Er fiel mir auf: Sebastian Haffner
Sebastian Haffner? Wer war das noch gleich? Haffner, der Name ist wohl nur noch wenigen unter uns bekannt. Er war seit seiner Rückkehr aus der Emigration in England ein sehr bekannter Journalist, Publizist und Schriftsteller. Gestorben ist er 1999 im Alter von 92 Jahren. Ich lernte seine Veröffentlichungen schon sehr früh kennen und schätzen, sein 1973 erschienenes Buch »Von Bismarck zu Hitler« zog mich schon in seinen Bann. Bis heute hat dieses zuerst 1978 erschienene Buch nichts von seiner Bedeutung verloren. Wie keine zweite Darstellung über den Nationalsozialismus leisteten die «Anmerkungen zu Hitler» für mich einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis deutscher Vergangenheit – und damit auch unserer Gegenwart.
Ich lernte diesen Mann unter seltsamen Bedingungen persönlich kennen, nachdem ich schon einige seiner Veröffentlichungen gelesen hatte, ihn auch schon mehrfach im TV sah, z.B. beim damals beliebten »Frühschoppen mit Werner Höfer« in der ARD.
Eines Morgens stand ich auf dem Bahnsteig in Hamburg-Bergedorf, als ich in die Innenstadt von Hamburg fahren wollte. Beim Warten auf die nächste S-Bahn fiel er mir auf, sein ausdrucksvolles Gesicht war unverwechselbar. Von seinem Outfit konnte man nicht unbedingt ablesen, welch eine Koryphäe da neben mir stand. Ein unscheinbarer »Staubmantel«, (wie man diese Form damals nannte) zu einem tristgrauen Anzug, eine nachlässig gebundene Krawatte, zeigte mir an, dass Mode nicht unbedingt ein überaus wichtiges Accessoire für ihn zu sein schien.
Als wir so einige Zeit nebeneinander auf den Zug aus Richtung Aumühle warteten, konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn immer wieder anzuschauen. Ich weiß natürlich heute, nach 40 Jahren, dass dies ein völlig ungehöriges Benehmen war; damals jedoch war ich so beeindruckt von ihm, dass es mir anscheinend gleich war. Jedenfalls sah Herr Haffner mich plötzlich an.
»Gefällt Ihnen meine Nase nicht? Oder ist es der Bart, der Sie stört?«
Ich war in dem Augenblick völlig konsterniert und stotterte irgendetwas vor mich hin.
Dann lachte er herzlich auf, wahrscheinlich, weil er mein verdattertes Gesicht sah. Ich entschuldigte mich für mein unmanierliches Verhalten, doch mit einer kleinen Handbewegung, so als wische er ein paar Krümel vom Tisch, meinte er dann »Papperlapapp, da bin ganz anderes gewöhnt«, ging er darüber hinweg. Wir schauten beide in die Richtung, aus der unser Zug kommen sollte. Eine Lautsprecherdurchsage informierte dann aber die Wartenden, dass der Fahrplan etwas durcheinander gekommen sei und wir noch zehn Minuten Geduld haben müssten.
Herr Haffner wendete sich mir wieder zu:
»Was soll’s. Die Zeit läuft so und so weiter. Vielleicht muss es so sein? Ist es nicht möglich, dass das Schicksal es so fügt? Oder wissen Sie es genau, warum Sie mich so fragend anschauten?«
Ich schüttelte den Kopf. Was hätte ich auch sagen können? Allmählich war meine Befangenheit aus meinen Gedanken gewichen. Urplötzlich befanden wir uns in einem interessanten Gespräch, wie ich es bisher selten geführt hatte. Wir teilten unsere Ansichten über unser Dasein und die unendlichen Möglichkeiten, die uns das Leben bietet, die wir jedoch selten nutzen, weil sie nicht rechtzeitig erkannt werden. Es war für mich, den bisher stets auf dem realen Hintergrund des Lebens stehenden Menschen, eine interessante Erfahrung, meine eigenen Ansichten von einer ganz neuen Denkweise aus zu betrachten. All das spielte plötzlich eine völlig andere Rolle in meinem Gedankengang, als ich es zuvor sah.
Es war eine Art der Prädestination, der ich bisher den Vorrang gab für alles, das meinen eigenen Lebenslauf bestimmte. Unverhofft, völlig ohne Vorwarnung, war bei mir eine Veränderung eingetreten, die ich so schnell nicht begreifen konnte. Ich entwickelte einen Sinn für das »Lesen zwischen den Zeilen«, das für mich etwas Neues war war.
Ich verstand nach unserem Dialog, warum einige Historiker nach Haffners Rückkehr nach Deutschland geradezu manisch versucht hatten, ihn von dem Sockel zu stoßen, auf den er sich ganz bestimmt nie gestellt hatte! Was machte seine »Geschichte eines Deutschen« beispielsweise so unbequem, dass man Angst vor den Aussagen hatte?
Ich fragte ihn damals genau nach diesem Punkt, weil der mir besonders aufgefallen war. »Ja«, meinte er dazu, »Vielleicht war es der unbequeme Beweis, dass man alles, was geschah, schon früher hätte wissen müssen? Wissen Sie«, sagte er dann, »ich war kein Engländer in der Zeit, als ich dort lebte, ich sprach ein schauderhaftes Englisch, jeder erkannte gleich, dass ich Deutscher war.« Er lächelte verschmitzt.
Bei unserem lebhaften Gespräch hatten wir beide vollkommen übersehen, dass wir inzwischen an der S-Bahn-Station Krupunder angekommen waren!
Und Krupunder liegt etwa so weit vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt, wie unser Einstiegsbahnhof Bergedorf! Was war geschehen? Wir hatten während unseres äußerst lebhaften Gesprächs vergessen, am Ziel, dem Hauptbahnhof, auszusteigen!
Das Gute daran: Nachdem wir ausgiebig über dieses Versäumnis gelacht hatten, blieb uns nochmals etwas Zeit, das Gespräch zu verlängern. Der Abschied danach war herzlich, fast freundschaftlich. Ich sah Herrn Haffner nie wieder, aber er wird mir immer in Erinnerung bleiben!
©by H.C.G.Lux
Ich lernte diesen Mann unter seltsamen Bedingungen persönlich kennen, nachdem ich schon einige seiner Veröffentlichungen gelesen hatte, ihn auch schon mehrfach im TV sah, z.B. beim damals beliebten »Frühschoppen mit Werner Höfer« in der ARD.
Eines Morgens stand ich auf dem Bahnsteig in Hamburg-Bergedorf, als ich in die Innenstadt von Hamburg fahren wollte. Beim Warten auf die nächste S-Bahn fiel er mir auf, sein ausdrucksvolles Gesicht war unverwechselbar. Von seinem Outfit konnte man nicht unbedingt ablesen, welch eine Koryphäe da neben mir stand. Ein unscheinbarer »Staubmantel«, (wie man diese Form damals nannte) zu einem tristgrauen Anzug, eine nachlässig gebundene Krawatte, zeigte mir an, dass Mode nicht unbedingt ein überaus wichtiges Accessoire für ihn zu sein schien.
Als wir so einige Zeit nebeneinander auf den Zug aus Richtung Aumühle warteten, konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn immer wieder anzuschauen. Ich weiß natürlich heute, nach 40 Jahren, dass dies ein völlig ungehöriges Benehmen war; damals jedoch war ich so beeindruckt von ihm, dass es mir anscheinend gleich war. Jedenfalls sah Herr Haffner mich plötzlich an.
»Gefällt Ihnen meine Nase nicht? Oder ist es der Bart, der Sie stört?«
Ich war in dem Augenblick völlig konsterniert und stotterte irgendetwas vor mich hin.
Dann lachte er herzlich auf, wahrscheinlich, weil er mein verdattertes Gesicht sah. Ich entschuldigte mich für mein unmanierliches Verhalten, doch mit einer kleinen Handbewegung, so als wische er ein paar Krümel vom Tisch, meinte er dann »Papperlapapp, da bin ganz anderes gewöhnt«, ging er darüber hinweg. Wir schauten beide in die Richtung, aus der unser Zug kommen sollte. Eine Lautsprecherdurchsage informierte dann aber die Wartenden, dass der Fahrplan etwas durcheinander gekommen sei und wir noch zehn Minuten Geduld haben müssten.
Herr Haffner wendete sich mir wieder zu:
»Was soll’s. Die Zeit läuft so und so weiter. Vielleicht muss es so sein? Ist es nicht möglich, dass das Schicksal es so fügt? Oder wissen Sie es genau, warum Sie mich so fragend anschauten?«
Ich schüttelte den Kopf. Was hätte ich auch sagen können? Allmählich war meine Befangenheit aus meinen Gedanken gewichen. Urplötzlich befanden wir uns in einem interessanten Gespräch, wie ich es bisher selten geführt hatte. Wir teilten unsere Ansichten über unser Dasein und die unendlichen Möglichkeiten, die uns das Leben bietet, die wir jedoch selten nutzen, weil sie nicht rechtzeitig erkannt werden. Es war für mich, den bisher stets auf dem realen Hintergrund des Lebens stehenden Menschen, eine interessante Erfahrung, meine eigenen Ansichten von einer ganz neuen Denkweise aus zu betrachten. All das spielte plötzlich eine völlig andere Rolle in meinem Gedankengang, als ich es zuvor sah.
Es war eine Art der Prädestination, der ich bisher den Vorrang gab für alles, das meinen eigenen Lebenslauf bestimmte. Unverhofft, völlig ohne Vorwarnung, war bei mir eine Veränderung eingetreten, die ich so schnell nicht begreifen konnte. Ich entwickelte einen Sinn für das »Lesen zwischen den Zeilen«, das für mich etwas Neues war war.
Ich verstand nach unserem Dialog, warum einige Historiker nach Haffners Rückkehr nach Deutschland geradezu manisch versucht hatten, ihn von dem Sockel zu stoßen, auf den er sich ganz bestimmt nie gestellt hatte! Was machte seine »Geschichte eines Deutschen« beispielsweise so unbequem, dass man Angst vor den Aussagen hatte?
Ich fragte ihn damals genau nach diesem Punkt, weil der mir besonders aufgefallen war. »Ja«, meinte er dazu, »Vielleicht war es der unbequeme Beweis, dass man alles, was geschah, schon früher hätte wissen müssen? Wissen Sie«, sagte er dann, »ich war kein Engländer in der Zeit, als ich dort lebte, ich sprach ein schauderhaftes Englisch, jeder erkannte gleich, dass ich Deutscher war.« Er lächelte verschmitzt.
Bei unserem lebhaften Gespräch hatten wir beide vollkommen übersehen, dass wir inzwischen an der S-Bahn-Station Krupunder angekommen waren!
Und Krupunder liegt etwa so weit vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt, wie unser Einstiegsbahnhof Bergedorf! Was war geschehen? Wir hatten während unseres äußerst lebhaften Gesprächs vergessen, am Ziel, dem Hauptbahnhof, auszusteigen!
Das Gute daran: Nachdem wir ausgiebig über dieses Versäumnis gelacht hatten, blieb uns nochmals etwas Zeit, das Gespräch zu verlängern. Der Abschied danach war herzlich, fast freundschaftlich. Ich sah Herrn Haffner nie wieder, aber er wird mir immer in Erinnerung bleiben!
©by H.C.G.Lux
Bin beeindruckt, lieber Horst, was sich im Leben manchmal einfach so fügt, Begegnungen, die man nie vergisst, die neue Denkanstösse geben. Das gehört doch zu den Perlen des Lebens und hat auf jeden Fall Seltenheitswert.
Herzlichen Gruß
Brigitte