Erinnerungen an meine Reisen nach Polen
Denn Anfang Juni machten sich meine Mutter, ihr Partner und ich auf den Weg nach Polen.
Dazu bedarf es einer einleitenden Erklärung:
Wie schon andernorts geschildert, verlebte meine Mutter ihre ersten 24 Jahre in Schlesien, genauer im heutigen Stara Gora, geboren wurde sie in Kainzen (Kajęcin) unweit von Stara Gora entfernt. Im Januar 1945 musste auch sie vor den Russen fliehen und zwar zusammen mit einer Offiziersfamilie in Richtung Ostdeutschland, genauer nach Worbis. Die Offiziersgattin hatte drei Kindern, wobei das Dritte unterwegs geboren wurde.
Die Familienangehörigen meiner Mutter lebten schon lange nicht mehr in Schlesien, sondern in der Schweiz, wo sie ihren Ursprung hatten. Daher war auch für meine Mutter das Ziel die Schweiz.
Mein Grossvater, der als Minderjähriger „Melker“ zusammen mit einem Freund die Schweiz verliess, um nach Schlesien auszuwandern und dort eine Familie und ein Bauerngut zu gründen, verstarb im 1942 eines natürlichen Todes. Seine Frau, meine Grossmutter verstarb bereits sehr früh, als meine Mutter erst 7 Jahre alt war.
Meine Mutter war das jüngste Kind von Sieben und blieb daher beim Vater, der mit der Zeit noch eine Magd einstellte, um die Arbeit zu schaffen. Nebenbei bemerkt gebar diese Magd irgendwann ein Mädchen – vermutlich eine Halbschwester meiner Mutter(?)
Nun zu unserer Reiseabsicht:
Meine Mama erzählte stets viele Geschichten aus ihrer schlesischen Heimat. Und irgendwann kam der Tag, wo sie beschlossen hat, ihre alte Heimat aufzusuchen, um herauszufinden, was sie dort erwartet, ob ihr Bauernhof noch steht, ob die Ländereien bearbeitet sind usw.
Also packten wir die Koffer, hievten das Zelt auf das Autodach und los ging die Reise.
Im Jahre 1969 gab es ja noch keine Besuchs- und Reiseverträge zwischen Ost- und Westdeutschland, sodass wir via Österreich und der Tschechoslowakei nach Polen reisten.
Viele erinnern sich bestimmt noch an die Zeiten des Prager Frühlings, dessen Auswirkungen auch noch im Jahre 1969 zu spüren waren und zwar durch demontierte Strassenschilder. Mit einer simplen Strassenkarte fanden wir tatsächlich via Prag nach Polen. Ich erinnere mich sehr gut an die ausdruckslosen, ernsten Gesichtern in Tschechien im Gegensatz zu den freundlichen und entspannten Gesichtern in Polen.
Trotz der ernsten Gesichter, ist mir etwas ausserordentlich erfreuliches passiert:
irgendwo in Tschechien (an die Ortsnamen kann ich mich nicht mehr erinnern) in der Nähe von grossen Schulferienhäusern, etwas abseits von der Hauptstrasse, machten wir Halt mit der Absicht, ohne grossen Aufwand zu nächtigen. Es war schon dunkel und wir waren sehr müde. Wir sassen auf Klappstühlen beim Auto und assen irgendetwas. Plötzlich kamen ein paar junge Leute auf uns zu, stellten sich vor als Schüler, die in den Schulferienhäusern ihre Ferien verbrachten. Die Schüler fragten mich, ob ich nicht doch die Nacht bei ihnen im Schlafsaal verbringen möchte, bei ihnen sei noch ein Bett frei. Natürlich sprachen sie kein Deutsch und ich kein Tschechisch, jedoch mit Händen und Füssen und ein wenig Englisch kamen wir sehr gut zurecht. Das war doch eine tolle Geste dieser jungen Leute zu Zeiten, wo immer noch die Besetzung durch das Militär der Nachbarländer wegen des Prager Frühlings in den Wäldern versteckt waren. Ich freute mich jedenfalls sehr über so viel Aufmerksamkeit und Freundlichkeit.
Am nächsten Tag ging die Reise dann mit der primitiven Strassenkarte weiter und wir erreichten tatsächlich die Grenze zu Polen. Die Abfertigung an der Polnischen Grenze erfolgte problemlos und die Fahrt ging weiter nach Breslau. Dort eingetroffen, ging die Suche nach dem Campingplatz los, der in einem Campingführer eingetragen war. Auch den fanden wir und stellten das Zelt auf.
An die Campingplatzbetreiber kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an eine Mitarbeiterin, die tatsächlich Deutsch sprach. Auf unsere Frage, warum sie das Deutsch könne, erklärte sie uns, dass sie damals, als die Deutschen aus Schlesien raus mussten, sie und ein paar wenige andere sich versteckten. Sie beherrschte auch die Polnische Sprache, was damals schon nicht unüblich war, denn je nach Wohnort befanden man sich nahe an der Polnischen Grenze, wo natürlich auch der Warenhandel gepflegt wurde.
Hier in Breslau endet nun meine erste Reise nach Polen. In absehbarer Zeit werde ich die eine oder andere Geschichte erzählen, die sich ergeben haben und recht spannend sind.
Also, Fortsetzung folg.
Jutta
Kommentare (8)
Guten Morgen, liebe Jutta,
auch ich freue mich auf die Fortsetzung. Das ist immer spannend, Reisen in die Vergangenheit lesen zu können.
Schon die Anreise bis hierhin hörte sich gut an. Frage, hast du denn im Schlafsaal geschlafen oder doch lieber zusammen mit deiner Familie?
Liebe Grüsse und mit Dank an deinen Blog von
Ingrid
@indeed
Liebe Ingrid,
Ja, ich habe tatsächlich im Schlafsaal geschlafen und sogar gut! Ich erinnere mich nicht mehr, wie viele Schülerinnen in diesem Schlafsaal waren, aber ich erinnere mich, dass ich etwas gehemmt war, weil man mich mit so grossen und verwunderten Augen angeschaut hatte, als wäre ich gerade vom Mond runtergekommen. Mir war natürlich bewusst, dass ich eben vom "Westen" und erst noch aus der Schweiz war - das löste oft auf den Reisen noch mehr (unnötige) Bewunderung aus, insbesondere dann, wenn man einfach daher kam.
Hätte ich nicht im Schlafsaal geschlafen, wäre mein Schlafplatz draussen neben dem Auto gewesen und meine Mutter und ihr Partner schliefen im Auto.
Liebe Grüsse
Jutta
@Jutta
So bist du also aufgeschlossen gewesen (schon damals) und das finde ich super.
Wenn du wüsstest, wie oft ich im Käfer geschlafen habe . . . (mit meinem Mann) wenn wir durch das südliche Afrika unsere Touren machten.
Oder wir schliefen im primitiven Zelt, welches noch nicht einmal einen Boden hatte und die Löcher im Gras verstopften wir mit Flaschen . . . wegen der Schlangen.
Wenn man jung ist, geht halt vieles mehr als heutzutage. Außerdem ist das Reisen ohne Gruppe heute viel zu gefährlich. Die Zeiten haben sich auch dort sehr verändert. Ich bin glücklich und dankbar dafür, dass ich alles dies erleben durfte. Ich lebte gut 4 Jahre in RSA.
Herzlichst Ingrid
Ich freue mich auf die Fortsetzung.
(vor einigen Jahren habe ich Breslau besucht, begeistert und beeindruckt war ich von der Stadt und den Menschen dort.. ..)
Gruesse sendet Chris33
@chris33
Liebe Chris,
Wenn du vor ein paar Jahren Breslau besucht hast, dann hat sich die Stadt seit 1969 sicher sehr verändert. Aber auch ich fand die Stadt damals sehr schön, wobei auch noch grosse Schutthaufen aus der Kriegszeit zu sehen waren.
An der nächsten Reiseerinnerung bastle ich bereits und
grüsse dich bis dahin herzlich
Jutta
Liebe Jutta,
ich freu mich schon auf die Fortsetzung. Ich lese gerne Reiseberichte, die du so spannend schildern kannst. Weiter so.
Viel Spass beim Schreiben.wünscht Luise
@pfundig
Liebe Luise,
Danke, Luise, ich feile bereits an der fortsetzenden Erinnerung. Bis dahin
sei herzlich gegrüsst
Jutta
Liebe Jutta,
deine plastisch-schöne Reiseschilderung – sie macht sogleich Freude auf mehr – zeigt, wie abenteuerlich das Reisen um 1970 herum im damaligen Europa noch war. Aber wenigstens konntest du in diesen Jahren schon international reisen, was v.a. vielen Menschen der osteuropäischen Hemisphäre aus verschiedensten Gründen absolut versagt war und erst ab 1989 möglich wurde.
Auf die nächste Folge deines Reiseberichtes über Polen freut sich
Syrdal