Erinnerungen auffrischen
Spatz war in den Keller hinab gestiegen. Sie suchte dort Abgelegtes, das doch zu einem Geschenk für ihren Ältesten gebastelt werden könnte. Spatz hat ihre Tagebücher hervor gekramt. Was und wie war das vor fünfzig Jahren, als der Bub, ihr Ältester, geboren wurde?!
Da setzte sie sich hin in dem dunklen, vollgestopften Verließ, blätterte, las, und die Erinnerungen kamen hoch. Sie fischte aus den abgelegten Büchern und Zeitschriften heraus, was sie, nachdem sie Witwe wurde, den Umzug überstanden hatte, in den Jahren gesammelt hatte.
Da waren Hefte eines Verlages, der Touren per Fahrrad beschrieb und die Reiserouten mit Fotos illustrierte. Wie viele der Touren hat Spatz mit ihrer „Radfahr-Inge“ gemacht?! Bei allen Touren, die wir heute (ohne Radl) unternehmen, kann sie stolz verkünden, dass sie da schon waren.
Wir hatten vor einiger Zeit davon gesprochen, dass es doch im kommenden Jahr eine Rhein-Tour geben sollte. Der Rhein dann von mir vorgestellt in einer Reise mit wenigstens einer Woche Dauer. Obwohl Spatz schon mal mit dem Bus in Rüdesheim und so war, ich möchte ihr das Ganze zwischen Bonn und Mainz ausführlich zeigen.
Und was grub Spatz noch aus? Einen Farbbild-Führer „Rhein, von Mainz bis Köln, mit Rheinlauf-Karte“. Wir zogen die in Ziehharmonika-Weise gefaltete Karte aus und …
Nun war ich in meinem Element! Ich kannte da doch einmal Weg und Steg entlang dem Rhein. Ich konnte ohne zu lesen (man gerade mit dem Zeigefinger an Stellen hinweisend) aufzählen und erklären, was wir da finden können und werden. Es war fast wie das neugierige und erwartungsvolle „in ein Fenster vom Adventskalender schauen“.
Da stand Alles aus den Jahren meines Lebens und dem Wohnen im Rheinland auf, die Fahrten mit dem Rad, dem Moped, dem Auto, der Bahn und per Schiff. Alle Vierteljahre, die ich in Porz am Rhein meinen Stabsdienst verbrachte, gab’s eine Dienstreise in Richtung München und so, also im IC bequem in der 1.Klasse von Köln aus.
Der Sitz am Fenster des Zuges und das Schauen auf „Vater Rhein“, der z.Z. gerade wieder einmal Niedrigwasser hat. So niedrig, wie ich das in 1949 bei meiner ersten Radtour rheinaufwärts im Bopparder Bogen erlebte, wo die „Hungersteine“ sichtbar waren.
Da grüßt die Marksburg über Braubach herunter. Und schon weiter nördlich grüßt die Burg Stolzenfels am linken Steilufer herunter, und rechts begleiten zwei Burgen und Städtchen den Zufluss der Lahn zum Rhein Ober- und Nieder-Lahnstein.
Und dann bist du im Zug traurig, dass, wenn du rechtsrheinisch mitfährst, der Zug die Loreley in einem Tunnel unterfährt. St.Goar liegt am linken Rheinufer, St.Goarshausen gegenüber am rechten Ufer. Nur etwas kann man ganz sicher beiderseits sehen: die Pfalz bei Kaub und den Binger Mäuseturm.
Ich war manches Mal Reiseführer dabei, wenn amerikanische Familien auf dem Wege nach Heidelberg waren und sich die Nasen am Fenster plattdrückten. Mir machte das einen Riesenspaß, das Alles zu erklären.
Wie auch immer, wenn du da gefahren bist in dem engen Tal durch das Rheinische Schiefergebirge, dann wusstest du aus dem Erdkunde-Unterricht, dass
• zwischen Köln und Bonn rechts das Bergische Land sich vom Rhein nach Osten ausdehnt, aus dem Wupper und Sieg herunter kommen, und links das Vorgebirge liegt, von dem Wasser der Rur und Erft zum Rhein gelangt,
• zwischen Bonn und Bad Honnef rechts die Basaltstöcke grüßen, die Teil des Siebengebirges sind, so mit Petersberg, Löwenburg und Drachenfels, und links vom Rhein vor der Vulkan-Eifel die Godesburg und der Rodderberg winken,
• zwischen Bad Honnef und Koblenz rechts vom Rhein über dem Westerwald der Wind ganz kräftig weht, aus dem unter anderem die Wied in Neuwieder Becken fließt, linker Hand es vorbei an Remagen mit seinem Brücken-Torso geht, dann weiter stromaufwärts die Ahr bei Bad Sinzig Wasser statt des Weines anbringt,
„Wer weiß, dass er an der Ahr war, der war nicht an der Ahr – und wer nicht weiß, dass er an der Ahr war, der war bestimmt an der Ahr“ – so sangen die Reisenden aus dem Ruhrgebiet, wenn sie mit dem Ahr-Wein in Berührung gekommen waren,
• bei / in Koblenz am Deutschen Eck kommt die Mosel mit dem Wasser der Saar heran, ein linker Zufluss, den rechtsrheinisch die Fest Ehrenbreitstein bremst.
Hier beginnt der Romantische Teil der Rhein-Prosa – es waren die Engländer, die im achtzehnten Jahrhundert hier mit langsam und stetig anwachsendem Fremdenverkehr das Ganze publik machten.
Der Rheinländer ist ein fröhlicher Menschen-Typ, der immer in guter Laune ist, doch eines musst du wissen, wenn du dich mit ihm einlässt:
Sagt er Dir zu, dass er gleich kommt, dann dehne dieses „gleich“ auf Stunden, Tage oder Wochen. „Mirr hett jo jett Zig“ will sagen „Man hat ja etwas Zeit“. Und die solltest du mitbringen zum Rhein. Du wirst kommen – du versprichst das. Steht unser Reisetermin schon fest?
Im Kalender 2012 stehen schon einige Termine. Wie wäre es nach Ostern und vor Pfingsten? Dann sind noch relativ wenige Ausflügler unterwegs. Wir könnten dann wieder ohne Reservierungen das Ganze erkunden.
Und gestern Abend in einer Talkshow war da eine Dame, ein „Mächen“ aus Bonn-Endenich: Ach war das irgendwie heimelig, ihr zuzuhören, diesem flotten Schnodderigsein (obwohl sie keine geborene Rheinänderin ist) – die Eltern (und damit bis zu unserem Abflug aus dem Nest) wohnten in der Endenicher Allee, also gleich um die Ecke zu Endenich.
Und auch das kam hoch: an Heiligabend bin ich immer nach der Bescherung mit meiner zweiten Schwester durch die schwach beleuchteten Straßen runter zum Rhein gewandert, sind vorbei am Beethoven-Platz, wo der im Brunnen aufgestellte Weihnachtsbaum mit einem herrlichen Eispanzer stand, blickten am Markt die Treppe vom Rathaus hinauf, wechselten hinaus durch’s Koblenzer Tor in die Koblenzer Straße, bogen am Ernst-Moritz-Arndt-Haus ab zum Alten Zoll hinunter auf die da am Ufer festgemachten Lastkähne eines Schleppzuges geschaut, an deren Bordwänden die Wellen des Rheinwassers brachen.
Und danach haben wir auch geschaut: am linken Brückenpfeiler gibt es eine Skulptur, das „Bröckemänsche“. Kennst du die Geschichte dazu?
Die Bonner haben die Beueler (das sind die auf der „Schäle Sigg“ (der schielenden Seite) wohnenden, jetzt Bönnschen) sich nicht an den Kosten aus dem Bau der Rheinbrücke beteiligt. Die Bonner zeigten Humor und setzen die Skulptur, ein Männlein, das seinen Allerwertesten in Richtung Beuel, an ihren Pfeiler.
Als man nach dem Kriege 1949 (am 12.November! da sind wir nach Bonn gezogen!) die jetzige neu gebaute, heutige Kennedy-Brücke freigab, war gerade die Entscheidung für Bonn zur Bundeshauptstadt zum Nachteil Frankfurt am Main gefallen, da setzten die Bonner das wiedergefundene Brückenmännchen mit seinem Hinterteil in Richtung Frankfurt an.
Und nun ist Bonn eine Europa-Stadt, durch die immer noch der Rhein fließt. Von Süden kommt das Wasser und dein Blick wird da das Siebengebirge erspähen.
Fahr‘ mal hin!
ortwin
Da setzte sie sich hin in dem dunklen, vollgestopften Verließ, blätterte, las, und die Erinnerungen kamen hoch. Sie fischte aus den abgelegten Büchern und Zeitschriften heraus, was sie, nachdem sie Witwe wurde, den Umzug überstanden hatte, in den Jahren gesammelt hatte.
Da waren Hefte eines Verlages, der Touren per Fahrrad beschrieb und die Reiserouten mit Fotos illustrierte. Wie viele der Touren hat Spatz mit ihrer „Radfahr-Inge“ gemacht?! Bei allen Touren, die wir heute (ohne Radl) unternehmen, kann sie stolz verkünden, dass sie da schon waren.
Wir hatten vor einiger Zeit davon gesprochen, dass es doch im kommenden Jahr eine Rhein-Tour geben sollte. Der Rhein dann von mir vorgestellt in einer Reise mit wenigstens einer Woche Dauer. Obwohl Spatz schon mal mit dem Bus in Rüdesheim und so war, ich möchte ihr das Ganze zwischen Bonn und Mainz ausführlich zeigen.
Und was grub Spatz noch aus? Einen Farbbild-Führer „Rhein, von Mainz bis Köln, mit Rheinlauf-Karte“. Wir zogen die in Ziehharmonika-Weise gefaltete Karte aus und …
Nun war ich in meinem Element! Ich kannte da doch einmal Weg und Steg entlang dem Rhein. Ich konnte ohne zu lesen (man gerade mit dem Zeigefinger an Stellen hinweisend) aufzählen und erklären, was wir da finden können und werden. Es war fast wie das neugierige und erwartungsvolle „in ein Fenster vom Adventskalender schauen“.
Da stand Alles aus den Jahren meines Lebens und dem Wohnen im Rheinland auf, die Fahrten mit dem Rad, dem Moped, dem Auto, der Bahn und per Schiff. Alle Vierteljahre, die ich in Porz am Rhein meinen Stabsdienst verbrachte, gab’s eine Dienstreise in Richtung München und so, also im IC bequem in der 1.Klasse von Köln aus.
Der Sitz am Fenster des Zuges und das Schauen auf „Vater Rhein“, der z.Z. gerade wieder einmal Niedrigwasser hat. So niedrig, wie ich das in 1949 bei meiner ersten Radtour rheinaufwärts im Bopparder Bogen erlebte, wo die „Hungersteine“ sichtbar waren.
Da grüßt die Marksburg über Braubach herunter. Und schon weiter nördlich grüßt die Burg Stolzenfels am linken Steilufer herunter, und rechts begleiten zwei Burgen und Städtchen den Zufluss der Lahn zum Rhein Ober- und Nieder-Lahnstein.
Und dann bist du im Zug traurig, dass, wenn du rechtsrheinisch mitfährst, der Zug die Loreley in einem Tunnel unterfährt. St.Goar liegt am linken Rheinufer, St.Goarshausen gegenüber am rechten Ufer. Nur etwas kann man ganz sicher beiderseits sehen: die Pfalz bei Kaub und den Binger Mäuseturm.
Ich war manches Mal Reiseführer dabei, wenn amerikanische Familien auf dem Wege nach Heidelberg waren und sich die Nasen am Fenster plattdrückten. Mir machte das einen Riesenspaß, das Alles zu erklären.
Wie auch immer, wenn du da gefahren bist in dem engen Tal durch das Rheinische Schiefergebirge, dann wusstest du aus dem Erdkunde-Unterricht, dass
• zwischen Köln und Bonn rechts das Bergische Land sich vom Rhein nach Osten ausdehnt, aus dem Wupper und Sieg herunter kommen, und links das Vorgebirge liegt, von dem Wasser der Rur und Erft zum Rhein gelangt,
• zwischen Bonn und Bad Honnef rechts die Basaltstöcke grüßen, die Teil des Siebengebirges sind, so mit Petersberg, Löwenburg und Drachenfels, und links vom Rhein vor der Vulkan-Eifel die Godesburg und der Rodderberg winken,
• zwischen Bad Honnef und Koblenz rechts vom Rhein über dem Westerwald der Wind ganz kräftig weht, aus dem unter anderem die Wied in Neuwieder Becken fließt, linker Hand es vorbei an Remagen mit seinem Brücken-Torso geht, dann weiter stromaufwärts die Ahr bei Bad Sinzig Wasser statt des Weines anbringt,
„Wer weiß, dass er an der Ahr war, der war nicht an der Ahr – und wer nicht weiß, dass er an der Ahr war, der war bestimmt an der Ahr“ – so sangen die Reisenden aus dem Ruhrgebiet, wenn sie mit dem Ahr-Wein in Berührung gekommen waren,
• bei / in Koblenz am Deutschen Eck kommt die Mosel mit dem Wasser der Saar heran, ein linker Zufluss, den rechtsrheinisch die Fest Ehrenbreitstein bremst.
Hier beginnt der Romantische Teil der Rhein-Prosa – es waren die Engländer, die im achtzehnten Jahrhundert hier mit langsam und stetig anwachsendem Fremdenverkehr das Ganze publik machten.
Der Rheinländer ist ein fröhlicher Menschen-Typ, der immer in guter Laune ist, doch eines musst du wissen, wenn du dich mit ihm einlässt:
Sagt er Dir zu, dass er gleich kommt, dann dehne dieses „gleich“ auf Stunden, Tage oder Wochen. „Mirr hett jo jett Zig“ will sagen „Man hat ja etwas Zeit“. Und die solltest du mitbringen zum Rhein. Du wirst kommen – du versprichst das. Steht unser Reisetermin schon fest?
Im Kalender 2012 stehen schon einige Termine. Wie wäre es nach Ostern und vor Pfingsten? Dann sind noch relativ wenige Ausflügler unterwegs. Wir könnten dann wieder ohne Reservierungen das Ganze erkunden.
Und gestern Abend in einer Talkshow war da eine Dame, ein „Mächen“ aus Bonn-Endenich: Ach war das irgendwie heimelig, ihr zuzuhören, diesem flotten Schnodderigsein (obwohl sie keine geborene Rheinänderin ist) – die Eltern (und damit bis zu unserem Abflug aus dem Nest) wohnten in der Endenicher Allee, also gleich um die Ecke zu Endenich.
Und auch das kam hoch: an Heiligabend bin ich immer nach der Bescherung mit meiner zweiten Schwester durch die schwach beleuchteten Straßen runter zum Rhein gewandert, sind vorbei am Beethoven-Platz, wo der im Brunnen aufgestellte Weihnachtsbaum mit einem herrlichen Eispanzer stand, blickten am Markt die Treppe vom Rathaus hinauf, wechselten hinaus durch’s Koblenzer Tor in die Koblenzer Straße, bogen am Ernst-Moritz-Arndt-Haus ab zum Alten Zoll hinunter auf die da am Ufer festgemachten Lastkähne eines Schleppzuges geschaut, an deren Bordwänden die Wellen des Rheinwassers brachen.
(Nun ist gleich Weihnachten!)
Und danach haben wir auch geschaut: am linken Brückenpfeiler gibt es eine Skulptur, das „Bröckemänsche“. Kennst du die Geschichte dazu?
Die Bonner haben die Beueler (das sind die auf der „Schäle Sigg“ (der schielenden Seite) wohnenden, jetzt Bönnschen) sich nicht an den Kosten aus dem Bau der Rheinbrücke beteiligt. Die Bonner zeigten Humor und setzen die Skulptur, ein Männlein, das seinen Allerwertesten in Richtung Beuel, an ihren Pfeiler.
Als man nach dem Kriege 1949 (am 12.November! da sind wir nach Bonn gezogen!) die jetzige neu gebaute, heutige Kennedy-Brücke freigab, war gerade die Entscheidung für Bonn zur Bundeshauptstadt zum Nachteil Frankfurt am Main gefallen, da setzten die Bonner das wiedergefundene Brückenmännchen mit seinem Hinterteil in Richtung Frankfurt an.
Und nun ist Bonn eine Europa-Stadt, durch die immer noch der Rhein fließt. Von Süden kommt das Wasser und dein Blick wird da das Siebengebirge erspähen.
Fahr‘ mal hin!
ortwin
Kommentare (2)
Komet
wunderbar habt Ihr Beide Eure Erinnerungen aufgefrischt.
Es hat mir sehr viel Freude gemacht, Deinen Bericht zu lesen.
Hoffentlich kannst Du Deine Rheinfahrt bei gutem Wetter planen. Dann macht es doppelten Spass.
Und vor allen Dingen, dass Ihr beide gesund bleibt.
Ich wünsche Euch einen wunderbaren 2.Advent.
Herzliche Grüße Ruth.
Es hat mir sehr viel Freude gemacht, Deinen Bericht zu lesen.
Hoffentlich kannst Du Deine Rheinfahrt bei gutem Wetter planen. Dann macht es doppelten Spass.
Und vor allen Dingen, dass Ihr beide gesund bleibt.
Ich wünsche Euch einen wunderbaren 2.Advent.
Herzliche Grüße Ruth.
für das "Deutsche Eck", so mit Reiter.
Es hat lange, lange gedauert, bis es den "Franzosen" nichts mehr ausmachte, das Deutsche Eck mit Reiter zu zu lassen.
Oh, ja, die Franzosen waren ganz schön böse auf uns - und vor vierzig Jahren:
als ich die Loire herunter fuhr, da eine Bleibe mit dem Michelin in der Hand anlief, wurde mir die Zusage der Frau des Hauses durch den Herrn der Kaschemme mit den Wort "Bosch!" wieder entzogen.
Am nächsten Tag aber auf einem Picknick-Platz radebrechten Leutchen aus der Normandie in deutsch-englisch-französisch mit uns - einfach so brüderlich. Lang lang ist's her.
ortwin