Ballett der Lichter
Über die Steinplatten der Treppe gehen wir hinunter zum Parkplatz. Der See liegt tiefblau in der Morgensonne. Ronco, Ascona und die Berge hinter denen sich das Centovalli verbirgt im grellen Licht. Das Verdeck des Alfas lassen wir geschlossen. Die kleine Zollstation in Dirinella ist nicht besetzt und schon sind wir in Italien.
Die Ostseite des Lago Maggiore liegt noch im Schatten der Berge dunkel, düster, die Orte auf der gegenüberliegenden Seeseite liegen im gleißenden Licht der Morgensonne. Es wirkt, als ob die Welt zweigeteilt wäre. Du siehst hinüber nach Cannobio und ich höre dich sagen wie sehr du meine Liebe zu diesem See verstehst.
Auf der Piazza Garibaldi befindet sich der Bereich der Alimenti. Tomaten und Artischocken. In Gedanken stelle ich das Abendessen zusammen. Dann fällt mir ein, dass ich für den Abend bei Madeleine einen Tisch bestellt hatte. Ich plane um, kaufe Tomaten, Pecorino und Ciabatta für den Mittag.
Wir gehen über den Platz zur Via Veneto. Handtaschen, Schuhe, Kleider, du bist fasziniert und ich muss aufpassen dich in der Menschenmasse nicht zu verlieren. Vor 15 Jahren war ich zum ersten Mal in Luino und ich stelle fest, jedes Jahr wird der Menschenstrom hierher grösser.
Das Geschiebe nervt dich. Wir gehen über den Platz zurück und suchen einen Tisch im Centrale. Wir haben Glück, ein kleiner Tisch mit Blick auf den Park ist frei geworden. Cappuccino, Espresso Doppio und zwei Cornetti. Du blickst über den Markt schüttelst den Kopf: Lass uns zurückfahren.
Nach der Rückkehr aus Luino bist du auf der Terrasse eingeschlafen, während ich in der Küche die Tomaten vorbereitet hatte. Ein Glas Weißwein, Tomaten, Käse und Brot. Eine kleine Mahlzeit, danach legen wir uns auf das Bett.
Gedämpftes Licht, entfernter Lärm von der Strasse. Vom See tönt das Signal der Nachmittagsfähre.
Die Türen zur Terrasse stehen offen die Vorhänge bewegen sich träge im Wind, schwacher Duft der Rhododendren weht herein.
Ich liege wach höre deinen Atem, ruhig und gleichmäßig, du schläfst.
Es ist warm im Zimmer du hast das Laken zur Seite geschoben. Ich richte mich auf, im Dämmerlicht kann ich deinen schmalen Körper sehen. Das lange blonde Haar liegt wie ein Schleier auf deinem Gesicht. Die Narben auf deiner Brust sind noch frisch. Ich verdränge die Schatten aus meinem Kopf.
Die Erinnerung an soeben kommt in mein Bewusstsein. Dein Körper im Gegenlicht, der Atem hart und rauh, deine Augen geschlossen, Lust.
Du bewegst dich, Ich spüre deinen Blick, schaue nach unten, sehe, dass du wach bist. Du lächelst, als hättest du meine Gedanken gelesen.
Ristorante del Sol
Mein Blick geht hinüber nach Ascona. Dämmerung, der See liegt dunkel und glatt. Die Lichter der Orte am Seeufer spiegeln sich auf seiner Oberfläche.
Das Abendschiff von Luino nach Locarno zieht eine silbrige Spur durch das Wasser
Die Hitze des Tages liegt noch in der Luft, der schwache Wind ist willkommen.
Gläser und Geschirr, die Stimmen der Gäste auf der Terrasse entfernt an meinem Ohr.
Eine Stimme, träge kehre ich aus meinen Gedanken zurück. Du lächelst, dein Blick geht zur Seite. Madeleine, die Gastgeberin beschreibt das Abendessen. Wir bestellen, ich deute auf den Merlot, ordere einen neuen Krug.
Vom Campanile der Chiesa di Santa Maria hört man die Glocke. Du beugst dich nach vorne, deine Hand legt sich auf meine, trocken und warm. In deinen Augen spiegeln sich die Lichter der Pergola. Es ist schöner als du mir erzählt hast, deine Stimme sanft, ein Lächeln.
Das Geschirr ist abgeräumt, Teresa, die Tochter von Madeleine bringt den Espresso. Schweigend blicken wir hinunter zum See. Es ist kühler geworden, du nimmst mein Jacket, schlüpfst hinein und ich muss lachen. Du blickst auf deine Schultern, etwas zu groß, ja ich stimme dir zu.
Boeuf(siris)
Kommentare (8)
Bereits Claudine hat deine Erzählweise trefflich gewürdigt und in feiner Weise geadelt. Gerne schließe ich mich da an, weil mir dieser durchaus etwas ungewöhnliche Schreibstil in seiner Dichtheit und engen Folge von Sichten, Empfindungen und klaren Beobachtungen gefällt – so ganz anders, als es mir „aus der Feder“ fließt. Doch gerade dies ist das reizvolle, das deine Geschichten so faszinierend machen.
Gerne gelesen, gerne „entführt“ worden ist – so merkt es mit Grüßen an –
Syrdal
Lieber Boeuf,
welch eine bezaubernd-romantische Geschichte vom Lago Maggiore, auch wenn diese einen Wermutstropfen enthält ...
Dazu der wunderbare Blick aus der Casa Pergola auf den Tanz der Lichter.
Das alles versetzt mich ins Träumen und weckt ähnliche Urlaubserinnerungen.
Mit ganz herzlichem Dank von
Andrea muscari
@Muscari
Liebe Andrea
Meine Geschichte hat dich zum Träumen gebracht. Ein schöneres Kompliment hättest du mir nicht zurückgeben können. Danke
Liebe Grüsse
Peter
Lieber Boeuf,
Du beherrscht die Königsdisziplin des Schreibens von Kurzgeschichten. Dein wundervoller Schreibstil voll Poesie hat mich tief beeindruckt. Ich fühlte
den Zauber deutlich, der den einzelnen Momenten des Tages innewohnte.
Das Ende mit dem Ballet der Lichter setzt dem Ganzen die Krone auf. Herrlich! MERCI!
Liebe Grüße
Claudine
@Claudine
Hallo Claudine
Ich freue mich sehr über deinen lobenden Beitrag. Dir hat die kurze Geschichte gefallen und dich beeindruckt, mehr Lob muss ein Autor nicht haben. Herzlichen Dank dafür und
liebe Grüsse
von Peter
Lieber @Boeuf
eine sehr einfühlsame aber auch sehr traurige Geschichte.
Das Leuchten, der Glühwürmchen in der Dunkelheit soll einen Hoffnung geben. Ich hoffe das Glück stellte sich ein.
LG
globetrotter
@Globetrotter
Liebe Gisela
Danke für deinen Kommentar. Das Ende der Geschichte habe ich bewusst offen gelassen. Das Bild der Leuchtkäfer in der Dunkelheit sollte dem Leser seine eigene Interpretation ermöglichen, so wie du es in deinem Kommentar angedeutet hast.
Liebe Grüsse
Peter
Lieber Peter,
Eine wunderbare Erzählung mit grossem Einfühlungsvermögen. Ich kenne die Gegend des Geschehens gut und konnte deine Geschichte beinahe nachempfinden, als wäre es meine Eigene. Danke dafür und
liebe Grüsse von
Jutta