Der Gendarmenmarkt
Heute Nachmittag bin ich mit meinem Spatz in die Stadt gefahren – das hört sich vielleicht komisch an, wenn ein Berliner in Berlin nach Berlin fährt und sagt, er führe in die Stadt oder auch er führe nach Berlin. Andersrum spricht der Berliner, wenn er innerhalb Berlins herumkurvt sein Ziel an, den Stadtteil. Nur einen Stadtteil gibt es einfach nicht mehr, den es zur Geburt dieser Stadt Berlin gab: das Fischerdorf Cölln, das vom Dorf Berlin durch die Spree getrennt war. Eine Reminiszenz an Cölln gibt es noch: den Stadtteil Neukölln, der sich wieder aus vielen Dörfern zusammen basteln ließ.
Aber ihr Lieben das hat mich heute gar nicht bewegt. Mit Spatz bin ich nach Berlin gefahren. Es hat mir besonderen Spaß gemacht, dass Spatz mich in der „Baustelle Ostkreuz“, dem Bahnhof Ostkreuz, der ganz früher auch mal Stralau-Rummelsburg hieß, zum Fotografieren lockte, was ich, der Eisenbahn-Begeisterte, ihm eigentlich nicht zumuten wollte.
Wir ließen beim Umsteigen in Ostkreuz eben ein paar Bahnen sausen, um dann, man bedenke, es ist Freitagnachmittag, in eine recht volle Bahn einzusteigen. Die war bis zum Ostbahnhof – was mal der Schlesische Bahnhof war – gar nicht so voll, wie wir erwarteten.
Wenn die Bahn nicht Eisenräder hätte, dann könnte man meinen, unser Wagen, den wir erwischten, hätte einen Plattfuß. Rumsrumsrums… ein Schlag in einem der acht Räder des Drehgestells, auf dem wir Sitzplätze (im Wagenkasten natürlich) gefunden hatten. Weiter dachten wir nicht, es könnte ja Schlimmeres sein.
Bahnhof Friedrichstraße. Wir waren in Fahrtrichtung (nach Westen) ziemlich vorne eingestiegen. So konnten wir noch die quer unter dem Bahnhof durchfließende Spree überqueren und kamen so zum Schiffbauerdamm. Wieder gab es so vieles Interessantes zu fotografieren.
Da ging es uns eigentlich um ein Lokal, das ein Bonner Gastwirt nach der Wende ins Leben gerufen hatte: „Die Ständige Vertretung“. Das sagt euch nichts. Aber wir Wessies kannten die Einrichtung mit so einem Namen bei den Ossies in Berlin, die keine Botschaft war. Da mussten wir doch einmal näher ran.
Wir kamen so zur Weidendammbrücke. Wir überquerten die Spree und wanderten weiter auf der anderen Seite des Bahnhofes Friedrichstraße, bis wir die Friedrichstraße unter unsern Füßen spürten.
Lebhaftes Gedränge. Die Sonne schickte sich an, einfach abzutauchen. Die Autos machten ihr Licht an, die Reklamen streuten farbige Strahlen zur Straßenbeleuchtung. Zu allem kam das Licht in den Schaufensterauslagen dazu.
Wie immer herrschte „Unter den Linden“ lebhafter Verkehr. Wir wechselten auf dieser Prachtstraße – es war schon reichlich dunkel geworden – zum Mittelstreifen. Allen Alleebäumen hatte man Girlanden mit Lämpchen um den Stamm und die jetzt leer gewordenen Äste gewickelt, ein Relikt von der Herbst-Illumination. Ein gelbrötliches, weiches Licht.
Wirklich lebhaftes Gedränge – was wird morgen los sein?
In Richtung Rotes Rathaus versperrte eine typische Berliner Baustelle das Flanieren. In Gegenrichtung, also zum Brandenburger Tor konnte man „sauber“ hinsehen. Auf dem Mittelstreifen konnten wir an der Leuchtreklame lesen, dass Vattenfall für diese Stromlieferung großzügig spendete. Bloß, ein „T“ fehlte, dem war das „Licht“ ausgegangen. Ruhig bleiben: ein Blaumann mit Leiter wartete schon, dass die Ampel das Grün setzte und er hinüber wechseln durfte.
Wir aber wechselten über die „Linden“ weiter in die Friedrichstraße. Ich wünschte mir, doch zum Gendarmenmarkt weiter zu wandern. Es ging schleppend voran, weil es immer wieder Ansichten mit dem „Knipsofot“ einzufangen galt. Kaum durfte der festgehaltene Verkehr sich wieder in Fahrt begeben, hörte man auch Getrappel einer Pferdedroschke.
Nun hatte uns die Friedrichstraße wieder. Eine Band stand da im Fastdunkel und brachte Weisen mit Blech und Holz zum Klingen. Bis wir endlich in der Jägerstraße nach links abbiegen konnten, wieder so viele Eindrücke festzuhalten. Für wen das Ganze? Eben für zu Hause zum Schwelgen und alles noch einmal friedlich und in Ruhe zu betrachten.
Schaust du die Jägerstraße entlang, dann zeigt sich dir einer der beiden Dome am Gendarmenmarkt in bunter und heller Beleuchtung.
Wir schritten ganz langsam hin zu dem schönsten und friedlichsten Platz mitten in Berlin.
Und dann war Halt geboten: Eintritt ein Euro, kurzes Anstehen, eben eine Schlange vor dem Kartenschalter.
Ein „Wachsoldat“ in historischer Uniform riss den Coupon an. Und wir durften passieren.
Ich sah die Buden, sah das Dicht an Dicht. Mir kamen die Tränen. Mich überwältigten die Erinnerungen an Mutters Erzählungen über das erste Weihnachten 1924 in Berlin.
»Man wohnte noch im Hotel am Gendarmenmarkt. Ihre Eltern hatten einen Laden gegenüber von dem Feinkostladen Borchart, sie da mit Mecklenburgischen Spezialitäten – man war 1915 nach Übersiedlung von Moskau doch in Güstrow gelandet. Hier in Berlin gab es an den Adventstagen reichlich zu tun.
Heiligabend – Mutter war fünfzehn Jahre alt, da wünscht man sich doch einen Weihnachtsbaum – ihre Eltern hatten keine Zeit für so etwas. Also zog das Mädel los, sammelte Fichtenzweige, bekam sie geschenkt. Sie schaffte es da oben im Hotelzimmer, aus einem Besenstiel einen Christbaum zu zaubern. Ihre Mutter – was unsere Großmutter war – begann zu heulen. Großvater nahm seine Tochter in den Arm, was Oma einfach nicht fertig brachte.«
Gendarmenmarkt heute, ja alle die Jahre, wo ich mit Spatz zu diesem Ort wandere, ich musste wieder an diese von Mutter uns anvertraute Geschichte denken.
Ich sah 1943 den Gendarmenmarkt, als er bei einem Luftangriff ordentlich etwas auf die Mütze bekommen hatte. Unser Onkel, der im Hotel Hospiz am Gendarmenmarkt ausgebombt wurde, brachte ein Besteck von da mit, alles, was ihm geblieben war.
1984 kam ich zum Gendarmenmarkt. Man baute ja wieder auf, aber es sah, wie in der ganzen östlichen Republik überall, so aus, als gäbe es wohl nur zwei Farben: rot und grau, wobei das Grau überwog.
Und 2008?
Da, gleich um die Ecke
am Konzerthaus, haben Spatz und ich uns für die Zukunft in die Hand versprochen, miteinander zusammen zu gehen, auf uns aufzupassen.
Seit ich ganz zu Hause in Berlin bin, sind wir immer wieder beim und auf dem Gendarmenmarkt.
Natürlich gingen vom Weihnachtsmarkt gebrannte Mandeln mit, der Glühwein schmeckte gut zur Thüringer Bratwurst.
Mit der U-Bahn ging es zurück zum Alexanderplatz. Umsteigen zur S-Bahn. Als wir in Ostkreuz umstiegen, fing es an zu nieseln. Nun, das hatten uns die Wetter-Propheten voraus gesagt.
Also hatten wir doch ein Riesenglück an diesem Freitag in der ersten Adventwoche, bei einem lauen Novembertag am Gendarmenmarkt.
Aber ihr Lieben das hat mich heute gar nicht bewegt. Mit Spatz bin ich nach Berlin gefahren. Es hat mir besonderen Spaß gemacht, dass Spatz mich in der „Baustelle Ostkreuz“, dem Bahnhof Ostkreuz, der ganz früher auch mal Stralau-Rummelsburg hieß, zum Fotografieren lockte, was ich, der Eisenbahn-Begeisterte, ihm eigentlich nicht zumuten wollte.
Wir ließen beim Umsteigen in Ostkreuz eben ein paar Bahnen sausen, um dann, man bedenke, es ist Freitagnachmittag, in eine recht volle Bahn einzusteigen. Die war bis zum Ostbahnhof – was mal der Schlesische Bahnhof war – gar nicht so voll, wie wir erwarteten.
Wenn die Bahn nicht Eisenräder hätte, dann könnte man meinen, unser Wagen, den wir erwischten, hätte einen Plattfuß. Rumsrumsrums… ein Schlag in einem der acht Räder des Drehgestells, auf dem wir Sitzplätze (im Wagenkasten natürlich) gefunden hatten. Weiter dachten wir nicht, es könnte ja Schlimmeres sein.
Bahnhof Friedrichstraße. Wir waren in Fahrtrichtung (nach Westen) ziemlich vorne eingestiegen. So konnten wir noch die quer unter dem Bahnhof durchfließende Spree überqueren und kamen so zum Schiffbauerdamm. Wieder gab es so vieles Interessantes zu fotografieren.
Da ging es uns eigentlich um ein Lokal, das ein Bonner Gastwirt nach der Wende ins Leben gerufen hatte: „Die Ständige Vertretung“. Das sagt euch nichts. Aber wir Wessies kannten die Einrichtung mit so einem Namen bei den Ossies in Berlin, die keine Botschaft war. Da mussten wir doch einmal näher ran.
Wir kamen so zur Weidendammbrücke. Wir überquerten die Spree und wanderten weiter auf der anderen Seite des Bahnhofes Friedrichstraße, bis wir die Friedrichstraße unter unsern Füßen spürten.
Lebhaftes Gedränge. Die Sonne schickte sich an, einfach abzutauchen. Die Autos machten ihr Licht an, die Reklamen streuten farbige Strahlen zur Straßenbeleuchtung. Zu allem kam das Licht in den Schaufensterauslagen dazu.
Wie immer herrschte „Unter den Linden“ lebhafter Verkehr. Wir wechselten auf dieser Prachtstraße – es war schon reichlich dunkel geworden – zum Mittelstreifen. Allen Alleebäumen hatte man Girlanden mit Lämpchen um den Stamm und die jetzt leer gewordenen Äste gewickelt, ein Relikt von der Herbst-Illumination. Ein gelbrötliches, weiches Licht.
Wirklich lebhaftes Gedränge – was wird morgen los sein?
In Richtung Rotes Rathaus versperrte eine typische Berliner Baustelle das Flanieren. In Gegenrichtung, also zum Brandenburger Tor konnte man „sauber“ hinsehen. Auf dem Mittelstreifen konnten wir an der Leuchtreklame lesen, dass Vattenfall für diese Stromlieferung großzügig spendete. Bloß, ein „T“ fehlte, dem war das „Licht“ ausgegangen. Ruhig bleiben: ein Blaumann mit Leiter wartete schon, dass die Ampel das Grün setzte und er hinüber wechseln durfte.
Wir aber wechselten über die „Linden“ weiter in die Friedrichstraße. Ich wünschte mir, doch zum Gendarmenmarkt weiter zu wandern. Es ging schleppend voran, weil es immer wieder Ansichten mit dem „Knipsofot“ einzufangen galt. Kaum durfte der festgehaltene Verkehr sich wieder in Fahrt begeben, hörte man auch Getrappel einer Pferdedroschke.
Nun hatte uns die Friedrichstraße wieder. Eine Band stand da im Fastdunkel und brachte Weisen mit Blech und Holz zum Klingen. Bis wir endlich in der Jägerstraße nach links abbiegen konnten, wieder so viele Eindrücke festzuhalten. Für wen das Ganze? Eben für zu Hause zum Schwelgen und alles noch einmal friedlich und in Ruhe zu betrachten.
Schaust du die Jägerstraße entlang, dann zeigt sich dir einer der beiden Dome am Gendarmenmarkt in bunter und heller Beleuchtung.
Wir schritten ganz langsam hin zu dem schönsten und friedlichsten Platz mitten in Berlin.
Und dann war Halt geboten: Eintritt ein Euro, kurzes Anstehen, eben eine Schlange vor dem Kartenschalter.
Ein „Wachsoldat“ in historischer Uniform riss den Coupon an. Und wir durften passieren.
Ich sah die Buden, sah das Dicht an Dicht. Mir kamen die Tränen. Mich überwältigten die Erinnerungen an Mutters Erzählungen über das erste Weihnachten 1924 in Berlin.
»Man wohnte noch im Hotel am Gendarmenmarkt. Ihre Eltern hatten einen Laden gegenüber von dem Feinkostladen Borchart, sie da mit Mecklenburgischen Spezialitäten – man war 1915 nach Übersiedlung von Moskau doch in Güstrow gelandet. Hier in Berlin gab es an den Adventstagen reichlich zu tun.
Heiligabend – Mutter war fünfzehn Jahre alt, da wünscht man sich doch einen Weihnachtsbaum – ihre Eltern hatten keine Zeit für so etwas. Also zog das Mädel los, sammelte Fichtenzweige, bekam sie geschenkt. Sie schaffte es da oben im Hotelzimmer, aus einem Besenstiel einen Christbaum zu zaubern. Ihre Mutter – was unsere Großmutter war – begann zu heulen. Großvater nahm seine Tochter in den Arm, was Oma einfach nicht fertig brachte.«
Gendarmenmarkt heute, ja alle die Jahre, wo ich mit Spatz zu diesem Ort wandere, ich musste wieder an diese von Mutter uns anvertraute Geschichte denken.
Ich sah 1943 den Gendarmenmarkt, als er bei einem Luftangriff ordentlich etwas auf die Mütze bekommen hatte. Unser Onkel, der im Hotel Hospiz am Gendarmenmarkt ausgebombt wurde, brachte ein Besteck von da mit, alles, was ihm geblieben war.
1984 kam ich zum Gendarmenmarkt. Man baute ja wieder auf, aber es sah, wie in der ganzen östlichen Republik überall, so aus, als gäbe es wohl nur zwei Farben: rot und grau, wobei das Grau überwog.
Und 2008?
Da, gleich um die Ecke
am Konzerthaus, haben Spatz und ich uns für die Zukunft in die Hand versprochen, miteinander zusammen zu gehen, auf uns aufzupassen.
Seit ich ganz zu Hause in Berlin bin, sind wir immer wieder beim und auf dem Gendarmenmarkt.
Natürlich gingen vom Weihnachtsmarkt gebrannte Mandeln mit, der Glühwein schmeckte gut zur Thüringer Bratwurst.
Mit der U-Bahn ging es zurück zum Alexanderplatz. Umsteigen zur S-Bahn. Als wir in Ostkreuz umstiegen, fing es an zu nieseln. Nun, das hatten uns die Wetter-Propheten voraus gesagt.
Also hatten wir doch ein Riesenglück an diesem Freitag in der ersten Adventwoche, bei einem lauen Novembertag am Gendarmenmarkt.
Frohe Weihnachten!
ortwin
Kommentare (2)
Komet
Du hast wieder mal alles sehr schön beschrieben - auch wie es in früheren Zeiten war.
Deine wunderschönen Aufnahmen begeistern mich immer wieder.
Ich wünsche Dir und Deinem Spatz noch einen schönen
1.Advent.
Herzliche Grüße sendet Dir Ruth
Deine wunderschönen Aufnahmen begeistern mich immer wieder.
Ich wünsche Dir und Deinem Spatz noch einen schönen
1.Advent.
Herzliche Grüße sendet Dir Ruth
Ich kenne diesen Platz in Berlin nur in der warmen Jahreszeit. Nachdem die Mauer gefallen war, besuchte ich ein Konzert im Schauspielhaus, das ja lange nur Konzertsaal war.
In 1990 war ich sehr gerührt. Die Atmosphäre dieses Platzes hatte mich voll erfaßt. Und dann kamen plötzlich russische Studenten und machten dort Musik. Für mich damals alles ein unvergeßliches Erlebnis. lifong 2007