Gefährliche Begegnung
Das Schicksal bringt der Menschen Wege
oft miteinander ins Gehege.
Nachdem sie sich nie vorher sahn,
kreuzt sich auf einmal ihre Bahn,
wobei der eine mit Gewalt
beinahe auf den andern prallt.
Der eine etwa steht im Haus
und hat nur einen Wunsch: Hinaus!
Er denkt im Schein des trüben Licht
nichts Böses, noch genauer: Nichts.
Dem anderen, der draußen steht,
es grade umgekehrt ergeht,
obwohl, wie er die Schritte lenkt,
auch er nichts und nichts Böses denkt.
Bestrahlt von hellem Sonnenschein
hat er nur einen Wunsch: Hinein!
Doch gibt es eine Schwierigkeit:
Sie wollen es zur gleichen Zeit.
Gleichzeitig sind sie an der Tür,
die sie erwählt nach eigner Kür,
und keiner kennt in seinem Wahn
des andern Existenz und Plan.
Der eine zieht, der andre drückt;
was sie noch trennte, wird verrückt.
Der eine drückt, der andre zieht;
ein Unglück droht, falls es geschieht.
Im allerletzten Augenblick
springt jeder einen Schritt zurück.
Von unbekannten Hindernissen
so heftig aus der Bahn gerissen,
probieren sie, den Geist zu sammeln,
wobei sie wirre Worte stammeln,
die eindrucksvoll begleitet werden
von liebenswürdigen Gebärden,-
ein mittelalterlicher Tanz
voll Meisterschaft und Eleganz.
Ein jeder zeigt sich höchst zufrieden,
weil schlimmere Gefahr vermieden,
und deutet taktvoll an, er wolle,
dass erst der andre gehen solle.
So tauschen sie geraume Zeit
Beweise ihrer Höflichkeit.
Doch dann wird das Brimborium
den Hauptbeteiligten zu dumm.
Sie schmieden stumm und heimlich Pläne,
und plötzlich ändert sich die Szene.
Denn beide stoßen wie im Zorn,
doch ohne Warnungsruf nach vorn,
getrieben von der Raserei,
der schmale Weg zum Glück sei frei.
Ein dumpfer Schmerzensschrei erklingt,
als ob wer mit dem Tode ringt,
wonach sich zwei Beinaheleichen
mit letzter Kraft vom Schlachtfeld schleichen.
Das Fazit des Zusammenpralls
ist kompliziert und keinesfalls
als Minus oder Plus verbucht.
Es sei nichtsdestotrotz versucht:
Der Mensch ist, wie er`s immer war,
im Grunde unberechenbar,
entgegenkommend und verletzend,
nachgiebig und sich widersetzend.
Daher das Spannungselement
sogar bei Menschen, die man kennt.
Kommentare (6)
.... Eugen Roth ("Ein Mensch schreibt mitternächtig tief, an die Geliebte einen Brief" u.a.) hätte es nicht treffender formulieren können. Manchmal (falls man es unverletzt übersteht) kann so ein Höflichkeitstanz ja auch zu einer schönen Begegnung führen.
Schöne, unverhoffte Begegnungen zwischen Tür und Angel
wünscht Dir
Ella
An die Geliebte einen Brief,
Der schwül und voller Nachtgefühl.
Sie aber kriegt ihn morgenkühl,
Liest gähnend ihn und wirft ihn weg.
Man sieht, der Brief verfehlt den Zweck.
Der Mensch, der nichts mehr von ihr hört,
Ist seinerseits mit Recht empört
Und schreibt am hellen Tag, gekränkt
Und saugrob, was er von ihr denkt.
Die Liebste kriegt den Brief am Abend,
Soeben sich entschlossen habend,
Den Menschen dennoch zu erhören
Der Brief muß diesen Vorsatz stören.
Nun schreibt, die Grobheit abzubitten,
Der Mensch noch einen zarten dritten
Und vierten, fünften, sechsten, siebten
Der herzlos schweigenden Geliebten.
Doch bleibt vergeblich alle Schrift,
Wenn man zuerst daneben trifft.
Ein kluger Mann, der Eugen Roth. Also auf die Schönheit der unverhofften Begegnungen von Anfang an achten.
Lieber Christoph,
toll, ich ziehe meinen imaginären Hut.
Die Situation kennt wohl jeder, wenn er auf dem Gehsteig jemandem,der entgegenkommt ausweicht. Der andere weicht in die gleiche Richtung. Das kann man ein paarmal tun. Dann bleibt (meistens) der eine stehn usw.usf.
Du hast das köstlich in Reime gesetzt, ein wenig überzeichnet, aber immer treffend.
Ich habe es schmunzelnd gelesen..
Danke dafür
einen lieben Gruß zum Wochenende
Angelika
Schöne, unverhoffte Begegnungen, gern jederzeit und überall, zum Beispiel auch hier im ST, aber ungern zwischen Tür und Angel.