Der Dienstweg
Der Dienstweg
Jeden Morgen komme ich beim Bahnhof an einem Weg vor-
bei, der heißt Dienstweg, so besagt es das Schild, das an sei-
nem Anfang steht. Nun kenne ich einen Waldweg, einen
Uferweg, da weiß man doch, wo 's dank ihm hingeht. Apropos
hingehtAbkürzungsweg, so heißt er, laut Schild und weiter steht dar-
auf: Betreten auf eigene Gefahr. Erstaunlich, nicht wahr, so
nah bei Gott und immer noch auf eigene Gefahr? Aber was ist
nun ein Dienstweg? Ein Weg, der zum Dienst führt? Ein Weg,
den nur der Dienst betreten darf? Neulich wartete ich auf den
Bus. Irgendwann kam einer, und vorne, da oben über der
Windschutzscheibe, war in großen Lettern auf rotem Grund zu
lesen: Dienstfahrt. Der Bus hat nicht gehalten an der
Haltestelle, an der ich wartete; er war eben im Dienst für den
Dienst auf dem Dienstweg. Nun, ich wollte den Dienstweg, der
auch durch einen Wald führt, benutzen, aber ein
Diensthabender untersagte mir das Betreten des Dienstweges,
obwohl mir mein Vorgesetzter stets empfiehlt, den Dienstweg
einzuhalten. Der Diensthabende also klärte mich auf, dies sei
ein bahneigener Weg, der, obwohl er durch ein bahneigenes
Waldstück führe, kein Waldweg sei, den nur Bahnbedienstete
und nicht einmal dienstfahrende Omnibusse benutzen dürften,
grundsätzlich vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen sei.
Ich versprach dem Diensthabenden, öffentlich nicht zu verkeh-
ren, was mir nicht half; ich durfte den Weg nicht betreten. Da
kam ein Hund daher, der setzte sich mitten auf den Dienstweg
und entledigte sich seiner Notdurft. Ich frug den
Diensthabenden, ob dies ein Diensthund sei. Der konnte dar-
über gar nicht lachen, setzte ein Dienstgesicht auf und erstat-
tete dem Hund einen dienstlichen Verweis, worum jener sich
nicht im geringsten kümmerte, sondern genüßlich in sich ge-
kehrt bedenkenlos weiter entleerte. Nach geraumer Dienstzeit
wandte der Hund sich um, schaute nach, befand es reichtund
ging seines Weges über den Dienstweg. Nun lag er da,
der dampfende - ja, war er nun ein Diensthaufen, oder ein wi-
derrechtlich auf dem Dienstweg hinterlassener Haufen eines
öffentlich verkehrenden Hundes? Der Diensthabende bewaffnete
sich mit einer Dienstschaufel, schaufelte dienstbeflissen
des Hundes Hinterlassenschaft einfach jenseits des
Dienstweges in den öffentlichen Verkehr hinein. Da erhob ich
Einspruch, ob das denn gestattet sei, so einfach von der
Abgeschlossenheit des Dienstweges in die verkehrende
Öffentlichkeit hinein? Das ging mich einen Scheißdreck an,
beleidigte er, und ich mahnte ihn, wenn er das dienstlich
meinte, würde ich eine Dienstbeschwerde erheben, wenn er es
aber ernst meinte, würde ich es vergessen. Er drohte mir mit
der diensthabenden Bahnpolizei. Ich habe mich dann eines
Umwegs bedient, als einzigen Ausweg; dort habe ich den Hund
wieder getroffen, und ich habe ihm beim Metzger eine
Fleischwurst gekauft, die ist ihm sehr dienlich gewesen. Und,
ich gebe es ja zu, aber sagen Sie es bitte nicht weiter, ich habe
ihm geraten, wo er sich ihrer, wenn sie verdaut ist, entledigen
soll. Nun, das ist schon einige Zeit dahin, der Bahnhof ist ab-
gerissen worden; an seiner Stelle steht heute eine Kirche, und
der Weg heißt nicht mehr Dienstweg, auch nicht Kirchweg,
oder Gottesweg, sondern Weg der Erleichterung, und je-
desmal, wenn ich diesen Weg gehe, muß ich an den dienst-
fremden, also öffentlich verkehrenden Hund denken, und ich
denke auch darüber nach, weil doch an diesem Weg ebenfalls
ein Schild mit der Aufschrift steht -Betreten auf eigene
Gefahr- es geschehen könnte, daß Gott einmal dieses
eine seiner Häuser auf Erden betreten möchte, er diesen
Weg benutzte, und der Hund hätte .. , und Gott rutschte aus,
mein Gott, wer würde, könnte, dürfte ihm aufhelfen, das gäbe
einen Prozeß um Zuständigkeiten!
Kommentare (4)
Rosi65
Lieber pheedor,
mit Witz und schöner Wortspielerei ist Dir hier ein amüsantes Kunstwerk gelungen.
Danke für Deine Geschichte.
Beste Grüße
Rosi65
Lieber Pheedor,
inkognito auf dem Dienstweg hierher gelaufen, habe ich Deinen Beitrag gefunden und danke Dir nochmals für den köstlichen Lacher.
Ich bin überrascht, dass Du hier schon seit 2007 Mitglied bist.
Alles Gute für das Neue Jahr wünscht Dir
Andrea