"DU BLEIBST HIER!"... Geschichte eines Bloodhounds und seiner Menschen




Wenn sich zwei nicht mehr junge, ausgesprochen gegensätzliche Menschen, so wie mein Lebenspartner Uwe und ich, einen gemeinsamen weiteren Lebensweg wünschen, sind sachliche Auseinandersetzungen und verborgene Machtkämpfe unumgänglich. Das war uns beiden von Anfang an sehr bewusst. Wir haben versucht, realistisch zu sein und uns nicht nur durch die rosa Brille der Verliebtheit zu sehen, sondern auch die Eigenheiten des Partners genau unter die Lupe zu nehmen.
„Kann ich damit leben, dass sie ein chaotisches Weib ist?“ hat er sich gefragt. „Eigentlich liebe ich genau das an ihr.“
Mir ging durch den Kopf: „Er hat sein Leben durch und durch geplant. Er ist so unglaublich sparsam. Und ordentlich. Und organisiert. Wie weit können wir ohne grundlegende Veränderungen aufeinander eingehen?“
So und ähnlich haben auch die Gespräche in den folgenden Monaten ausgesehen bis wir beide endgültig feststellten, dass keiner mehr ohne den anderen sein mochte.
Also zieht er eines Tages ein in dieses locker geführte Haus mit dem verwilderten Garten. Zwei Hunde begrüßen ihn begeistert. Drei Katzen streichen um seine Beine. Alle wollen beschmust werden und er kann wenig mit dieser Zuneigung anfangen, denn er hat nie ein Tier in seinem Leben gehabt.
Wochen, Monate vergehen, in denen Uwe heimlich still und leise eingefangen wird im Netz des Charmes der Katzen, der bedingungslosen Freundschaft der Hunde. Sie sind Profis und wissen sehr wohl, wie sie es anfangen müssen, ihn für sich zu interessieren.
Am intensivsten beeinflusst ihn Fee-Fee, die Furchtlose. Als stolze schneeweiße Samtpfote ist sie wohl ebenso begeistert von seiner tiefen, warmen Stimme und von seinen sanften Händen, wie er von den Opalaugen der Angorakatze. Sie will diesen Menschen für sich gewinnen und macht sich systematisch daran, ihn zu erobern. Er begreift schnell, wie beruhigend es ist, ein Tier im Arm zu haben. Die Haare auf den Pullovern, die er anfangs mit gerümpfter Nase abgepflückt hat, verlieren an Bedeutung. Sie werden zu einem kleinen Übel im Vergleich zu der Ruhe und Ausgeglichenheit, die er findet. Bald ist diese Katze wie sein Schatten. Sie sind unzertrennlich.
Zu dieser Zeit hat er zu den Hunden ein lockeres, nettes Verhältnis. Im Lauf des ersten gemeinsamen Jahres erlebt er den Schmerz mit, den das Einschläfern eines Tieres mit sich bringt. Der Hund hinterlässt eine große Lücke. Plötzlich ist das Haus viel stiller.
Als im dritten Jahr auch der zweite Hund im Garten begraben wird, geht in diesem Haus eine Ära zu Ende. So lange es besteht war es keinen Tag ohne Hunde. Hundekörbe in allen möglichen Größen stehen im Keller und erzählen ihre Geschichte. Halsbänder und Leinen hängen jetzt nutzlos an ihren Plätzen.
In diese gespannte Situation hinein lässt Uwe eine Bombe platzen: „Jetzt gibt es aber keinen neuen Hund mehr.“ Diese acht Worte lösen eine Krise aus, die sich Monate lang hinzieht! Ich verstehe zwar alle seine vernünftigen Argumente aber gegen jedes davon gibt es einen triftigen Einwand. Es ist in Ordnung, keinen Hund zu haben, jetzt, wo wir beide noch außer Haus berufstätig sind. Die letzten beiden waren klein und konnten durch die Katzentür hinein- und hinausgehen wie sie wollten und hatten sich mit ihrem Leben recht gut arrangiert. Einem neuen Hund war das nicht zuzumuten.
- Aber es ist abzusehen, wann wir zu Hause sein werden. Dann..
- Nein, es ist viel praktischer, ohne Hund zu leben. Denk’ an den Urlaub, an die Wochenenden...
- Es ist so still im Haus. Keiner begrüsst uns mehr laut...
- Die Katzen sind doch da...
- Eine Katze ist kein Hund...
- Wir müssen viel weniger saubermachen...
- Wir müssen immer saubermachen. Die paar Hundehaare machen keinen Unterschied...
- Überlege nur, wie hoch die Tierarztkosten sind...
- Die waren schon immer so...
- Ich will keinen Hund mehr im Haus...
- Sag doch wenigstens „vielleicht später“...
- Nein...
Es ist als ob etwas in mir stirbt. Ich liebe diesen Mann. Aber mit dem, was er jetzt von mir verlangt, komme ich nicht zurecht. Diese unnachgiebige Sturheit kenne ich an ihm nicht. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Wochenlang wird nicht mehr über das Thema gesprochen. Die Stille, die im Haus einkehrt ist greifbar ungesund.
Bis ich eines Tages erfahre, dass jemand einen elf Monate alten Bloodhound abgibt. Mein Traumhund seit Kindertagen! Noch nie habe ich einen gesehen. Die Erinnerung an alle die gesammelten Postkarten und Zeichnungen und an das Poster aus der Jugendzeit überfällt mich. Sogar Bilder von Bloodhounds waren damals schwer zu finden gewesen.
Diesen Hund will ich sehen! Wenigstens sehen und anfassen. Ihm ins Gesicht schauen.
Es gehen Telefonate hin und her. In etwa einer Woche wird der Besitzer geschäftlich in der Nähe sein und stimmt einem unverbindlichen Besuch zu.
Uwe kennt sich mit Hunderassen nicht besonders aus, also schleppe ich alle meine Hundebücher an, zeige ihm die schönsten Bilder von Bloodhounds, lese vor, erzähle ihm alles was ich über diese einzigartige Rasse weiß. Endlich wieder über Hunde reden!
Der wichtige Tag ist da. Es klingelt. Draussen stehen Herr und Hund, werden hereingebeten. Uwe sitzt mit freundlichem aber leicht unbeteiligtem Gesicht auf der Couch bis - ja bis Charlie wie magisch angezogen auf ihn zugeht und ihm den schweren Kopf auf die Knie legt. „Na du,“ brummt Uwe. Leichtes Schwanzwedeln als Antwort. Die Männerhände heben sich, legen sich sanft um das schwarzbraune Hundegesicht. Es herrscht atemlose Stille, während sich Hund und Mensch in die Augen sehen. Eine ganze Geschichte liegt in der Luft, als der Mensch dem Hund zuzwinkert, dreimal mit dem Kopf nickt und die erlösenden Worte spricht: „Du bleibst bei uns, denke ich mir.“
Die Formalitäten sind schnell erledigt, weil sich alle einig sind, dass der Hund hier gut aufgehoben ist. Allerdings gibt es einige Ratschläge in Bezug auf das Wesen des sehr sensiblen Hundes. Laute Worte, Türenschlagen oder anderen aufdringlichen Lärm verträgt er nicht gut. An Silvester auf keinen Fall allein lassen! Eingewöhnen wird er sich wohl schnell, weil das vorherige Herrchen ihn hin und wieder bei Bekannten hat lassen müssen, wenn er auf Reisen war.
Was in Mensch und Hund bei dem ersten langen Blick vorgegangen ist, lässt sich schwer erklären, denn Charlie weicht seinem neuen Herrchen keinen Schritt von der Seite. Am Anfang darf er mit ins Büro, wo er wie selbstverständlich unter dem Schreibtisch liegt und Uwe auf allen Wegen begleitet. Ein paar Monate später verlegen wir unser Büro ins Haus und jetzt geht es uns wirklich gut.
Wenn Charlie allerdings einmal alleine zu Hause bleiben muss, legt er sich ins Bett, um den vertrauten Gerüchen ganz nah zu sein. Das gibt natürlich Ärger, aber er lässt die Strafpredigt gelassen über sich ergehen, denn er weiß genau, dass sie nicht lange dauert und dann alles wieder in Butter ist.
Nach einiger Zeit stellen wir fest, dass wir mit unserm Sensibelchen allzu nachgiebig umgehen. Das Charlietier nützt alle seine Vorteile weidlich aus und ist inzwischen sehr selbstbewusst geworden. Glücklicherweise zeigt uns ein befreundeter Hundetrainer, wie wir uns und dem Hund ein befriedigendes Zusammenleben aufbauen können. Und es funktioniert! Charlie lernt spielerisch alles, was ein Hund können muss, macht jedes Spiel, jeden Unfug freudig mit und wird zu einem äußerst angenehmen Hausgenossen.
Längst kann sich Uwe ein Leben ohne DIESEN Hund nicht mehr vorstellen. Die Freundschaft, die die beiden verbindet, ist mit nichts zu vergleichen, was er bis dahin erlebt hat. Endlich kann er verstehen, dass die „Veto-Krise“ vom vergangenen Jahr tatsächlich eine Bedrohung des gemeinsamen Lebens gewesen ist.
Hin und wieder hat er sogar Gewissensbisse, dass nun er einen Hund hat und ich nicht. Aber ich bin zufrieden, denn Charlie schliesst auch mich in seine Zuneigung ein und ich suche keine Erklärung für das, was die Beziehung zwischen den beiden männlichen Wesen ausmacht. Ich bin einfach froh darüber.
Manchmal reden wir scherzhaft darüber, wie drollig es wäre, wenn ein Basset Hound zwischen Charlies Vorderbeinen herausschauen würde. Sogar Uwe sieht die umwerfende Komik einer solchen Situation, denn Bassets sind ja auch...
Charlie ist drei Jahre alt, als das Tierheim einen vierjährigen Basset zu vermitteln hat. Beim Frühstück sehen wir ein Bild von Murphie in der Zeitung. „Den muss ich anschauen,“ ist mein Kommentar.
„Dein ‘Anschauen’ kenne ich,“ brummt Uwe. „Aber geh nur, sonst gibst du ja doch keine Ruhe.“
Während ich mit Charlie zum Tierheim fahre, singt es in meinem Kopf: „Murphie, Murphie. Das ist meiner!“
Die beiden Hunde verstehen sich auf Anhieb und Murphie kommt zur Probe für ein paar Stunden mit nach Hause. Als wüsste er genau, worum es geht, benimmt er sich vorbildlich. Herrchen bedenkt er sofort mit Blicken aus tieftraurigen Augen. Er ist ja so ein armer Hund. Sie sind nun schon die vierte Familie, auf die er sich einstellen soll und er findet es sooo schön in dem großen Garten. Nein, er wird sicherlich die Katzen nicht killen - ein bisschen jagen vielleicht? Auf mein schrill ausgerufenes „Nein!“ , kommt er sofort heran und seine Augen erzählen weiter, was für ein lieber, guter, gehorsamer Hund er ist. Ja, ja, er versteht, dass wohl Herrchen das letzte Wort haben wird, aber er spürt auch, dass Frauchen schon ihr Herz an ihn verloren hat. Er zeigt mir ein bisschen von dem Schelm in seinen Augen. „Täusch’ dich nur nicht. Jetzt bin ich Murphie, der Sanfte. Le Murph, den Basset wirst du kennen lernen.“
Natürlich bleibt er da, dieser kluge, charmante Hund! Endlich ist die Familie komplett. Jeder hat seinen Hund neben dem Bett. Beruhigende Schnarchkonzerte von rechts und links behüten den Schlaf und fordern immer wieder ein Lächeln heraus. Wunschlos glücklich sind wir jetzt alle!
Diese Geschichte ist vor etwa fünfzehen Jahren genau so geschehen. Charlie lebt schon lange nicht mehr aber er wird uns für immer unvergesslich bleiben... Uwe ist nicht mehr nur mein "Lebenspartner", sondern mein Ehemannn und wir leben glücklich und zufrieden zusammen mit Momo und Joschi, den Basset Hounds. Wenn Ihr Spaß daran habt, erzähle ich Euch ein anderes Mal mehr. Oder schaut rein bei www.momo-basset-hound.de Dort findet Ihr eine ganze Menge Geschichten.
Viele Grüße von Chrisan

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Kommentare (3)

sissismam lese imme wieder gerne deine geschichten von momo und joschi in der hundezeitung
und habe mich auch schon öfter auf deiner seite rumgetrieben.
auch diese geschichte finde ich seeeehr schön!
gratuliere auch zu diesem ehemann
und freue mich auf mehr geschichten.
lg
indeed und ich würde mich freuen, weitere zu lesen. Der Tag beginnt vielversprechend...
Danke Chrisan, dass ich sie lesen durfte.
Mit lieben Gruß
Ingrid
Traute Eine schöne Erzählung über die Liebe zwischen Mensch und Tier. Über verantwortungsvolles Handeln der Tierhalter und Hingabe zu den uns nahestehenden Geschöpfen.
Nun würde ich mir wünschen, man wäre mit den Menschen in Not genau so umsichtig, taktvoll, angemessen und zugewandt.
Und würde mit so hingebungsvoller Lieb von den guten Taten an ihnen schreiben.
Ich bin auf die nächste Erzählung gespannt,
mit lieben Grüßen,
Traute

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