Das geflickte Herz
Es war einmal ein König, der lebte mit seiner Frau Gemahlin
auf einer fernen Insel, die sich unter ganzjährigem Sonnenschein
aus einem türkisfarbenen Ozean erhob.
Der König fühlte sich oft einsam, weil seine Frau Gemahlin
sich immer öfter auf lange Reisen in ferne Länder begab.
Als der König sich wieder einmal sehr einsam fühlte,
beschloss er ein großes Fest zu feiern.
Dazu lud er viele seiner Untertanen sowie eine junge Frau ein,
die ihm schon seit einiger Zeit aufgefallen war.
Sie lebte schon seit vielen Jahren auf der Insel, die
zu ihrer zweiten Heimat geworden war.
Und so begab es sich, dass sie an diesem festlichen Abend
dem König begegnen sollte, der sich auf Anhieb in die
junge Frau verliebte. Nach dem Abendessen führte er sie durch
den weitläufigen Tropengarten, in dem unzählige Zikaden ihr nächtliches
Konzert angestimmt hatten und über dem Abermillionen
Sterne am pechschwarzen Himmel funkelten.
Auch die junge Frau war vom König und seiner Art,
wie er um ihre Gunst warb, angetan.
Später, als er sie um einen Tanz bat und seine Arme um sie legte,
war es auch um ihr Herz geschehen.
Nun verliebte auch sie sich in den König. Von nun an verbrachten
sie sehr viel Zeit miteinander und gingen gemeinsam auf Reisen.
Sie waren so glücklich, wie zwei liebende Menschen
es nur sein konnten. Und weil sie sich so sehr liebten,
schenkte die junge Frau dem König ihr Herz.
Die Jahre vergingen und sie liebten einander so sehr,
dass sie nie mehr ohne den anderen sein wollten.
Doch dann kam der Tag, an dem die Königin
von der Liebschaft ihres Gemahls erfuhr. In ihrem Zorn unternahm
sie alles, um die beiden Liebenden zu trennen.
Als sie sich wieder einmal auf einer ihrer langen Reisen
befand, drohte sie dem König aus der Ferne, erst dann wieder
zurückzukehren, wenn die junge Frau die Insel verlassen hatte.
Der König litt sehr unter der Vorstellung, seine junge Geliebte
zu verlieren. Doch er wusste, dass er sich nun entweder für sie
oder die Königin und sein Königreich würde entscheiden müssen.
Weil ihm aber auch sein Königreich und seine Untertanen, die
ihn sehr verehrten, am Herzen lag, konnte er sich nicht überwinden,
eine Entscheidung zu treffen.
Er war sehr verzweifelt und das Herz war ihm schwer.
Und so kam es, dass die junge Frau schweren Herzens
eine Entscheidung für ihn traf.
Sie fasste den Entschluss, den König und die Insel, die in all den
Jahren zu ihrer zweiten Heimat geworden war, zu verlassen und
in ihre alte Heimat zurückzukehren.
Sie konnte in dem Augenblick nicht ahnen, dass ihr Herz von
nun an Stück für Stück aus ihrem Körper gerissen wurde.
Und je weiter sie sich von ihrem Geliebten und der Insel entfernte,
desto unerträglicher wurde der Schmerz.
Wie sollte sie ohne Herz weiterleben?
Eine große, tiefe Wunde begann sich auf zu tun.
Der Schmerz saß so tief, dass die junge Frau daran zu zerbrechen drohte.
Doch der König weigerte sich ihr das Herz zurückzugeben.
Er reiste ihr sogar nach und wollte sie zurückholen,
doch sie besaß keine Kraft mehr und sie fürchtete seine Gemahlin
würde ihnen das Leben wieder zur Hölle machen. Das wollte sie nicht
noch einmal erleben. Der König jedoch umklammerte ihr Herz so fest,
dass sie keine Luft mehr bekam und zu ersticken drohte.
Er wollte ohne ihr Herz nicht mehr leben.
Und so geschah es, dass er kaum in sein Königreich zurückgekehrt,
schließlich an seinem eigenen gebrochenen Herzen starb.
Als die junge Frau von seinem Tod erfuhr, drohte auch sie zu sterben,
weil er ihr Herz mit in den Tod genommen hatte.
Dort, wo einst ihr Herz war, hatte er eine große, schmerzende Wunde
hinterlassen, die nicht mehr heilen wollte.
Nun drohte auch sie an gebrochenem Herzen zu sterben, wären ihr nicht
gute Freunde im letzten Moment zu Hilfe geeilt.
Jeder von ihnen schenkte der jungen Frau ein kleines Stück
ihrer eigenen Herzen, so dass aus diesen kleinen Herzstücken
ein neues Herz zusammengeflickt werden konnte.
Und während sich ihr Herz, das sie an den König verloren hatte,
mit seiner Seele auf einer unendlichen Reise durch die
Ewigkeit befand, begann das geflickte Herz wieder ganz
zaghaft zu schlagen.
Die Jahre vergingen. Die vielen kleinen Flicken waren längst
zusammengewachsen und die Wunde verheilt. Nur eine große
Narbe ist zurück geblieben, die sie für den Rest ihres Lebens
an ihre große Liebe erinnern würde.
Für die einstige Geliebte des Königs jedoch,
hatte ein neues Leben begonnen.
Und wenn das geflickte Herz nicht aufgehört hat zu schlagen,
so schlägt es auch noch heute.
~*~
© Winterrose Laura 1993
Schicksal ist, wenn sich zwei Menschen finden,
die sich nie gesucht haben.
(unbekannt)
Kommentare (9)
@Widderfrau
Danke, liebe Beate, für deine netten Worte. Freu' mich sehr, dass dir mein Märchen so gut gefällt.
Ich denke fast jeder Mensch kennt den Schmerz einer Trennung oder des Loslassens.
Es gehört zum Leben dazu und wie ich unten schon schrieb. Das Leben schreibt oft die spannendsten, aber auch herzzerreißendsten Geschichten.
Nochmal danke und ganz liebe Grüße von
Laura, die dir außerdem noch einen gemütlichen Abend wünscht
@Winterrose
Liebe Laura,
wünsche Dir auch einen schönen, entspannten und sorgenfreien Restsonntag.
Wie ich heraushöre, ist dass Deine eigene entworfene Geschichte, wunderbar!
Schreiben, so sagt man, kann einem über Vieles hinweghelfen. Deine Begabung ist großartig, Du erfreust damit viele Menschen.
Herzlichst Beate
Liebe Laura,
durch diese wundervolle Geschichte, erinnerte ich mich an meine eigene, denn auch ich habe ein Herz gefunden, was ich nie gesucht habe und unsere Herzen schlagen für einander über den Tod hinaus
das spürt
ladybird
mit Dank und Freude gelesen
@ladybird
Ach, liebe Renate, wer könnte nicht solche Märchen schreiben ?
Es wäre nur schön, einige davon auch mal zu lesen !
Na, wie wäre es ?
Liebe lässt sich nicht auf Knopfdruck abstellen. Menschen die das können, haben nie wirklich geliebt.
Es freut mich, dass dir mein "Märchen" gefallen hat - danke !
Liebe Grüße zu dir schickt
Laura, die dir außerdem ebenfalls ein gemütliches Herbst-Wochenende wünscht.
die sich nie gesucht haben.
(unbekannt)
Den Autor kenne ich auch nicht, aber es stimmt. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen
Songeur
@Songeur
Hallo, lieber Songeur, sicher könnte jeder Mensch ein Märchen schreiben, denn das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten.
Allerdings frage ich mich manchmal ob es nicht auch so etwas wie Vorbestimmung gibt.
Auch dir wünsche ich ein schönes Wanderwochenende ? mit lieben Grüßen von Laura, der deine Nebel-Fotos ausgesprochen gut gefallen.
Liebe Laura,
und ich denke, es schläge heute noch, das Herz 💔😉, denn ich glaube, dass die Basis dieses netten kleinen Märchens gewisse Züge verrät, die autark mit der Autorin einher gehen . . .
Noch eine kleine Anmerkung: Der Nachsatz von dem Unbekannten beinhaltet auch meine Überzeugung. Ich weiß es aus Erfahrung. . .
Einen schönen Tag und mit Dank schicke ich dir liebe Grße
indeed
@indeed
Danke, liebe Ingrid, es schlägt tatsächlich noch, wenn auch manchmal ein wenig holprig.
Ich liebe Märchen und Fabeln, ganz besonders mag ich die Weisheiten, die oft insbesondere in den Fabeln versteckt sind.
Hab' ein schönes, gemütliches Herbst-Wochenende und sei herzlich gegrüßt von Laura, die sich immer sehr freut, von dir zu hören.
Ein so wundervolles Märchen. Aber so ein Märchen hat sich schon bei dem EINEN oder ANDEREN tatsächlich bewahrheitet.
Herzschmerz ist ein so schlimmer Schmerz, und ja, ein Herz kann zerbrechen !
Liebste Grüße
Beate