Ein Bönnscher auf Zeit



Der Mittelrhein


Noch haben wir Winter (2012).
Regen, manches Mal etwas Schnee und auch mal Kälte.


Wenn ich im Frühjahr mit Spatz den Mittelrhein bereisen möchte, dann ist es meine Aufgabe, mich gut dafür vorzubereiten, was wohl jeder gute Reiseleiter gefälligst tun sollte. Also schaute ich in meinem Gehirnkastl nach, was da von meiner Zeit im Rheinland noch bewusst war.

Über das eine oder andere habe ich ja anderenorts schon was geschrieben. Doch bei der Materialsuche – von Spatz angeregt durch seine Funde im Keller – blätterte ich im Internet nach bei Amazon und Wikipedia.

Da fand ich ein ganz tolles Buch:
»Aufgewachsen in Bonn in den 40er und 50er Jahren«

von Werner P. D’hein, einem echten Bonner


Warum „echt“?

Der Rheinländer unterschied und unterscheidet sehr wohl, ob jemand „‘ne Einheimische“ oder nur ein „Immi“ ist. Kommt dir das Thema nicht bekannt vor? Da in Kölle oder Bonn war das „janz normal“. Und ausgeprägt teilt der Kölner sein Gegenüber schon anhand der Aussprache einem Stadtteil zu. Das Rechtsrheinische wurde betitelt. „Na, du küsst doch von de Schäl Sick“, was heißen soll „Du kommst von der schielenden Seite“ also von Deutz, Merheim, Poll oder Porz oder, oder, oder – nur nicht „uss Kölle“.

Gib dir keine Mühe, als „Immi“ das Kölsche oder Bönnsche zu erlernen, zu beherrschen – man stuft dich prompt als „Immi“ ein. Rheinische Art! Nicht bös‘ gemeint, aber eben eine Kultur.
Durch das Buch animiert blätterte ich die vielen Lebenszeitabschnitte zurück, wo Köln und seine Umgebung und Bonn mich beherbergten und mir auch Arbeit gaben.

Und je tiefer ich da in diese Zeit zurückkehre, desto mehr „Dönekens“ blühten aus dem „Tiefschlaf“ wieder auf.

Jeehste met no Bonn?


Wir landeten nach kurzem Zwischenstop in Beuel (Schäl Sick) in der Endenicher Allee in Bonn. Da hatte der Deutsche Herold - die Versicherung, wo unser Vater Ende der 40er Jahre vom Gerling Konzern übergewechselt war – zwei Häuser für seine Angestellten gebaut. Damals war das bitter notwendig, denn Bonn war reichlichst zerstört und sputete sich, wo es nur ging, Wohnraum für die einsetzende Invasion der sich in Bonn einnistenden Regierungsgeschäfte, Botschaften, Behörden und Ämter zu schaffen. Und wir zogen Mitte November 1949 in eine Wohnung ein, drei Zimmer, Küche, Bad und WC, zwei Mansarden. Endlich Platz für die Eltern und uns sechs heranwachsenden Kinder (zwei Buben, vier Mädchen, alle im Orgelpfeifen-Abstand, 2-3 Jahre).

Ich war damals gerade achtzehn Jahre alt, da gaben die Eltern ihre Verantwortung für mich nicht ab – damals wurde man erst mit 21 Jahren volljährig. So musste ich meine zweite, aber dufte Lehrstelle bei der AEG in Hameln aufgeben. Von da an radelte ich oder fuhr mit der Siebengebirgsbahn von Bonn nach Königswinter zur Lehrstelle. Nach Arbeitsschluss ging’s flugs die Strecke zurück, denn ich besucht von Montag bis Freitag die Abendschule, um doch einen Ordentlichen Schulabschluss (Fachschulreife für den Besuch eines Technikums) zu erlangen.

Donnerstags hatten wir nicht erst um 22 Uhr Unterrichtsschluss, sondern konnten (fast die geschlossene Klasse) ins Kino gehen. Manchmal mit allerhand Quatsch verbunden, wie z.B. ließ einer eine Kälberkette aus seiner Aktentasche auftauchen und diese dann laut über die Stuhllehnen des Kinos klappern. Überhaupt waren unsere Plätze stets in den Reihen 1 und 2. Und du magst lachen: unsere zwei Ritterkreuzträger waren genau solche Lausbuben wie wir.
Die Lehrerschaft musste eben auch Scherze durchstehen von den überalterten Lausbuben. Eine tolle Zeit diese zweieinhalb Jahre, die ich mit von der Partie war.

Eigentlich hatte ich immer genug zu tun. Da war Wolfgang Pannwitz, der ein lizensierter Kurzwellenfunk-Amateur war – ich hatte nicht die Gelegenheit zum Aufhängen einer Langdrahtantenne und bin zum Funken immer nach Dottendorf zu Wolfgang geradelt.
Als die Ungarn ihren Aufstand versuchten und verloren, kam Wolfgang zu einem „QSO“ mit einem Umgarn, der Waffen forderte. Wolfgang hat das „QSL“ an seinen Vater weitergegeben, der im Innenministerium arbeitete – ich las das im Generalanzeiger, schnitt mir den Bericht aus.

Na und dann radelte ich nach der Abendschule vor den Feiertagen mal eben raus nach Oberwinter am linken Rheinufer – nur zum Training für die Odenwald-Tour. Vorbei ging es da an der Sowjetischen Botschaft. Die Amerikaner hatten sich am Rhein ganz schön großflächig ausgebreitet.

Und wenn ich so durch Godesberg radelte, so hinten rum, dann kam ich bei Hannelore Schütt vorbei, eine Mitschülerin in der Abendschule, die ich etwas anhimmelte. Sie machte mit uns Geschwistern manche Radtour mit. Sie wies mich auf Ernst Wiechert hin – ich habe mir gerade die beiden Bände „Die Jeromin-Kinder“ neu beschafft, möchte sie demnächst auch (wieder) lesen.

Bonn war anfangs der 50er Jahre gut überschaubar. Bonn leistete sich eine (seine erste) Ampel. Ein Versuchsobjekt. Es drehten sich in dieser Ampel, einer vierseitigen, konischen „Laterne“, rot und grün segmentierte Anzeigeblätter, auf denen sich um 90 Grad versetzte Zeiger drehend bewegten. Zeigte der Zeiger auf rot, so durfte die Kreuzung aus dieser Richtung nicht passiert werden, dafür zeigten die quer dazu weisenden Zeiger auf grün und diese Straßen hatten freie Fahrt, solange die Zeiger im grünen Bereich waren. Ein Unikum.

Ich schlief mit Bruder Ulrich in der einen Mansarde in Etagenbetten, er oben und ich unten. Die Mädels schliefen nebenan in zwei Etagenbett-Paaren. Weil da oben unterm Dach noch eine Familie wohnte, war für uns das Bad/WC da oben nicht zugänglich. Also hieß es, für alles an Bedürfnissen und das Waschen hinunter zu den Eltern zu stapfen – Bitte recht leise!
In unserem Badezimmer hing ein Schrank mit acht gleich großen Fächern – Eigenbau „Vater“ -, in den wir unsere Toilettendinge unterbringen konnten. Die morgendliche Besuchszeit war straff reglementiert. Wehe dem, der zu Vaters und Mutters Zeitfenster noch nicht aus dem Bad war!

Vom Mansardenfenster (nach Süden) hatte man einen guten Ausblick. Schrebergärten, Tennisplätze und dahinter Gebäude der Universität Bonn. Die Endenicher Allee war Kopfstein gepflastert. In diese Pflasterung waren die Gleise der Bonner Straßenbahn gelegt. Die Linie 3 (Nummer weiß auf rotem Grund) fuhr raus nach Endenich - ich habe vergessen, von woher sie kam, ehe sie durch den Tunnel Poppelsdorfer Allee unter der Eisenbahn heraufkletterte. Wir hatten uns schnell an das glucksende Geräusch des Getriebes gewöhnt, das der nach Endenich rollende Triebwagen im Ausrollen zur Haltestelle vor der Rheinischen Landwirtschaftskammer von sich gab. Auch das Anfahren der Bahn in der Gegenrichtung zum Bahnhof war so erträglich. Wie so anders die Geräusche der neuen Busse, die die Bahn ablösten. Sie gaben so unterschiedliche Geräusche von sich. Also war man schon ganz früh wach und schlief auch sehr spät ein.

Als wir in Bonn ankamen, hatte ich noch eineinhalb Jahre Lehrzeit in Königswinter. Danach hieß es, eine Arbeitsstelle als Feinmechaniker-Gehilfe zu finden. Ich war ein ständiger Gast beim Arbeitsamt in Bonn.

1951 = Korea-Krise – lies mal im Geschichtsbuch (Wikipedia) nach, was das bedeutete. Mal einen Monat hier eine Arbeit, dann wieder einen Monat da was zu tun. Und dann mal drei Monate Geld verdient – Zeugnisse habe ich gesammelt! Aber: ich war nur immer an den Wochenenden arbeitslos.

Vater fand eine Annonce der „National Registrier Kassen“ (NRK – heute NCR). Er hatte diese Firma mal in seiner Studienzeit in Berlin in der Sonnenallee kennen gelernt und meinte, ich sollte auf die Anzeige hin mich bewerben da in Augsburg. Ich wollte das dann mal eben in den nächsten Tagen tun. Doch da hatte ich die Rechnung ohne Wirt gemacht: Anschiss und noch am selben Abend ging es ans Bewerbung und Lebenslauf schreiben. Der alte Herr ließ nicht locker, kurz vor Mitternacht trabte ich mit dem fertigen Brief zur Hauptpost am Münsterplatz (die liegt hinter dem Denkmal vom Beethoven!) und gab den Brief am Nachtschalter ab (damals in Bonn noch möglich).

Es hat nicht lange gedauert, da kam Post aus Augsburg. Ich wurde zum Vorstellen in das Werk draußen in Augsburg-Kriegshaber eingeladen. Ich müsste im Zeugnis nachsehen, wann ich da in Köln in der Niederlassung in der Komödienstraße (mitten in der Trümmerlandschaft in der Innenstadt) zu arbeiten, zu lernen angefangen hatte. Es vergingen einige Monate, die ich in der Werkstatt an Registrierkassen und Buchungsmaschinen zubrachte. Ein ganz toller Job. Und dann ging es im Sommer 1953 zum Lehrgang nach Augsburg.

Wieder zurückgekehrt nach Bonn und Köln, war ich noch einige Zeit in der Werkstatt, bis ich den Kundendienstbezirk Bonn zugeteilt bekam. Links ein Koffer mit Werkzeug und Kleinteilen, rechts eine Aktentasche mit „Büro“, Kittel und Handwaschpaste. Wir Kollegen konnten uns ohne Betrachten des Gesichtes an der Stempelfarbe an den Händen erkennen.

Mit dieser Ausrüstung fuhr ich nun mit den Straßenbahnen von Kunde zu Kunde, putzte hier eine Maschine, brachte da eine blockierte wieder in Gang, anderswo hatte es einen Papierstau gegeben, wieder anderswo brauchte man ein neues Farbband oder neue Scheckrollen. Ich landete bei den verschiedensten Läden, ob Metzger oder Gemüse, in den Kaufhäusern, bei Sparkassen und Banken, in den Kantinen der Ministerien und schließlich auch bei aufgebauter Bannmeile im Restaurant des Bundestages.

Erlebt habe ich mit meinem Gepäck so einiges. Da besuchte Heile Selassie die Bundeshauptstadt. Soraya und der Schah, Prinzessin Margret und noch andere ausländische Persönlichkeiten kreuzten meine Wege. Ich erlebte die Zeit der „Notstandsgesetze“, wo sich Max Reimann und Genossen, damals noch nicht verboten, mit der Polizei und ihren Wasserwerfern ein KatzundMaus-Spiel leisteten. Ich beobachtete die Scheinanfahrten für die Wochenschau auf dem Bonner Hauptbahnhof, bevor Bundeskanzler Adenauer und Gefolge nach Moskau abfuhren.

Problematisch war es mit der Information. Ich hatte kein Telefon – zu Hause war es strikt verboten, geschäftliche Telefonate für mich anzunehmen. So wetzte ich mehrmals am Tage zum Postfach in der Hauptpost. Das war für manchen Kunden ein Problem. So, wie heute mit Handy und/oder Mailing konnte ich nicht aufwarten. Ich gab die Betreuung des Bonner Bezirkes zurück, ging nach Auszug bei den Eltern erst einmal nach Köln und bald darauf nach Mannheim in die dortige Bezirksvertretung.
Damit endete Bonn für mich erst einmal für Jahre. Familiengründung in Baden-Baden und Umzug nach Bayerisch Schwaben.

Nach langen Jahren landete ich auf der Schäl Sick, in Porz-Wahn, diente im Stab bei der Bundeswehr. Ich schrieb Studien, die es galt, auf der Hardthöhe in Bonn vorzutragen. Mit dem IC passierte ich den Bahnhof Bonn, wenn es wieder einmal über Köln Hbf nach München oder Ulm ging.

Und ich ging abends zu BWL-Vorlesungen in der Uni. Da gab es nur immer das Problem der Parkplatzfindung. Und dienstliche Reisetätigkeit ließen mich das Studieren aufgeben.

Als der Sarg unseres Vaters in Duisdorf verabschiedet wurde, fand sich die Familie auf dem Brüser Berg bei Mutter ein. Wer nicht im Hotel oder in einer Pension nächtigen konnte, schlief also in der kleinen Wohnung der Eltern – Matratze an Matratze, keine kleinen Kinder mehr, alles Erwachsene, selbst schon Eltern.

Bald holte unsere Schwester Bärbel Mutter und den Hausrat nach Dachau. Sie brachte auch Vaters Urne mit. Mutter fand dreizehn Jahre später neben Vater und bei dem einzigen verstorbenen Enkel Platz.

Die Rose vom Kreuzberg hatte Bärbel schon bei der Aufgabe des Gartens von Bonn mitgenommen, da blüht sie jetzt am Ufer der Amper, hat viele Artgenossen und erinnert uns Alle an die Zeit in und um Bonn.

Auf Wiedersehen in Bonn.


ortwin

Anzeige

Kommentare (1)

tilli und dabei sich gut auf eine neue Reise vorbereiten.
Ich geniesse es wenn du von deinen Reisen erzählst. Ja deine liebe Begleiterin ist zu beneiden, wenn man bedenkt wieviel sie schon mit dir erlebt hat.Zusammen mit ihr erlebt ihr die Schönheiten des Lebens mit Reisen und fotografieren.
Weiter so.
Viele Grüße Tilli

Anzeige