Eine Kleinbahn
Dies ist keine T3, sieht ähnlich aus
Wir waren 1944 von Berlin getürmt – Mutter hat uns schnurstracks in den Odenwald evakuiert. „Evakuiert“, eine bisher unbekannte Vokabel. Da waren wir so mitten in einer schönen Gegend ohne Fliegeralarm untergekommen: in Ober Kainsbach. Da hat uns kein Sirenengeheul genervt.
Morgens in der Frühe ging es für mich raus: eine Stunde Fußmarsch durch’s Kainsbach-Tal, um 7Uhr17 kam das „Odewäller Liesche“ von Reichelsheim angeschnauft und nahm von der ganze Strecke die Schüler mit, die in Groß Bieberau auf’s Gymnasium wollten oder sollten.
Zurück ging es um 14Uhr20 von Groß Bieberau. Ich bin da oft mit dem Bähnle um 13Uhr18 bis zur Station Reinheim mitgefahren und hatte dann einen schönen Sitzplatz, ehe die anderen Schüler in Groß Bieberau einstiegen.
Ich konnte eigentlich immer am Haltepunkt Nieder Kainsbach (an 14Uhr37) aussteigen und das Tal wieder hinauf wandern, eine Stunde Weg. Aber manches Mal bin ich bis zur Station „Kirch- u. Pfaffen-Beerfurth“ (an 14Uhr52) weitergefahren. Von da ging’s zu Fuß über die Hutzwiese die Nibelungenstraße hinauf und ich kam auch nicht später auf dem Sonnesch-Hof an.
Das „Odewäller Liesche“ wurde von einer Dampf-Lok Baureihe „Preußische T3“ gezogen. Da im Gersprenztal zwischen Reinheim und Reichelsheim war die Steigung gering. Und die wenigen Personenwagen erlaubten es, dass auch einige Güterwagen mitgenommen wurden. In der Zeit, wo von den Bauersfrauen Waldfrüchte nach Darmstadt gebracht wurden, hängte die Bahnverwaltung „SEG“ ihren Dieseltriebwagen an den Schluss des Zuges, wo dann die Schüler Platz fanden. Denn im eigentlichen Zug konnte man kaum zu Fuß durch die Waggons gehen, weil da volle Spankörbe auf dem Boden standen.
Das „Lieschen“ hatte wohl einmal zu viel Fahrt drauf gehabt: in dem Wersauer Bogen hüpfte die T3 aus dem Gleis und kullerte den Bahndamm hinunter. Für uns Schüler schon auf der Hinfahrt ein Stopp. Zu Fuß ging es von Brensbach nach Groß Bieberau, der Wersauer Bogen wurde abgeschnitten. Auf dem Rückweg war dann ein Hilfszug der Reichsbahn von Reinheim bis zur Unglückstelle gerollt. Lieschen wurde wieder auf’s Gleis gesetzt – was mit der Lok dann geschah? Vielleicht war ihr weiter nichts passiert. Anderntags kam das „Odewäller Lieschen“ wieder angeschnauft – ob es von einer Schwester-Lok gezogen wurde? Ich weiß es nicht.
Wenn ich den Rückweg zu Fuß antrat, hatte ich bald immer Begleitung. Über mir flogen in schwindelnder Höhe die Bomber-Pulks nach Osten – Ziele: Würzburg, Schweinfurt, Nürnberg. Anfänglich hatte ich die Angst, die Flieger könnten mich sehen. So bin ich von Baum zu Baum längs der Straße gesprungen, habe mich da etwas versteckt.
Als ich schon da oben auf dem Sonnesch-Hof angekommen war, sollten wir ganz schnell in den Keller. Über dem Odenwald tobte ein Luftkampf: eine deutsche Me-110 griff einen Bomber an – ich war raus an die Kellertreppe gegangen und habe mir das alles angesehen. Eine Tragfläche am Bomber brach ab, aus dem Flugzeug sprangen Menschlein ab und segelten an Fallschirmen zu Boden. Nur einer verfing sich in der Hochspannungsleitung, die am Sonnesch-Hof vorbei lief. Ein Blitz und ein verkohlter Haufen hin zwischen den Leitungen.
Als es für uns hieß, wieder zurück nach Berlin zu fahren, durfte das Lieschen für uns einen halben Güterwagen vom Bahnhof „Nieder Kainsbach - Fränkisch Crumbach“ nach Reinheim mitnehmen. Der kam dann auch heil in Eichwalde an, wo wir schon sehnlichst auf den Wagen gewartet hatten. Denn das war bei den vielen Bomben- und Tiefflieger-Angriffen schon recht fraglich geworden.
Das Bähnle von damals gibt es nicht mehr außer der Strecke Reinheim – Groß Bieberau. Uns ist die Erinnerung daran geblieben.
ortwin
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