Die Erzählung
(Erinnert dank dem Eintrag von WurzelFluegel)
Als etwa zwölfjähriges Mädchen habe ich eine Erzählung gelesen, die ich lange nicht vergessen konnte. Damals las ich Erzählungen sehr gern, obwohl viele von ihnen ziemlich düster waren, und nur selten ein Happyend hatten. Das Buch, von dem die erwähnte Erzählung stammt, habe ich mir nach vielen Jahren im Internet bestellt, und habe es immer dabei.
Der Ich-Erzähler ist gerade 18 Jahre alt, und durch einen Zufall mit einem siebzigjährigen Mann angefreundet. In Gedanken nennt er ihn natürlich einen Greis; nicht nur wegen des großen Altersunterschiedes, sondern weil es damals üblich war. Die Handlung der Erzählung spielte sich um das Jahr 1900 ab. Die zwei Männer, beide alleinstehend, haben sich also immer wieder getroffen, meistens bei einem Abendessen, von der Dienerin des älteren Mannes zubereitet. Dann kam Weihnachten, und da wurde der Junge wiedermal zum Essen eingeladen. Diesmal saßen sie aber nicht wie gewöhnlich im großen Esszimmer, sondern in einem Kämmerlein daneben. Und da begann der alte Mann zu erzählen…
Mit Weihnachten hatte er lange nur schlechte Erinnerungen. Begonnen damit, dass sein Vater das Fest einfach hasste, und wollte seinen Kindern nie erlauben, einen Weihnachtsbaum zu besorgen, und den zu schmücken. Einmal wagten sie das heimlich zu machen; als es der Vater entdeckt hatte, brach er das Bäumchen in Stücke, Schmuck zertreten, und mit den Ästen hat er die Kinder geschlagen. Später gab es auch immer wieder schlechte Ereignisse, oder es ging dem Mann einfach so schlecht, dass er sich keinen Weihnachtsbaum leisten konnte. Erst wenn alt geworden, konnte er endlich mal alles so gestalten, wie er es sich schon als Kind erträumt hatte…
Der Mann schwieg nun, und schaute vor sich hin, in Gedanken und Erinnerungen versunken. Der junge Mann wollte sich schon verabschieden, da kam die Dienerin rein, und sagte: Alles ist nun fertig! Der Alte sprang einfach hoch, und lud seinen jungen Freund in das Esszimmer ein. Als die Tür aufging, sah er einen riesengroßen Weihnachtsbaum, wunderschön geschmückt und glänzend. Der alte Mann kam daran und rief laut vor Freude, was es da nicht alles gibt! Und auch noch Geschenke darunter! Er tanzte einfach um den Baum herum, mit roten Wangen und strahlenden Augen. Alles wollte er anfassen, die Nüsse und Lebkuchen genießen; einfach die ganze Welt vergessen… Der junge Mann verließ leise das Zimmer.
Kommentare (12)
@WurzelFluegel
Ich glaube, liebe WurzelFluegel, dass die Art und Weise, wie man Weihnachten als Kind erleben konnte, prägt das ganze spätere Leben irgendwie ein. Und da wären wohl zwei Dinge am wichtigsten: Erstens, der Glanz und grelle Farben! Und zweitens, aber eigentlich noch wichtiger: Die Atmosphäre der Liebe, Ruhe, und dieses etwas so ganz Ausserordentliches. Ein Gemisch aus Farben, Düften, Melodien, und Worten. Und jetzt können wir auch wirklich bescheiden das Fest begehen; das Wichtigste steckt hoffentlich irgendwo im Gedächtnis. :)
Mit herzlichen Grüßen
Christine
Ach, liebe Christine,
welch eine schöne Geschichte! Richtig passend zur Advents- und Weihnachtszeit.
Sie erinnert mich lebhaft an ähnlich Erlebtes.
Denn meine Mutter hielt nie viel von Weihnachten. Sicher auch bedingt durch die Kriegszeit. Selbst nach dem Krieg fiel dieses Fest ganz oder nur spartanisch aus.
In der Kindheit meines Mannes war es noch viel schlimmer.
Erst als wir eigene Kinder hatten, konnten wir das Weihnachtsfest so gestalten, wie wir es als Kinder nie erlebt hatten.
Die Erinnerung an diese weihnachtlichen Bescherungen, die Spannung, die glücklichen Gesichter unserer Kinder und unsere eigenen Gefühle bleiben unvergessen.
So kann ich gut die strahlenden Augen des alten Mannes verstehen und seinen Tanz um den Weihnachtsbaum herum.
Danke Dir fürs Erzählen und gute Wünsche zum bevorstehenden Weihnachtsfest von
Andrea
@Muscari
Liebe Andrea, auch Du konntest uns also eine schöne Geschichte erzählen. Ich habe mich dabei erwischt, dass ich lächeln musste bei Deinen Worten über die glücklichen Gesichter Deiner Kinder. Was kann schon schöner für die Eltern sein, könnte man denken, doch es ist eben nicht immer so. Hauptsache aber, das Du und Dein Mann es konntet, und Ihr alle habt nun schöne Erinnerungen. :) Und Dein Foto finde ich absolut stimmungsvoll.
Mit lieben Grüßen
Christine
Liebe Christine,
viele unserer Eltern/Großeltern durchlebten leider eine spartanische Jugendzeit, so dass ihr sehnlichster Traumwunsch nie in Erfüllung ging. Erst im Alter, wenn nach einem turbulenten Leben die Ruhe einkehrt, erinnern sie sich wieder daran. Wunderbar, wenn man sich diesen Wunsch später, fast wie ein Trostpflaster, dann doch noch erfüllen kann.
Bei meiner Mutter war es nämlich auch so. Sie hatte sich im späten Alter eine Puppe gekauft.
In einem hübschen Kleidchen thronte die kleine Prinzessin plötzlich auf der Rückenlehne ihres Sofas, eingerahmt von zwei Samtkissen. Als ich erstaunt meine Mutter darauf ansprach, erwiderte sie leise und sichtlich verlegen:“ Die habe ich mir jetzt gekauft, denn ich hatte doch als Kind nie ein Püppchen gehabt.“
Deine nette Erzählung kann ich mir deshalb gut vorstellen.
Viele Grüße
Rosi65
@Rosi65
Liebe Rosi, das war einfach wunderbar, dass sich Deine Mutter diese Puppe doch nachholen, sozusagen, liess. Ja, eine Kindheit bringt nicht immer, und nicht allen Kindern, das was sie sich erträumen würden. Aus welchen Gründen auch immer... Ich glaube, dieses Nachholen ist total wichtig; wer zur rechten Zeit ein Kind nicht sein konnte, oder es nicht durfte, wird nur schwer echt erwachsen, wenn manches nicht doch erlebt. Und die Weihnachtszeit wäre eben richtig, um nachzudenken: Was fehlte mir so sehr, als ich klein war? Und wenn nur möglich - kaufen, besorgen, leihen!
Mit herzlichen Grüßen
Christine
Bei diesem wundervollen Erlebnis wäre ich gerne dabei gewesen
liebe Christine
aber es ließ sich ganz wunderbar auch lesen und eine bißchen Gänsehaut hatte ich dabei auch...
Lieben Dank, dass Du mit uns diese Geschichte geteilt hast , sie ist wirklich lesenswert..
liebe Grüße herzlichst
Renate
@ladybird
Es freut mich, liebe Renate, dass die Erzählung auch Dir gut gefallen hat. Der Verfasser machte das also echt gekonnt: Das Buch ist ganz dick, und es gibt da keine einzige Bildnis - trotzdem konnte ich es als kaum Jugendliche immer wieder aufs neue lesen. Gänsehaut - bei einem jeden Mal...
Mit herzlichen Grüßen
Christine
Das innere Kind, liebe Christine bleibt immer lebendig. Es ist gut, sich immer wieder darum zu kümmern. Und, wenn es schon bei den Eltern nicht liebevoll zugegangen ist, so kann man sich das als erwachsener Mensch selbst schenken. Eine schöne Geschichte, hat mich sehr berührt.
Lieben Gruß und einen schönen 4. Advent wünsche ich dir
Brigitte
@Roxanna
Danke, liebe Brigitte, für deine netten Worte. Ja, die Erzählung kann schon berühren... Und ja, um unser innere Kind sollten wir uns immer herzhaft kümmern. Und immer dazu fähig bleiben, sich über etwas zu freuen. Da braucht man ja nicht kindisch zu werden, aber ein kleines Wenig wahnsinnig - schon. :)
Mit herzlichen Grüßen
Christine
Wie schön, nun hat "der Alte" sehr viel später doch noch seinen Weihnachtsbaum bewundern können.
Es ist nie zu spät, um sich zu erfreuen, liebe Christine.
Kristine
🎄
@werderanerin
Ja, liebe Kristine, darüber war die Rede mehrmals schon im ST, man kann es aber gerne wiederholen: Die Freude ist einfach ein Lebenselixier. Es gibt wahrscheinlich ganz viele Leute, die aus dem einen oder anderen Grund ihre Kindheitsfreuden nicht so geniessen konnten, wie es für ein jedes Kind möglich sein sollte. Na dann, hoffentlich kann man es im Alter doch noch nachholen!
Mit Grüßen
Christine
Danke, liebe Christine,
für die Erzählung.
Wir feierten Weihnacht bescheiden, aber meine Mama hatte Talent,
trotzdem diesen Zauber hervorzulocken.
Ich erinnere mich sehr gerne an die Weihnachten
meiner Kindheit.
Später habe ich eine Weile mit viel Glitzerglanz gefeiert,
und nun bin ich zu viel Einfacherem zurückgekehrt.
⭐️
besinnliche Grüße
WurzelFluegel