einen Seite, sich anlehnend, anbiedernd, gleichsam fraternisierend und in Besitz nehmend einen bzw. ihren Anspruch auf Kunst(werke) und Künstler zu erheben: „Mein“ Mozart, „mein“ Renoir etc., auf der anderen Seite es nahezu lieben, sich kompetent zu geben und dümmlich daherzukritteln.
(Zum Kleinbürger gäbe es viel zu sagen ... aber wer will das schon hören bzw. lesen?)


Über mich:

... in Zusammenhang mit dem Thema dieser Glosse: Welche Rolle nimmt man ein? Die des künstlerisch produzierenden Menschen? Die des Ignoranten? Die eines Menschen, der sich mit der Kunst, in concreto: mit einem Kunstwerk, mit einem Künstler (auch mit einer Kunstgattung, einer Kunstepoche etc.) auseinandersetzt? Die Rolle eines Rezipienten, eines Kunstkonsumenten (eines Hörers, eines Betrachters, eines Lesenden)?
Überhaupt: Welche Rolle spielt eben die Kunst, ein Kunstwerk für einen, für die Menschen? Für einen persönlich? Spätestens jetzt müßte man merken, wie willkürlich, wie zufällig, wie subjektiv doch die Zuneigung, die Affinität zu einem Kunstwerk ist?
Kunst und Gesellschaft ... hier ist die Frage der Distinktion interessant. Wann und wo bekommt eben die Kunst diesen Distinktionscharakter, diese Distinktionsfunktion? D.h. sie – hier zunächst in Form des Schmuckes, der künstlerisch gestalteten Garderobe und Gegenstände, der Architektur etc. – dient auf einmal der sozialen Differenzierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen und Schichten – eine Abgrenzung gegenüber anderen sozialen Gruppen und als Identifikationsmerkmal innerhalb einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe und Schicht.
Übrigens: so habe ich Kunst in den frühen 50er Jahren kennengelernt. Und so wird sie von einigen (vorwiegend älteren Groß)Kritikern noch gesehen. Adel, Groß-bourgeoisie (Besitz- und Bildungsbürgertum) meinen so etwas wie einen natürlichen Anspruch auf Kunst zu haben ... eben als vermeintlichen Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Stellung.

Für mein erstes Kunstverständnis (nicht "Kunsterleben") waren Martin Heidegger und Romano Guardini entscheidend.
Heidegger („Vom Ursprung des Kunstwerkes“) betont, daß sich im Kunstwerk das Sein der Dinge entfaltet, zutage tritt ... im Sinne der griechischen „aletheia“ (etwa wörtlich: das Sich-Enthüllende; der eine Wahrheitsbegriff aus der griechischen Antike, gegenüber der „orthotes“, der „Richtigkeit“ im Sinne der Übereinstimmung von Sachverhalt und Aussage], in der und durch die das Wesen der Dinge geoffenbart wird. Kunst hat für ihn ein Zeichen-, Zeige- und Symbolcharakter.
Auch Romano Guardini betont diesen Zeichencharakter der Kunst; sie verweist auf ein ideales Sein (Siehe Platon), dennoch, so Guardini in seiner Schrift „Vom Wesen des Kunstwerkes, 1948, 50 f.) sei „das Kunstwerk an der Wirklichkeit beteiligt“; es ginge aus der „Sehnsucht [des Menschen] nach jenem vollkommenen Dasein hervor, das nicht ist, von dem aber der Mensch [...] meint, es müsse werden“ (ebda.).


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Kommentare (11)

pilli wie du mal wieder meinst, watt kommentieren zu müssen; ist der drang so zwingend?

hihi...ich brauche kein geschenk von karl:

wenn ich nix kommentieren möchte, mache ich das einfach; aber quacke nicht davon und tue es dennoch!

watt ist datt denn für eine art, keinen kommentar zu senden? hihi...werden jetzt die foren-baseballschläger rausgeholt, alles nieder zu knüppeln watt anderer meinung sein sollte?

also, ich habe drei haare auf der brust; bin ich jetzt ein bär?

alaaf!

ehemaliges Mitglied für diesen großartigen Text. Er tut dem Hirn und der Seele gut.
ehemaliges Mitglied Zu Deinen "Ausführungen" von mir

keinen Kommentar

Schließlich hat Karl uns die beiden Zauberworte geschenkt, um diese Unsachlichkeiten im Keim zu ersticken. Danke Karl!


pilli stimmt omaria

"schäbig" und ohne kreativität zeigt sich so manches kunstwerk fetter aber netter und doch so frustrierter hausfrauen, sich endlich, endlich zu verwirklichen! sei es in den kursen der VHS oder der wöchentlichen pfarrfrauen-hocks, oftmals eine vereinigung von dorf-trampeln der sehr besonderen art!

aber es hat ja die segensreichen einrichtung der Notlüge? geschaffen dazu, anderen die hucke voll zu lügen ob der kunstfertigkeit selbstgehäckelter eierwärmer, da wird dann lob gleich fliessbandartig produziert...

alles wird gut!

))

omaria DANKE für die klaren Worte!
"Über KUNST lässt sich nicht streiten!"
Niedermachende Kritik für "anderer Leutz" Kreativität ist mehr als schäbig!
pelagia Suche ich normalerweise nach Kunst, die mich erfreut, war ich vor einiger Zeit durch die Vorbereitung einer Ausstellung so betroffen von Bildern, die mich schmerzlich tief berührt haben, die schonungslos das Grauen menschlichen Leidens darstellten.
Die Beurteilung, was in der Kunst „schön“ sei, ist für mich ein Thema, über das ich mich gern austauschen würde. Wenn man Kunst als eine „Wahrheit“ betrachtet, die immer in Relation zum Schaffenden, wie zu ihrer/seiner Lebensumwelt steht, kann Kunst auch hässlich oder erschreckend sein. Kunst macht doch in einer Art eigener „Sprache“ sichtbar, wirbt um Verständnis für manchmal Unaussprechliches (berührt hier vielleicht auch wieder das Religiöse) und wird dann erst Gegenstand (Kunst), wenn der oder mehrere Betrachter sich ansprechen lassen, etwas mit- oder nacherleben. Wer oder bei wem finden sich dazu Gedanken?
Auch dies ist natürlich nur ein Fragment des Gesamtbegriffes „Kunst“, ein weites Feld eben.
Karl ich empfinde ähnlich, hätte es aber so eindrücklich niemals schreiben können.
baerliner so liebe ich ihn! Danke.
senhora Mich erstaunt diese vernichtende und abwertende Kritik jedes Mal, sie ist ungerechtfertigt , weil nur dem eigenen Geschmack folgend.
Die Bewertungen wirken lächerlich und bösartig, tatsächlich kreative Menschen würden wohl so nie reagieren.
Schauen sich die vermeintlichen Experten keine Galerien und Museen an?

http://www.brill-art.de/galerie/2008/index.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Beuys

Senhora
Medea "Deutungshoheiten" sind von ihrem eigenen angenommenen "künstlerischem Tun" so selbstverliebt umnebelt, da wird dann niedergemacht in ungehörigem bösartigem Ton, wer es wagt, seine "Arbeiten" ebenfalls in Augenhöhe zu präsentieren. Was diese Leute antreibt?
Wahrscheinlich die Vorstellung in die eigene Unfehlbarkeit: seht her, was ich schaffe, wie kann dann eine Matratze es wagen, daneben bestehen zu wollen.
Mir gefällt vieles auch nicht, aber muß deshalb Kritik verletzend und böse ausgespuckt werden?

minu Dein Text hat mir gut getan.
Emy

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