Das Hildehäferl
Eigentlich wollte ich mein ganzes Leben Teetrinkerin werden. Da waren immer diese Filme, insbesonders englische, in denen die noble Gesellschaft offensichtlich nichts anderes zu tun hatte, als Tee zu trinken. Egal was sonst alles auf der Welt gerade passiert, da ist immer die Frage, „darf ich dir eine Tasse Tee anbieten?“ und wenn nicht ohnehin das Teegeschirr griffbereit am Tisch stand, hieß es „ich habe gerade frisches Wasser aufgesetzt .“ Dann saßen die Menschen auf antiken Möbel und hielten mit zwei Fingern eine ganz zierliche Tasse und nippten den Tee.
Unzählige Sorten, unzählige Macharten und unzählige Gelegenheiten gab es zum Teetrinken.
Grüner Tee, Schwarzer Tee, Weißer Tee, Kräuter- Früchtetee, mit Milch, mit Zitrone, mit Zucker, mit Honig, mit Rum oder Cognac und dann noch die ganzen Utensilien, vom ganz gewöhnlichen Teepackerl, Teeei, Teesieb, Teegeschirr bis hin zum Samowar.
Immer wieder habe ich es probiert, da gab es doch einmal ein Teeservice aus feuerfestem Glas, die Tassen in Kupfergefäßen mit Henkel, der natürlich brennheiß wurde wenn man den Tee einschenkte, dazu eine Kupferkanne, war eigentlich nicht wirklich praktisch und ist dann auch – zumindest eine Zeit lang in irgendeiner Vitrine verstaubt. Eine Teekanne aus Ton, später eine aus Keramik mit rustikalen Verzierungen, dann eine schwarze Keramikkanne auf einem ebenso schwarzen Stöfchen.
Ich habe mich durch ziemlich viele Sorten durchgekostet, verschiedene Macharten probiert, aber ich wurde keine Teetrinkerin. Selbst der Jagatee auf den Schihütten war nur eine vorübergehende Erscheinung. Irgendwann hat jede angefangene Teepackung das Schicksal des abgelaufenen Haltbarkeitsdatum ereilt und musste dann doch entsorgt werden. Knapp davor versuchte ich es aufs Neue, und wenn es auch nur das schlechte Gewissen war Nahrungsmittel doch nicht wegzuwerfen. Es half alles nichts. Noch bevor ich in der Früh die Augen ganz offen hatte, schrie alles in mir nach Kaffee und auch der Nachmittagskaffee stand mir näher als der Fünfuhrtee, außer eine ganz kurze Zeit in der frühen Jugend, als das allerdings kein Getränk war sondern noch eine Nachmittags-Tanzveranstaltung bei der man natürlich keinen Tee trank, sondern Cola. Wieder nichts.
So mit den Jahren ist dann auch das Teegeschirr den Weg alles Irdischen gegangen und die paar Einzelstücke, die dann auch noch die diversen Übersiedlungen überlebt haben, haben sich einen Ehrenplatz auf irgend einem Regal redlich verdient.
Dann kam das Hildehäferl. Ein jeansblaues bauchiges Keramikhäferl, auf dem groß der Name Hilde steht. Es stammt aus dem Nachlass meiner Schwiegermutter. Ich habe sie gemocht meine Schwiegermutter, obwohl….. aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls machte sich dieses Häferl nun in meinem Schrank ganz einfach breit. Von der Farbe und Fasson her gefällt es mir ja sehr gut, aber Hildegard? Dieser Name ist doch sehr „antik“. Obwohl ich niemand kenne, der Hildegard zu ihr gesagt hat, erinnerte mich dieser Name doch immer wieder an brave deutsche Mädchen. Nichts davon war meine Schwiegermutter, früh geschieden, das einzige Kind bei den Verwandten abgegeben, erfolglose Schauspielerin, die bei jeder Weihnachtsfeier pathetisch Gedichte rezitierte, und überzeugte und mehrmals geehrte Sozialistin. Auch diese Abzeichen und Ehrungen befinden sich nun in meinem Besitz.
Irgendwann, als ihre Firma pleite ging, wurde sie mit „golden handshake“ in die frühe Pension verabschiedet, besann sich auf ihre Mutter- bzw. in der Zwischenzeit Großmutterrolle und glaubte alles nachholen zu müssen.
Am Anfang meiner Bekanntschaft mit ihrem Sohn, wollte er sie mir sogar verheimlichen, ging aber nicht, und zu seinem Erstaunen fand ich sie zauberhaft und integrierte sie in unser Leben. Das hatte leider zur Folge, dass sie dann da auch blieb. Plötzlich brachte sie uns – völlig unvorbereitet – den Sohn aus erster Ehe meines Mannes ins Haus, einen 12-jährigen, den sein Vater kaum kannte. Alles, wie heißt es so schön, gut gemeint, aber gut gemeint ist eben das Gegenteil von gut. So sehr wir uns alle auch bemühten, unsere junge Ehe bekam Risse, meine Schwiegermutter Brustkrebs und der Bub kam auf die schiefe Bahn.
Wie auch immer, das Häferl kann sicher nichts dafür, aber immer wenn ich es in die Hand nehme, denke ich an meine – inzwischen längst verstorbene – Schwiegermutter, und ich denke im Guten an sie.
Dann bemühe ich mich auch wieder Tee zu trinken, zu nichts anderem darf ihr Häferl verwendet werden. Das geht ein paar Tage gut, aber sehr bald weiß ich doch, das bin ich nicht. Dann stelle ich das Hildehäferl in den Schrank und habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Genau weiß ich aber nicht warum.
(c)sarah66
Das habe ich gerne gelesen.
Liebe Grüsse, Agathe