Besuch bei einer Todkranken


    Zurück von einem Besuch bei XY, 87, seit etwa drei Wochen in einem Hospice. Ja, sie wird wohl bald sterben. Sie weiß es, das Pflegepersonal weiß es, ich weiß es. Ich weiß es von anderen, aber ich spüre es in ihrer Nähe auch an ihr selbst. Die Frage ist, wie bald wird sie sterben?
   Als ich die Abteilung betrete, erst einmal aus einem Zimmer heraus atemberaubender Gestank, der mich sofort zur Umkehr drängt. Aber dafür habe ich ja die Busreise nicht unternommen. Vorbei am Schwesternzimmer, wo 4 Damen im blauen Kittel sitzen, Kaffee trinken und plaudern. Gut, frau kann nicht ständig auf den Beinen sein. Ich lese und höre und sehe ständig, wie viele Schwestern und Pflegerinnen sich krank schreiben lassen, weil die Anforderungen des Berufes gesundheitsschädigend hoch sind. Pausen müssen also sein, überall.
   Dann komme ich zu Zimmer 15. Dort sitzt XY auf der Toilette. Sie käme diesmal zwar aus eigener Kraft herunter, was nicht immer gelingt, aber sie kann sich die Pampershose nicht selbst anlegen. Vor
einer halben Stunde hat sie die Klingel gedrückt, doch es kommt niemand. Als ich mich einschalte, wird sie erlöst.
    Zwei Medikamente, wohl neben anderen, bekommt XY: Morphin, was die Schmerzen lindert, aber einen zugleich „deppert“ macht, und Kortison gegen, wer weiß, was. Außerdem ist XY fast nicht zu verstehen, es sitzt etwas im Halse, so dass Telefonate nicht möglich sind und jede Unterhaltung mühsam, für beide Seiten. Anscheinend ist sie aber die einzige Patientin, die ihr Bett noch verlassen kann – das allerdings nie gemacht wird. Zum Frühstück sollte sie in den Speisesaal, wurde aber vergessen, weil sie die einzige war.
   „Wenn es doch eine Tablette gäbe …!“ Was kann man darauf antworten? Was kann man überhaupt sagen? Worüber soll man reden? Draußen schlägt der angekündigte Herbststurm mit Regen an die Fenster.
 


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Kommentare (16)

silesio

   XY ist unterdessen ruhig, wohl als Folge von reichlich Morphin, für immer eingeschlafen.
          Silesio

silesio

   Liebe Sonnenblume und Ronnja, es stimmt, es kann innerhalb einer Abteilung helfen, gegen bestimmte Zustände zu protestieren. Objektiv gemessen ist aber der sog. Pflegenotstand hier gewaltig. Die Angestellten haben leicht die Möglichkeit, anderswo eine Stelle zu finden.
   Vielleicht gibt es auch noch einen grundsätzlichen Unterschied zwischen unseren Ländern. In Deutschland sind es wohl immer noch mehr Angehörige, die sich um Kranke und Pflegebedürftige kümmern, und da überwiegend die (Haus)frauen.
    Was aber jeder und jede tun kann: Häufiger einen Besuch, so dass deutlich wird, ihr seid nicht vergessen.
   Silesio

ehemaliges Mitglied

Ich habe diesen kommentar gelesen und es macht traurig wenn ich das lese ,Ich arbeite 40 Jahre in der Pflege unentgeltlich  nur privat .Versorge meine schwerstbehinderte Tochter zu Hause dazu einen geistig behinderten jungen Mann  dazu habe ich meine Oma mit Demenz betreut bis sie mit 93 in meinen Armen friedlich einschlief ,Dann später mein Vater der durch Schlaganfall und Lungenkrebs ebenfalls von mir versorgt wurde ...nun meine Mutter mittlerweile 85  jetzt werde ich mein Onkel aufnehmen und pflegen da er mit 87 und durch Krankheit nicht mehr in seiner Wohnung leben kann ,All das tue ich einfach weil es Menschen sind die Hilfe benötigen und sie ein recht auf ein würdevolles Leben bis zum Ende haben sollen ,Wenn ich den Beruf in einem Hospice ausüben würde istt mir nicht der Kaffee zu einer bestimmten Zeit wichtig sondern der Mensch der Hilfe benötigt ,Gerade in einem Hospiz sollte doch der Mensch liebevolle Begleitung erfahren .Es gibt allerdings auch Hospize wo es wirklich würdevoll und liebevoll zu geht ,Und wenn ich ehrlich bin würde ich wenn ich solch Zustände vorfinde wie im Bericht von Silesio geschildert !! ich sofort Schritte unternehmen um auf diese Mißstände aufmerksam zu machen und nicht eher Ruhen bis dort anderes Personal tätig ist das wirklich seine Pflichten und Aufgaben warnimmt ohne auf die Uhr zu schauen ,

ehemaliges Mitglied

Nun das im Hospiz solche Zustände herschen ist für mich kaum vorstellbar...
ich kenne es so,dass mit Liebe und Verständnis dort gearbeitet wird...viele ehrenamtliche Helfer kümmern sich ebenfalls um die Gäste...ja Gäste,man nennt sie nicht Patienten..es wird
dort Großartiges geleistet..
auch die Angehörigen werden betreut...jeder Gast soll möglichst beschwerdefrei und selbstbestimmt bis zum Tode leben können,Ängste und Schmerz nehmen, ist die Hauptaufgabe und sie wird gefühlvoll und gewissenhaft erfüllt...

Herzlichst
Ronnja



 

silesio

   Gutes tun - das ist nur selten eine Frage um Taten, die später im Geschichtsbuch stehen. Nein, oft geht es um das, was selbstverständlich sein sollte, es aber leider nicht ist: Einen Besuch machen bei jemandem, der alt und eventuell etwas ungepflegt und etwa dement ist. Zuhören, die Hand halten, zuhören, beim Essen helfen, zuhören, Zeit haben.
   Da braucht es keine Ausbildung, kein Diplom, keine Bezahlung, sondern eigentlich nur eines: Sich ein wenig überwinden und auf den Weg machen.

anjeli

Silesio,
das ist mir klar, dass du in Schweden lebst... mir war auch bewußt, dass der Besuch in Schweden war... das habe ich an dem Wort Hospice festgemacht...

Ich glaube nicht, dass Gott in irgendwelcher Art und Weise in das Weltgeschehen eingreift in der Gegenwart... dafür ist der Teufel zuständig... bis Harmageddon...


Ja, es ist sehr schön, dass Menschen anderen Menschen Zeit schenken, ihnen zuhören und Hilfe anbieten...
und es ist schön zu sehen, wenn den Kranken und gebrechlichen Senioren ein Lächeln übers Gesicht huscht...

anjeli



 

silesio

   Wir Menschen sind ja nicht allmächtig. Deshalb kann Gott sicher manchmal auch dort noch eingreifen, wo wir mit unseren Künsten am Ende sind.
   Aber Gott hat bestimmt nichts gegen Medizin und Mediziner. Wir dürfen und sollen unsere Erkenntnisse und Erfindungen durchaus einsetzen. Ein Gebet ist kein Ersatz für eine Operation.
   Silesio

ehemaliges Mitglied

In  diesen  schrecklichen  Situationen  mit  all den  wiedrigen Umständen  , würde  ich  nur  den  lieben  Gott  bitten  , mir  seine  Gnade zu  schenken . 

Wie er sie seinem  Sohn am  Kreuz schenkte 
Gelobt  seih  Jesus  Chistus  

silesio

   Ach Anjeli, du hast ja so recht - in deinen meisten Anmerkungen.
   Zunächst möchte ich aber darauf hinweisen, dass ich seit 20 Jahren in Schweden wohne, wo die Probleme ähnlich gelagert sind, aber doch andere Akzente gesetzt werden.
   Zu dem Verhalten des Pfarrers. Ich kann mich gut in ihn hineinversetzen. Aber dieser Beruf ist unterdessen auch mit so vielen bürokratischen Anforderderungen verbunden, dass man sich oft zerreissen müsste.
   Deshalb sind "Laien" wie du so wichtig. Mach bitte weiter so!
   Und nebenbei: Gibt es bei den Besuchen nicht auch immer wieder Momente von Erfüllung und Dankbarkeit?
 

anjeli

Silesio,
wer soll das bezahlen?

Wir haben doch eine Pflegeversicherung... mit Überschüssen... der größte Teil der Hilfsbedürftigen wird zu Hause gepflegt...
es krankt an unserem System... müssen Seniorenheime Gewinne erwirtschaften? Warum sind sie nicht gemeinnützig? Müssen sich Aktionäre die Taschen voll machen... muss die Kirche... ihre Instituonen z. B. Caritas auch noch verdienen?

Unser Gesundheitssystem muss auf dem Prüfstand und unsere Religionsgemeinschaften auch... 
ein Pastor hatte keine Zeit einnes seiner Schäfchen... alt und krank... zu besuchen... obwohl es cariativ tätig war und im Kirchenchor gesungen hat... als Lieschen beerdigt wurde mit 89 Jahren... habe ich ihm erzählt wie sehr Lieschen auf ihn gewartet hat... er war betroffen und schuldbewusst... er hat sie sehr würdig veraschiedet... sie hatte schon vorher ihren Platz im Kolumbarium der ehemaligen Kirche ausgesucht... dort hinter der Bank wo sie immer gesessen hat... (übrigens... ich habe sie mit gepflegt und ihr aus der Bibel erzählt)

Ein Einzelfal - Oder doch nicht?



 

silesio

   Viele Menschen werden im Alter wieder wie Kinder, wie Säuglinge, brauchen also Hilfe gerade fuer die "primitiven" Lebensbeduerfnisse Essen, Trinken, Sauberkeit und Abfuehrung.
   Wenn keine Angehörigen mehr vorhanden sind, wenn sie weit entfernt (in anderen Ländern) wohnen oder sich aus anderen Gruenden nicht kuemmern können und wollen, muessen andere eintreten, Staat, Kommunen, Kirchen usw.
   Da lässt sich leicht schimpfen, dass nicht alles noch viel besser ist.
   Doch wer will. soll und kann das bezahlen !!!
            Silesio

Vivit

Ja, lieber Silesio, es ist eine gute Frage.

Seit einem halben Jahr stelle ich sie mir auch, nämlich, seit dem ich als Pensionärin Zeit habe, darüber nachzudenken, wie ich das "letzte Drittel" verbringen will.

Obwohl, wenn ich bis hierher nichts getan habe, dass meine Kinder von selbst  auch mal für mich Verantwortung übernehmen, dann wird es wohl nicht weit her sein mit der Anonymität.

Wenn....... -:) Und ich hoffe natürlich, dass es wird.

Danke für Deine Antwort.
Vivit

silesio

Liebe Vivit, dass wir in einer Ich-Gesellschaft leben und "die anderen" immer mehr aus dem Blick verlieren, bekümmert mich auch. Ich finde es pure Heuchelei, darüber zu klagen, dass es in der Krankenhaus- und Altenpflege so anonym zugeht, aber selbst keine Zeit oder Lust (oder auch Angst) zu haben, die Nähe eines Schwerkranken zu ertragen.
Vielleicht könnte sich jeder die Frage stellen: Wer wir mich besuchen und begleiten, wenn es so weit ist?
Silesio

Vivit

Ja es ist eine traurige Begebenheit.Und wer ein Herz hat, kann  nur nachempfinden.
Wohl dem Menschen, der in solchen Sitationen helfen kann, Worte finden muss  und der nicht verzweifelt.

Ich will trotz allem aber eine provokative Frage stellen.

Wer pflegt die Alten und Kranken in Eritrea ,Liberia, Sierra Leone usw. ?

Die Alten in den ärmsten Ländern der Welt ?

Warum wird in Deutschland immer nach der Verantwortung  des  Staates  gefragt, warum nicht nach der Verantwortung der Familie ?

Es gibt gewiss viele Ausnahmen, geb ich zu, aber ..... die Kinder wohnen ja immer so weit weg.
Und sie sind soooo beschäftigt in ihrem Job.

Ich weiß nicht, wann es begann, aber wir leben doch nur in einer "Ich-Gesellschaft". Das "wir"
kennen leider viele nicht mehr.

Soweit einige Gedanken von

Vivit



 

anjeli

Silesio, sehr traurig... was du schilderst... 

Ich war zwei Jahre ehrenamtlich im Hospiz in Recklinghausen tätig... Hospize in Deutschland haben einen anderen Personalschlüssel als Krankenhäuser und Seniorenheime... die Kosten sind auch dementsprechend hoch... die überwiegend von der Krankenkasse getragen werden...den Rest muss das Hospiz durch Spenden aufbringen...

Einen Speisesaal im üblichen Sinne gibt es nicht... wohl kleinere Nischen mit gemütlichen Sitzecken... jeder Sterbende kann frühstücken wann er möchte... es gibt keine festen Essenszeiten...  und auch keine festen Besuchszeiten...
Im Hospiz herrscht keine Hetze... aber totale Ruhe gibt es auch nicht, denn die Sterbenden leben noch und möchten noch einiges erleben...

Die Pflege und Versorgung ist sehr gut... ehrenamtliche kümmern sich um die Patienten, wobei immer der Sterbende im Mittelpunkt steht... es wird alles getan und auch letzte Wünsche werden noch erfüllt.. z. B. Ballonfahrt...
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Wie Indeed schon erwähnte ist die Pflegesituation in Seniorenheimen nicht optimal... jeder weiß es und alle schweigen... die Politik, die Krankenkassen,  die Ärzte...die Heime, die Pfleger, die Senioren alle wissen es... und keiner ändert etwas... die Pfleger und Senioren aus Angst...  und die anderen aus Geldgier und auch aus Bequemlichkeit... oder sonstige Beweggründe...

anjeli



 

indeed

Es scheinen dort verheerende Zustände zu sein. Dazu fehlen mir auch die Worte, denn was du hier schilderst geht gar nicht.
Im allgemeinen habe ich bisher von Hospizen hier noch nie so etwas gehört, eher Pflegeheime haben nicht immer einen guten Ruf.
Ja, was tun? Wenn ein Patient keine Angehörigen hat, die sich kümmern, ist er ziemlich verloren. Das ist Realität. Manchmal frage ich mich, wohin sind wir gekommen. Zählt der Mensch denn gar nichts mehr?
Die Äußerung der Dame kann ich gut verstehen. Du hast recht, man kann gar nichts dazu sagen. Manchmal ist es mehr zu schweigen und einfach nur die Hand zu halten.
Meine Freundin sagte einmal (sie ist inzwischen verstorben), jedes Tier kann eingeschläfert werden, wenn ihm nicht mehr geholfen werden kann und der Mensch kann elendig krepieren.
Ein trauriges Statement.
Es sind gravierende Fehlentscheidungen in der Gesundheitspolitik gemacht worden und die gilt es zu revidieren. Nur, dieser Dame wird es wohl nichts mehr helfen.
indeed
 


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