Geistesblitze
Edwin, den ich gestern im Einstein-Café traf, war hocherfreut, mich als alten Schulfreund wiederzutreffen. Wie lange hatten wir uns nicht mehr gesehen? Bestimmt waren es schon 20 Jahre her, dass unser letztes Treffen im Kreise der Teilnehmer über die Bühne ging. Gut, dass mich heute nicht ebenso freundliche Gedanken dabei beherrschten, konnte er nicht wissen. Hätte er es gewusst, wäre unser Treffen wohl viel schneller beendet worden, als es begann!
    »Mensch Alter!« Auf das Schulterklopfen hätte ich auch verzichten können, er konnte es einfach nicht lassen; schon damals ging es den meisten von uns auf den Keks, wenn er seine freundschaftlichen Annäherungsversuche immer recht eindringlich an den Mann - oder die Frau - brachte.
       Sei es wie es sei - Edwin hatte mich auserkoren, seine Lebensgeschichte ausführlich zu begutachten! Was blieb mir schon übrig, ich biss in den sauren Apfel und bekam die nächste Stunde trockene Ohren, weil ich dieselben auf Durchzug gestellt hatte. Gelegentliche Fragen, wie: »Was meinst du dazu?« konnte ich nur noch mit einem Kopfnicken beantworten, eine weitere Erwiderung ließ Edwin nicht zu, es hätte ja seinen Redefluss gestört.
       Als Edwin dann gegen drei Uhr meinte, er müsse jetzt leider gehen, da er einen wichtigen Vortrag nicht versäumen dürfe, atmete ich auf! Doch dann kam der Hammer: Er fragte mich ganz kess. warum ich denn gar nichts von mir erzählt hätte? Als ich darauf antworten wollte, kam wieder solch ein Schulterklopfen von ihm: »Ich schlage vor, du kommst einfach mit! Dich interessiert doch das Thema bestimmt. Nee, keine Widerrede, so schnell sehen wir uns ja nicht wieder!« 
Da stand ich nun, bedröppelt wie ein Sextaner. Innerlich hatte ich kapituliert. Und so schlich ich an Edwins Seite zur »Philologischen Gesellschaft«, die wöchentlich im »Haus des Parks« Gastreden von emeritierten Professoren zu Gehör brachte.
       Ich schaute auf meine Uhr: 15.30, hoffnungsvoll schaute ich Edwin an.es hatte ja schon angefangen, vielleicht ließen die uns gar nicht mehr hinein? Es war ein vergeblicher Wunsch - von den etwa 50 Stühlen im Saal waren noch 40 frei. Die Professorin hatte aus unerfindlichen Gründen auf Edwin gewartet und begrüßte ihn von ihrem Platz am Rednerpult mit überschwänglicher Empathie!
       Voller Erstaunen nahm ich neben Edwin Platz. Und, als ob alle nur auf uns gewartet hätten, begann die Veranstaltung. Ein ellenlanger Vortrag über das Für und Wider der Lieblosigkeit unter Geschwistern! Hätte ich dieses Thema vorher erfahren, wäre meine jährliche Winterschlafepisode vorgezogen worden, das schwöre ich! Aber meine - in Episoden ablaufende - Anhänglichkeit zu Edwin ließ mich alles aufnehmen, auch wenn ich nur die Kommata s und Ausrufezeichen spezifizierte. Ich war nämlich nach 5 Minuten schon eingeschlafen. Als ich erwachte - mit verhaltenem Gähnen, war niemand mehr im Saal!

Ich glaube nicht, dass Edwin mich noch einmal zu einer wissenschaftlichen Exkursion einladen wird. Und wisst Ihr was? Es ist mir völlig egal …

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Kommentare (2)

JuergenS

eigentlich wollte ich nun einen Vierzeiler erfinden, stattdessen suchte ich mal im Internet Sprüche zum Thema. Da gibt es viele, einer davon lautet:

"Ein Langweiler ist ein Mensch,
der redet, wenn du wünscht, dass er zuhört.


Zitat von Ambrose Bierce"

😃

Tulpenbluete13

Ja lieber Pan,

es scheint so zu sein...Menschen ändern sich nicht auch über einen recht langen Zeitraum des Wiedersehens nicht...Lach... Diese Erinnerung kam bei Dir bestimmt erst im Laufe des Tages wieder....
Solche Leute gibt es...leider..und ich kann Dich verstehen wenn Du Deinem Schulfreund beim nächstenmal einen Korb gibst. Er hat es nicht anders verdient....

mein schmunzelnd
Angelika


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