Eine Situation ohne Reaktion



Ich habe nie einen jungen Vater gehabt. Als ich zur Welt kam, war er 45, und meine Eltern hatten schon einen achjährigen Sohn und eine fast zweijährige Tochter. Als noch jung, war mein Vater schwarzhaarig; auf alten Fotos ist das zu sehen. Ich kannte ihn aber nur als einen grauhaarigen Mann. Er hat also spät meine Mutter geheiratet; die kleinen Kinder mussten ihn doch jünger machen (obwohl ich mal auf der Straße gehört hatte: Herr Doktor mir seiner Enkelin! Mein Vater darauf, nicht gerade sehr freundlich: Sie ist meine Tochter…). Der echte Opa wurde er erst, als die erste Tochter meines Bruders das Licht der Welt erblickte, und er war damals 66. Gemischte Gefühle, so könnte man seine Stellung dazu beschreiben. Einerseits freute er sich über die kleine Enkelin, andererseit murmelte er unzufrieden: Ich kann mir nur kaum vorstellen, dass mich da jemand einen Opa nennen würde… So war er eben.

Ich komme auch darauf, als er mal aus einer Reise in die Hauptstadt zurückgekommen war. Schlechter Laune, was meinen beiden Eltern ziemlich oft passierte. Und es hatte sich herausgestellt, dass ihm da eine junge Frau ihren Platz in der Straßenbahn angeboten hatte. Als wäre er ein Greis! Und der war er ja nicht, mit hundert Jahren wird man vielleicht einer, er konnte vielleicht welche 60 Jahre alt gewesen sein, die grauen Haare konnten aber die junge Dame irregeführt haben. Sie wollte nur höflich sein…

Vor wenigen Tagen wollte ich Brot und ein Stück Kuchen kaufen. Ich wurde gerade schon in der kleinen Bäckerei bedient, als einem hinter mir stehenden Mann Kleingeld aus seiner Geldbörse mit Klang runtergefallen war, und herumrollte. Vorher habe ich den Mann kurz gesehen, er war vielleicht paar Jahre älter als ich, ihm fehlte aber nichts. Ich schaute ihn doch an, vielleicht würde er doch welche Probleme mit der Wirbelsäule haben, oder so (ich lebe in einem Kurort, wo solche Erkrankungen, und Folgen von Unfälle, eben behandelt werden). Ich kann ohne Worte ahnen, ob man meine Hilfe braucht, oder auch nicht.

Und ich habe nur einen Schritt nach links gemacht, damit der Mann Platz genug hat, um seine Münzen einzusammeln. Und da griff ein anderer Mann ein, der hinter mir stand. Er schob (!) mich unfreundlich, ja sogar mit einem bösen Anblick, an die Seite, und begann eifrig die Geldstücke zu pflücken; was der Eigentümer von der Geldbörse wohl doch nicht brauchte, tat es auch, ohne sichtbare Mühe.
Na ja, vielleicht sehe ich von hinten jünger aus? So jung, dass ich einem Altersgenossen helfen müsste? Wie auch immer, mein Vater hat mir seine Selbständigkeit eingeprägt. :)

 


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Kommentare (2)

Willy

Ist einer Frau, meinethalben auch einer sehr jungen, z. B. in der Kaufhalle etwas zu Boden gefallen, hebe ich es auf. Bei Männer würde ich dies nur in Ausnahmefällen tun. In den Straßenbahnen gibt es meist genug freie Plätze, sonst (ich bin noch ganz gut beisammen) biete ich Behinderten, Schwangeren und Gebrechlichen meinen Sitzplatz an. Ein bisschen sind das auch Reflexe, die man in der Kindheit und  Jugend entwickelte …
B.G.
Willy
 

Christine62laechel

Ich bin sehr gern hilfsbereit, Willy. Wollte aber nicht, dass sich der Mann im Laden so dumm fühlte, wie mein Vater da.
Gerne werde aber auch geholfen, was heutzutage manchmal sogar ausgelacht wird, und das - von Frauen. Ich finde es nach wie vor sehr nett, wenn mir ein Mann die Tür öffnet, oder mit eine schwere Tasche zu tragen hilft. Es ist ja nicht deswegen so, weil ich eine Idiotin bin, die sich selbst die Tür nicht aufmachen kann, es ist - Courtoisie, also, nach dem Dudenwörterbuch: Höflichkeit, Schliff, Zuvorkommenheit. Ich glaube, die Welt muss nicht so modern werden, dass es man nicht mehr braucht! Natürlich ist die Höflichkeit einer Frau etwas Anderes, als diejenige eines Mannes. Meine ich. :)

Mit Grüßen
Christine


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