Die Parkbank
~
Wie ich so durch den Park schlenderte, schlich sich ein Steinchen in meinen Schuh. Da ich ihn entfernen wollte, hielt ich Ausschau nach einer Sitzgelegenheit und erspähte eine Bank. Sie war aber bereits besetzt. Ein alter Mann, völlig in seinen Gedanken versunken, saß dort und starrte vor sich hin.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Er sah nicht einmal auf, antwortete nur ein undeutliches „Hm“ und stierte weiter in die gleiche Richtung. Ich nahm neben ihm Platz und zog meinen Schuh aus. Um nicht als unhöflich zu gelten, sagte ich: „Schönes Wetter heute, nicht wahr?“
„Hm“, lautete seine Antwort.
„Okay“, dachte ich mir, „der will bestimmt seine Ruhe haben.“
Fortan schweigend widmete ich mich meinem ursprünglichen Vorhaben, ich inspizierte die Fußbekleidung in meiner Hand. Nach einem leichten Schütteln sah ich den Stein hinausfallen und um alle eventuell noch vorhandenen Störfaktoren zu beseitigen, wischte ich einmal kurz über die Decksohle. Da nichts Fremdartiges mehr zu spüren war, zog ich meinen Schuh wieder an, stand auf und wünschte meinem Banknachbarn noch einen schönen Tag. Der Mann reagierte überhaupt nicht, ich ging meiner Wege.
Ein paar Tage später spazierte ich wieder durch den Park und schon von Weitem sah ich ihn, den älteren Herrn. Er saß auf der gleichen Bank wie neulich und zeigte wieder eine gedankliche Abwesenheit. Dieser Mensch, er wirkte so einsam und traurig, mein Herz zog sich zusammen.
An der Bank angekommen, fragte ich ihn, ob ich mich setzen dürfte. Der Mann rührte sich nicht, entgegnete wieder nur „Hm“ und ich dachte beinahe, er könnte gar nicht sprechen.
„Wenn es Ihnen nicht recht ist, dann kann ich auch woanders Platz nehmen.“
Nun schien der Mann aus seiner Lethargie zu erwachen, denn dieses Mal blickte er mir direkt ins Gesicht. „Nein, nein“ erwiderte er, „setzen Sie sich nur, dieses ist ein öffentlicher Park, da kann sich jeder hinsetzen, wo er möchte.“
„Wie schön, er hat seine Sprache wiedergefunden“, war mein erster Gedanke und „Vielen Dank, das ist aber nett“, laut sagend, setzte ich mich neben ihn. Des Weiteren blieb er aber wieder still und so saßen wir schweigend nebeneinander.
Die frische Luft und die Ruhe genießend, beobachtete ich das emsige Treiben der Vögel, das Tanzen der Insekten und ab und an kam auch schon mal ein interessanter Spaziergänger vorbei.
Die Zeit verrann ziemlich schnell und während die Dämmerung langsam das Tageslicht verdrängte, beschloß ich aufzubrechen. Ich erhob mich von der Bank und wünschte dem Mann eine angenehme Nachtruhe. Jener blickte tatsächlich auf und sagte: „Auf Wiedersehen.“
Lächelnd schlenderte ich heimwärts.
Zwei Tage später war ich wieder im Park und auch der ältere Herr saß auf seinem Stammplatz. Dieses Mal schien er allerdings auf etwas zu warten, denn er blickte den Weg auf und ab.
„Na, da will ich mal nicht stören“, dachte ich mir.
Als die Bank jedoch in meine Reichweite kam, sprach der alte Mann mich an: „Schönes Wetter heute, nicht wahr?“
Fast erschrocken hielt ich an, denn damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Nach unserer sehr stillen Vorgeschichte war es schon ein wenig merkwürdig, dass er nun ausgerechnet auf mich zu warten schien.
„Wollen Sie sich nicht ein wenig ausruhen?“
„Sehr gern“, entgegnete ich und setzte mich zu ihm.
„Jetzt will ich mich aber erst einmal bei Ihnen vorstellen“ sagte er. „Mein Name ist Wilhelm, Wilhelm Herzog, Sie können aber gern Wilhelm zu mir sagen.“
„Angenehm“, mein Name ist Angelika Peters, „Sie können mich Angie nennen.“
„Ja, ja, ihr jungen Leute, ihr müßt immer alles vereinfachen und abkürzen.“
Er sagte das mit so viel Traurigkeit in der Stimme, dass mir ganz anders wurde.
„Werden Sie bloß nicht alt, junge Frau, dann kümmert sich kein Mensch mehr um sie.“
„Haben Sie denn keine Kinder?“
„Meine Kinder, wenn man sie Kinder nennen kann“, entgegnete er und schluckte.
Nach einer kurzen Pause begann er mit zitternder Stimme zu sprechen, aber alsbald sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus.
„Als meine Frau, meine geliebte Erna noch lebte, war alles einfacher. Wir besaßen ein wundervolles Haus und zwei gesunde Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Unsere Tochter zog im Alter von zwanzig Jahren ins Ausland, nach Amerika. In der darauffolgenden Zeit bekamen wir sie sehr selten zu Gesicht und bald ließ sie gar nichts mehr von sich hören. Warum das aber so war? Wir bekamen keine Antwort auf diese Frage.
Mit Sechzig begann meine Frau zu kränkeln und deswegen fanden wir den Vorschlag von unserem Sohn, dass er mit seiner Frau bei uns einziehen wollte, sehr gut. Gesagt, getan, lief zuerst auch alles bestens. Die beiden nahmen uns vieles ab und schon bald meinten sie, dass es doch an der Zeit wäre, ihnen das Haus zu überschreiben. Nichtsahnend willigten wir ein.
Nachdem der Vertrag mit ihnen unter Dach und Fach war, erkannten meine Erna und ich, welch großen Fehler wir begangen hatten. Das Verhalten von unserem Sohn und seiner Frau wendete sich drastisch, plötzlich waren wir ihnen nur noch lästig. Sie bombardierten uns mit Prospekten von Altenheimen. Erna und ich resignierten und zogen in das Haus Sonnenblick. Es ist gleich hier um die Ecke.“
Wilhelm deutete mit seinem rechten Zeigefinger in die Richtung, in der das Altenheim lag.
„Ich kenne das Haus“, sagte ich. „Ist das nicht Betreutes Wohnen?“
„Ja, da haben Sie recht“, erwiderte er, „daran ist auch nichts auszusetzen. Aber 30 qm, was kann man da schon mitnehmen? All unsere schönen Möbel mußten wir aussortieren. Das Schlimmste jedoch war, dass wir unseren treuen Hund Wurzel nicht mitnehmen konnten. Keine Haustiere erlaubt, so steht es in der Hausordnung. Meiner Erna zerbrach es das Herz.“
„Ihr Sohn und seine Frau hätten den Wurzel doch behalten und ihn bei ihren Besuchen mitbringen können“, warf ich ein.
Seine Augen wurden feucht. „Sie haben ihn ins Tierheim gebracht.“
„Zu Besuch, ja, da kamen sie die erste Zeit noch. Es wurde aber immer weniger. Keine Zeit, wissen Sie. Meine Erna, sie starb zwei Jahre später. Ich glaube, das gebrochene Herz raubte ihr die Kraft zum Weiterleben.“
„Das Ganze tut mir so furchtbar leid für Sie“, antwortete ich. „Was soll man dazu sagen? Die eigenen Kinder, wie können die so herzlos sein?“
„Ach Angie, was rede ich, Sie haben bestimmt etwas anderes vor, als einem alten Mann zuzuhören.“
„Ist schon in Ordnung Wilhelm, man muß sich ja ab und an mal aussprechen.“
Spät war es geworden, ich erhob mich von der Bank.
„Ich muß jetzt gehen, sonst wird mir das zu dunkel.“
„Danke Angie, dass Sie mir zugehört haben. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.“
„Da nicht für! Bis zum nächsten Mal Wilhelm, gute Nacht.“
Meine Spaziergänge führten mich jetzt immer öfter in den Park und jedes Mal saß Wilhelm auf der Bank und wartete auf mich. Aus unserer zufälligen Bekanntschaft wurde Freundschaft. Hin und wieder unternahmen wir Ausflüge, gingen Kaffee trinken, oder wir saßen einfach nur schweigend auf der Bank. Wenn das Wetter schlecht war, verbrachten wir Zeit in seiner oder meiner Wohnung, schauten uns Fotoalben an, spielten Mühle, Dame, lasen Gedichte, Geschichten, oder wir sahen gemeinsam fern. Trotz des Altersunterschieds, es lagen immerhin dreißig Jahre zwischen uns, waren wir ein Herz und eine Seele, wir verstanden uns prächtig.
Unser Treffpunkt aber, der war allezeit die Parkbank, denn auf diese Weise konnten wir immer erst einen kleinen Spaziergang machen. Von dort, wo alles begann, starteten wir unsere Unternehmungen, außer bei ganz scheußlichem Wetter, dann telefonierten wir vorher und verabredeten uns anderswo.
Eines Tages, es war ein schöner Herbsttag, war die Bank verwaist und mich beschlich ein sehr ungutes Gefühl. Mit sorgenvoller Miene suchte ich das Haus Sonnenblick auf und als mich die Dame an der Rezeption sah, veränderte sich sogleich ihre Mimik.
„Frau Peters, Sie suchen bestimmt Wilhelm Herzog, nicht wahr? Ich muß Ihnen leider sagen, dass ihr Freund letzte Nacht gestorben ist, er ist ganz friedlich eingeschlafen. Es tut mir so leid.“
Ich brach in Tränen aus. Die Frau vom Empfang kam um den Tresen herum, nahm mich in den Arm und versuchte mich zu trösten. Ich bedankte mich für ihre Anteilnahme und verließ das Haus. Mein Weinen verebbte, aber kopflos und mit einer unsagbaren Leere in mir wankte ich heimwärts.
Wilhelms Beerdigung fand in aller Stille statt. Um seine Angehörigen nicht in Verlegenheit zu bringen, platzierte ich mich abseits von der Zeremonie. Schnell war sie vorüber und nachdem alle anderen Trauergäste gegangen waren, trat ich an das offene Grab. Krampfhaft hielt ich meine mitgebrachte Rose in der Hand und scheute mich sie hinunterzuwerfen, denn das, was ich nicht wahrhaben wollte, würde dann so endgültig sein. Meine Tränen rollten, mir wurde übel, die Blume entglitt meiner Hand und reihte sich lautlos, für mich aber fast dröhnend, in das Blumengebinde auf dem Sarg ein.
„Tschüß Wilhelm“, meine Stimme war nur ein Flüstern.
Die Erinnerung an meinen Heimweg, wie er sich gestaltete, keine Ahnung. Irgendwann fand ich mich im dunklen Wohnzimmer meiner Wohnung wieder und ertappte mich dabei, wie ich ins Nichts starrte.
Eine Woche später besuchte ich erneut den Friedhof. Am Tag der Beisetzung war mir gar nicht aufgefallen, dass sich direkt gegenüber von Wilhelms Grabstätte eine Bank befand. Sofort mußte ich an unseren Treffpunkt im Park denken und schon kämpfte ich wieder mit meinen Tränen. Da der Boden, unter meinen Füßen, scheinbar in Bewegung geriet, setzte ich mich hin.
Mein Blick wanderte zum Grab und urplötzlich flutete Wärme mein Herz. Obwohl der Platz neben mir leer war, verspürte ich eine unglaubliche Nähe, mir war, als würde Wilhelm direkt neben mir sitzen.
Heute, wenn meine Zeit es mir erlaubt, führt mich manch einer meiner Wege zum Friedhof, denn dort, auf dieser Bank, vermisse ich ihn nicht ganz so stark, meinen väterlichen Freund.
~
( Urheberrecht Uschi Pohl )
Die Geschichte könnte wahr sein, ist aber fiktiv...
Wie ich so durch den Park schlenderte, schlich sich ein Steinchen in meinen Schuh. Da ich ihn entfernen wollte, hielt ich Ausschau nach einer Sitzgelegenheit und erspähte eine Bank. Sie war aber bereits besetzt. Ein alter Mann, völlig in seinen Gedanken versunken, saß dort und starrte vor sich hin.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Er sah nicht einmal auf, antwortete nur ein undeutliches „Hm“ und stierte weiter in die gleiche Richtung. Ich nahm neben ihm Platz und zog meinen Schuh aus. Um nicht als unhöflich zu gelten, sagte ich: „Schönes Wetter heute, nicht wahr?“
„Hm“, lautete seine Antwort.
„Okay“, dachte ich mir, „der will bestimmt seine Ruhe haben.“
Fortan schweigend widmete ich mich meinem ursprünglichen Vorhaben, ich inspizierte die Fußbekleidung in meiner Hand. Nach einem leichten Schütteln sah ich den Stein hinausfallen und um alle eventuell noch vorhandenen Störfaktoren zu beseitigen, wischte ich einmal kurz über die Decksohle. Da nichts Fremdartiges mehr zu spüren war, zog ich meinen Schuh wieder an, stand auf und wünschte meinem Banknachbarn noch einen schönen Tag. Der Mann reagierte überhaupt nicht, ich ging meiner Wege.
Ein paar Tage später spazierte ich wieder durch den Park und schon von Weitem sah ich ihn, den älteren Herrn. Er saß auf der gleichen Bank wie neulich und zeigte wieder eine gedankliche Abwesenheit. Dieser Mensch, er wirkte so einsam und traurig, mein Herz zog sich zusammen.
An der Bank angekommen, fragte ich ihn, ob ich mich setzen dürfte. Der Mann rührte sich nicht, entgegnete wieder nur „Hm“ und ich dachte beinahe, er könnte gar nicht sprechen.
„Wenn es Ihnen nicht recht ist, dann kann ich auch woanders Platz nehmen.“
Nun schien der Mann aus seiner Lethargie zu erwachen, denn dieses Mal blickte er mir direkt ins Gesicht. „Nein, nein“ erwiderte er, „setzen Sie sich nur, dieses ist ein öffentlicher Park, da kann sich jeder hinsetzen, wo er möchte.“
„Wie schön, er hat seine Sprache wiedergefunden“, war mein erster Gedanke und „Vielen Dank, das ist aber nett“, laut sagend, setzte ich mich neben ihn. Des Weiteren blieb er aber wieder still und so saßen wir schweigend nebeneinander.
Die frische Luft und die Ruhe genießend, beobachtete ich das emsige Treiben der Vögel, das Tanzen der Insekten und ab und an kam auch schon mal ein interessanter Spaziergänger vorbei.
Die Zeit verrann ziemlich schnell und während die Dämmerung langsam das Tageslicht verdrängte, beschloß ich aufzubrechen. Ich erhob mich von der Bank und wünschte dem Mann eine angenehme Nachtruhe. Jener blickte tatsächlich auf und sagte: „Auf Wiedersehen.“
Lächelnd schlenderte ich heimwärts.
Zwei Tage später war ich wieder im Park und auch der ältere Herr saß auf seinem Stammplatz. Dieses Mal schien er allerdings auf etwas zu warten, denn er blickte den Weg auf und ab.
„Na, da will ich mal nicht stören“, dachte ich mir.
Als die Bank jedoch in meine Reichweite kam, sprach der alte Mann mich an: „Schönes Wetter heute, nicht wahr?“
Fast erschrocken hielt ich an, denn damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Nach unserer sehr stillen Vorgeschichte war es schon ein wenig merkwürdig, dass er nun ausgerechnet auf mich zu warten schien.
„Wollen Sie sich nicht ein wenig ausruhen?“
„Sehr gern“, entgegnete ich und setzte mich zu ihm.
„Jetzt will ich mich aber erst einmal bei Ihnen vorstellen“ sagte er. „Mein Name ist Wilhelm, Wilhelm Herzog, Sie können aber gern Wilhelm zu mir sagen.“
„Angenehm“, mein Name ist Angelika Peters, „Sie können mich Angie nennen.“
„Ja, ja, ihr jungen Leute, ihr müßt immer alles vereinfachen und abkürzen.“
Er sagte das mit so viel Traurigkeit in der Stimme, dass mir ganz anders wurde.
„Werden Sie bloß nicht alt, junge Frau, dann kümmert sich kein Mensch mehr um sie.“
„Haben Sie denn keine Kinder?“
„Meine Kinder, wenn man sie Kinder nennen kann“, entgegnete er und schluckte.
Nach einer kurzen Pause begann er mit zitternder Stimme zu sprechen, aber alsbald sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus.
„Als meine Frau, meine geliebte Erna noch lebte, war alles einfacher. Wir besaßen ein wundervolles Haus und zwei gesunde Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Unsere Tochter zog im Alter von zwanzig Jahren ins Ausland, nach Amerika. In der darauffolgenden Zeit bekamen wir sie sehr selten zu Gesicht und bald ließ sie gar nichts mehr von sich hören. Warum das aber so war? Wir bekamen keine Antwort auf diese Frage.
Mit Sechzig begann meine Frau zu kränkeln und deswegen fanden wir den Vorschlag von unserem Sohn, dass er mit seiner Frau bei uns einziehen wollte, sehr gut. Gesagt, getan, lief zuerst auch alles bestens. Die beiden nahmen uns vieles ab und schon bald meinten sie, dass es doch an der Zeit wäre, ihnen das Haus zu überschreiben. Nichtsahnend willigten wir ein.
Nachdem der Vertrag mit ihnen unter Dach und Fach war, erkannten meine Erna und ich, welch großen Fehler wir begangen hatten. Das Verhalten von unserem Sohn und seiner Frau wendete sich drastisch, plötzlich waren wir ihnen nur noch lästig. Sie bombardierten uns mit Prospekten von Altenheimen. Erna und ich resignierten und zogen in das Haus Sonnenblick. Es ist gleich hier um die Ecke.“
Wilhelm deutete mit seinem rechten Zeigefinger in die Richtung, in der das Altenheim lag.
„Ich kenne das Haus“, sagte ich. „Ist das nicht Betreutes Wohnen?“
„Ja, da haben Sie recht“, erwiderte er, „daran ist auch nichts auszusetzen. Aber 30 qm, was kann man da schon mitnehmen? All unsere schönen Möbel mußten wir aussortieren. Das Schlimmste jedoch war, dass wir unseren treuen Hund Wurzel nicht mitnehmen konnten. Keine Haustiere erlaubt, so steht es in der Hausordnung. Meiner Erna zerbrach es das Herz.“
„Ihr Sohn und seine Frau hätten den Wurzel doch behalten und ihn bei ihren Besuchen mitbringen können“, warf ich ein.
Seine Augen wurden feucht. „Sie haben ihn ins Tierheim gebracht.“
„Zu Besuch, ja, da kamen sie die erste Zeit noch. Es wurde aber immer weniger. Keine Zeit, wissen Sie. Meine Erna, sie starb zwei Jahre später. Ich glaube, das gebrochene Herz raubte ihr die Kraft zum Weiterleben.“
„Das Ganze tut mir so furchtbar leid für Sie“, antwortete ich. „Was soll man dazu sagen? Die eigenen Kinder, wie können die so herzlos sein?“
„Ach Angie, was rede ich, Sie haben bestimmt etwas anderes vor, als einem alten Mann zuzuhören.“
„Ist schon in Ordnung Wilhelm, man muß sich ja ab und an mal aussprechen.“
Spät war es geworden, ich erhob mich von der Bank.
„Ich muß jetzt gehen, sonst wird mir das zu dunkel.“
„Danke Angie, dass Sie mir zugehört haben. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.“
„Da nicht für! Bis zum nächsten Mal Wilhelm, gute Nacht.“
Meine Spaziergänge führten mich jetzt immer öfter in den Park und jedes Mal saß Wilhelm auf der Bank und wartete auf mich. Aus unserer zufälligen Bekanntschaft wurde Freundschaft. Hin und wieder unternahmen wir Ausflüge, gingen Kaffee trinken, oder wir saßen einfach nur schweigend auf der Bank. Wenn das Wetter schlecht war, verbrachten wir Zeit in seiner oder meiner Wohnung, schauten uns Fotoalben an, spielten Mühle, Dame, lasen Gedichte, Geschichten, oder wir sahen gemeinsam fern. Trotz des Altersunterschieds, es lagen immerhin dreißig Jahre zwischen uns, waren wir ein Herz und eine Seele, wir verstanden uns prächtig.
Unser Treffpunkt aber, der war allezeit die Parkbank, denn auf diese Weise konnten wir immer erst einen kleinen Spaziergang machen. Von dort, wo alles begann, starteten wir unsere Unternehmungen, außer bei ganz scheußlichem Wetter, dann telefonierten wir vorher und verabredeten uns anderswo.
Eines Tages, es war ein schöner Herbsttag, war die Bank verwaist und mich beschlich ein sehr ungutes Gefühl. Mit sorgenvoller Miene suchte ich das Haus Sonnenblick auf und als mich die Dame an der Rezeption sah, veränderte sich sogleich ihre Mimik.
„Frau Peters, Sie suchen bestimmt Wilhelm Herzog, nicht wahr? Ich muß Ihnen leider sagen, dass ihr Freund letzte Nacht gestorben ist, er ist ganz friedlich eingeschlafen. Es tut mir so leid.“
Ich brach in Tränen aus. Die Frau vom Empfang kam um den Tresen herum, nahm mich in den Arm und versuchte mich zu trösten. Ich bedankte mich für ihre Anteilnahme und verließ das Haus. Mein Weinen verebbte, aber kopflos und mit einer unsagbaren Leere in mir wankte ich heimwärts.
Wilhelms Beerdigung fand in aller Stille statt. Um seine Angehörigen nicht in Verlegenheit zu bringen, platzierte ich mich abseits von der Zeremonie. Schnell war sie vorüber und nachdem alle anderen Trauergäste gegangen waren, trat ich an das offene Grab. Krampfhaft hielt ich meine mitgebrachte Rose in der Hand und scheute mich sie hinunterzuwerfen, denn das, was ich nicht wahrhaben wollte, würde dann so endgültig sein. Meine Tränen rollten, mir wurde übel, die Blume entglitt meiner Hand und reihte sich lautlos, für mich aber fast dröhnend, in das Blumengebinde auf dem Sarg ein.
„Tschüß Wilhelm“, meine Stimme war nur ein Flüstern.
Die Erinnerung an meinen Heimweg, wie er sich gestaltete, keine Ahnung. Irgendwann fand ich mich im dunklen Wohnzimmer meiner Wohnung wieder und ertappte mich dabei, wie ich ins Nichts starrte.
Eine Woche später besuchte ich erneut den Friedhof. Am Tag der Beisetzung war mir gar nicht aufgefallen, dass sich direkt gegenüber von Wilhelms Grabstätte eine Bank befand. Sofort mußte ich an unseren Treffpunkt im Park denken und schon kämpfte ich wieder mit meinen Tränen. Da der Boden, unter meinen Füßen, scheinbar in Bewegung geriet, setzte ich mich hin.
Mein Blick wanderte zum Grab und urplötzlich flutete Wärme mein Herz. Obwohl der Platz neben mir leer war, verspürte ich eine unglaubliche Nähe, mir war, als würde Wilhelm direkt neben mir sitzen.
Heute, wenn meine Zeit es mir erlaubt, führt mich manch einer meiner Wege zum Friedhof, denn dort, auf dieser Bank, vermisse ich ihn nicht ganz so stark, meinen väterlichen Freund.
~
( Urheberrecht Uschi Pohl )
Die Geschichte könnte wahr sein, ist aber fiktiv...
Kommentare (7)
Roxanna
deine Geschichte hat mich sehr berührt. Es ist doch wunderbar, wenn sich zwei Menschen finden, füreinander öffnen und sich gegenseitig so viel geben können. Das passiert einem nicht so oft im Leben und es ist ein Geschenk. In dieser Geschichte war es ein Geben und Nehmen und auch das ist wichtig. Beide haben profitiert.
LG
Roxanna
LG
Roxanna
uschipohl †
Hallo Mitmenschen,
erst einmal möchte ich mich bei euch, für eure Lesefreude und eure Zeilen, bedanken.
Wenn ich Menschen erreichen, sie mit meinen Worten berühren kann, dann habe ich alles richtig gemacht und dann geht auch für mich das Herz auf.
Wenn die eigenen Kinder die Eltern vergessen, dann muß irgendetwas schiefgegangen sein. Man sollte das Gespräch suchen, sich Klarheit verschaffen, warum ist etwas so gelaufen, ansonsten wird man das Grübeln nicht mehr los. Das ist natürlich immer leichter gesagt, als getan, denn oftmals sind die Fronten sehr verhärtet und man traut sich gar nicht mehr diese unsichtbare Mauer einzureißen.
Aber was kann man verlieren? Mehr als ein Schweigen, was sowieso schon vorliegt, kann man nicht bekommen, deswegen kann man eigentlich nur gewinnen oder es bleibt, wie es vorher war...
Das wäre natürlich schade.
Ich wünsche uns allen, dass wir das Alter genießen können und uns unsere Mitmenschen nicht links liegen lassen
herzliche Grüße
uschi
erst einmal möchte ich mich bei euch, für eure Lesefreude und eure Zeilen, bedanken.
Wenn ich Menschen erreichen, sie mit meinen Worten berühren kann, dann habe ich alles richtig gemacht und dann geht auch für mich das Herz auf.
Wenn die eigenen Kinder die Eltern vergessen, dann muß irgendetwas schiefgegangen sein. Man sollte das Gespräch suchen, sich Klarheit verschaffen, warum ist etwas so gelaufen, ansonsten wird man das Grübeln nicht mehr los. Das ist natürlich immer leichter gesagt, als getan, denn oftmals sind die Fronten sehr verhärtet und man traut sich gar nicht mehr diese unsichtbare Mauer einzureißen.
Aber was kann man verlieren? Mehr als ein Schweigen, was sowieso schon vorliegt, kann man nicht bekommen, deswegen kann man eigentlich nur gewinnen oder es bleibt, wie es vorher war...
Das wäre natürlich schade.
Ich wünsche uns allen, dass wir das Alter genießen können und uns unsere Mitmenschen nicht links liegen lassen
herzliche Grüße
uschi
Monioma
Obwohl auch ich meine Mutter (97) vor einem Jahr in einem Altenheim untergebracht habe, gehören die regelmäßigen Besuche (jeden zweiten Tag) zu meinem Alltag! Fast alle Bewohner kennen mich bereits und winken mir schon von weitem zu! Wenn ich Kuchen mitbringe, fällt natürlich auch für den einen oder anderen ein Stück ab. Und es ist ein schönes Gefühl, wenn der eine oder andere noch ein kurzes Schwätzchen mit mir halten will oder mir einfach seine Hand hinhält, bevor ich im Zimmer meiner Mutter verschwinde! Aber ich weiß, Besuche sind bei den anderen Bewohnern nicht an der Tagesordnung, nein, sie sind überhaupt sehr selten!
Ich hoffe natürlich, dass ich meinen Kindern mit meinem Verhalten etwas vorlebe und vielleicht dann auch nicht allein sein werde!
Zur Geschichte: Sie hat mich sehr berührt!
Monioma
Ich hoffe natürlich, dass ich meinen Kindern mit meinem Verhalten etwas vorlebe und vielleicht dann auch nicht allein sein werde!
Zur Geschichte: Sie hat mich sehr berührt!
Monioma
werderanerin
das stimmt mich traurig und auch nachdenklich zugleich, stelle ich mir die Frage, wer hat was "falsch" gemacht oder warum hat euer Sohn den Kontakt abgebrochen bzw. unterbrochen...habe meine Erfahrungen auch im Leben gemacht und immer festgestellt, dass man schwierige Themen auch ansprechen sollte, manchmal stehen nur Mißverständnisse im Wege oder jeder hat aus irgendwelchen Gründen andere Anschaungen, vielleicht etwas falsch verstanden...aber reden hilft meistens...und ich könnte mir vorstellen, dass es wichtig für euch wäre, das zu klären, denn es bleibt doch immer der Sohn...manchmal muss man einfach den ersten Schritt tun und ist später dankbar dafür, dies getan zu haben...
Kristine
Kristine
ehemaliges Mitglied
aber so ist das leben, wir haben unseren sohn studieren lassen. meine frau ging putzen, ich machte als handwerker
viele Überstunden,um es bezahlen zu können.
und jetzt vergisst er meinen geburtstag und so weiter.
kein kontakt.
helmut
viele Überstunden,um es bezahlen zu können.
und jetzt vergisst er meinen geburtstag und so weiter.
kein kontakt.
helmut
werderanerin
eine wunderbare und dennoch sehr traurige Geschichte zugleich...meine Augen wurden feucht...
Es ist sicher keinesfalls eine Seltenheit, was du in der Geschichte geschildert hast und das kann einen traurig machen. Mir zieht sich das Herz zusammen, wenn ich lese, dass die eigenen Kinder überhaupt zu so einer Herzlosigkeit in der Lage waren...sicher muss man sich die Frage stellen, wie konnte es überhaupt dazu kommen, was ist "schief" gelaufen...?
Wilhelm wird dennoch die schöne Zeit mit Angelika genossen haben, war er doch nicht mehr so einsam und allein.
Wenn man mit offenen Augen durchs Leben geht, kann man oft Menschen sehen, die allein scheinen und das kann einen traurig machen, denn Einsamkeit kann sehr weh tun.
Ich habe einen ganz wunderbaren und liebevollen Sohn und weiß, er würde mich nie allein lassen, egal was ist und das macht mich schon heute sehr glücklich.
Ich wünschte, alle Kinder würden sich an ihre Eltern auch dann erinnern, wenn sie "alt" geworden sind und vielleicht Hilfe und auch Zuneigung brauchen.
In dem Sinne einen schönen Sonntag
Kristine
Es ist sicher keinesfalls eine Seltenheit, was du in der Geschichte geschildert hast und das kann einen traurig machen. Mir zieht sich das Herz zusammen, wenn ich lese, dass die eigenen Kinder überhaupt zu so einer Herzlosigkeit in der Lage waren...sicher muss man sich die Frage stellen, wie konnte es überhaupt dazu kommen, was ist "schief" gelaufen...?
Wilhelm wird dennoch die schöne Zeit mit Angelika genossen haben, war er doch nicht mehr so einsam und allein.
Wenn man mit offenen Augen durchs Leben geht, kann man oft Menschen sehen, die allein scheinen und das kann einen traurig machen, denn Einsamkeit kann sehr weh tun.
Ich habe einen ganz wunderbaren und liebevollen Sohn und weiß, er würde mich nie allein lassen, egal was ist und das macht mich schon heute sehr glücklich.
Ich wünschte, alle Kinder würden sich an ihre Eltern auch dann erinnern, wenn sie "alt" geworden sind und vielleicht Hilfe und auch Zuneigung brauchen.
In dem Sinne einen schönen Sonntag
Kristine
die Protagonisten haben beide etwas gewonnen, genau das steht zwischen den Zeilen. Sie erlangten eine neue Perspektive auf das Leben, Freundschaft, wichtige Lebensqualität
ich bedanke mich für deine Lesefreude und deine feinen Zeilen
herzliche Grüße
uschi