1941: Krieg. Mit dem Jungvolk, dem ich gerade beitreten musste/durfte, marschierten wir die Bahnhofstraße herunter in Richtung Bahnhof, schwenken da rechts ab zum Kino. Für zehn Pfennige „Lehrmittelbeitrag“ durften wir uns im Kinosaal „ausbreiten“ und der Filmvorführung folgen.
Zuerst kam die Deutsche Wochenschau. Wir sahen, was gerade an der Front und in der Heimat geschehen war. Aber dann kam der Hauptfilm. Endlich einmal wieder ein Film, den wir Knirpse ansehen durften. Annelie, mit Luise Ullrich in der Hauptrolle.

Silvester 1870: ein Herr läuft aufgeregt im Wohnzimmer herum, schaut und vergleicht alle sichtbaren Uhren, auch die Uhr am Kirchturm, die man vom Balkon sehen kann. Die Mamsell schenkt den Punsch ein – es ist kurz vor Mitternacht, also unmittelbar vor dem Jahreswechsel. Aber der Herr Rat ist nervös und ungeduldig.

Eine kleine Frau durchquert das Zimmer, auch sie wird vom Herrn Rat befragt, warum es denn immer noch nicht soweit sei. Und dann kommt ein Herr in das Zimmer, durchquert es genauso wie die Mamsell und die Hebamme. Der Arzt möchte den Herrn Rat beruhigen, vergeblich.
Worum geht es? Der Herr Rat versteht nicht, warum das erwartete Kind sich nicht an seine Spielregeln hält. Es schlägt zwölf. Man prostet sich vom Balkon aus zu. Prosit Neujahr!

Eine Viertelstunde später trifft das Kind ein. Eine Viertel-stunde! Und diese Viertelstunde bleibt Standard im Zuspätkommen des jungen Mädchens – in der Schule, im Tanzunterricht, beim ersten Rendezvous mit Georg. Als sich auf einem Ball der Blinddarm meldet, war die Operation ohne Verspätung, also gerade noch rechtzeitig erfolgt.

So lernt Annelie den Mediziner kennen, den sie bald darauf heiratete. Georg blieb der getreue Freund, den Alle mochten. Im Übrigen kam Annelie von da ab nie mehr zu spät. Sie wurde Krankenschwester. Drei Buben gesellten sich nach und nach dazu.

Erster Weltkrieg: Annelie verabschiedet drei von ihren vier Männern an die Front. Der Älteste besucht das Elternhaus bei der Durchreise von Ost nach West. Ein kurzes Wiedersehen.
Der Ehemann liegt in einem Feldlazarett, jetzt selbst verwundet. Ein Telegramm erreicht die Heimat. Annelie fährt an die Front, hat Schwierigkeiten mit dem Zug rechtzeitig vorwärts zu kommen – Georg hilft ihr. Sie kommen gerade noch so im Lazarett an. Sie findet ihren Mann, kann ihn in die Arme nehmen, er stirbt.

Zweiter Weltkrieg, Neujahr 1941: Groß und Klein haben sich bei Annelie eingefunden. Die Söhne konnten kommen, nur der Älteste war an der Front, aber Schwiegertöchter und Enkel waren zum siebzigsten Geburtstag da.

Der Älteste befindet sich auf der Durchreise gerade in Berlin. Vom Zug aus schafft er es zu Hause anzurufen. Das Telefon läutet. Man holt Annelie heran, sie kann mit ihrem Großen sprechen, ganz knapp, denn die Schwiegertochter möchte auch noch mit ihm reden. Dann zieht sich Annelie zurück zum Mittagsschlaf.


Ich habe mir heute wieder einmal die DVD hervorgeholt. Ich konnte es nicht lassen, den Film anzusehen, obwohl ich doch Hausputz halten wollte, weil morgen Großer Besuch kommt.
Was fasziniert mich so an diesem Film? Wieso habe ich mir vor einiger Zeit diese Filmkopie auf DVD kommen lassen?

Als ich den Film in damaliger Zeit erlebte – ich war gerade zehn Jahre alt, es war Krieg, der Vater war eingezogen worden und Mutter führte das Regiment, ich lernte das Stellvertretersein. Und dann ging Mutter in dieser Zeit auch zum Roten Kreuz.

Wenn ich diesen Film heute sehe, fühle ich so ein wenig Paralleles: ich habe die Siebzig längst überschritten. Und nun kommen auch meine Enkelkinder zu mir. Und das Wiedersehen von Luise Ullrich … Lang, lang ist’s her.

ortwin

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Kommentare (3)

immergruen dass ich immer nach diesem Film Ausschau gehalten habe? Mein Vater wollte mir diesen Namen geben, weil auch ihn der gleichnamige Film damals wohl sehr beeindruckt hatte. Leider verbummelte man auf dem Standesamt die genaue Schreibweise und nun heiße ich mit hochamtlichen Namen Anneliese und mag die" Liese" überhaupt nicht. Meine Eltern haben das als Panne angesehen, mein Vater nannte mich immer Annelie und ich nenne mich Anne. So kanns gehen.
Grüße vom immergruen
tilli Lieber Ortwin du schreibst uns die Geschichten für uns. Die ältere Generation, versteht alles, erlebt es. Es war so und unsere Kindheit war leider nicht so wie die Jugend sie heute erleben darf.
Das ist gut, das unsere Kinder es besser haben.
Danke für deine vielen Geschichten die uns für immer in Gedächtnis bleiben.Ja,diese alten Filme haben unsere Eltern etwas Freude gebracht in den schweren Zeiten.

Viele Grüße Tilli
Traute ach die schönen alten Filme mit Marika Röck, zum Beispiel.
Bei uns in der DDR sahen wir die Russischen Märchenfilme. Mit Begeisterung, die 25 Pfennig in der Hand rannten wir den ganzen Weg, in Vorfreude.
Die schöne Wasselissa und das Zauberpferdchen......
Als Du Deinen herzigen Film sahst, lernte ich gerade aufs Töpfchen gehen.
Aber nun wo man bei you tube, ein paar Lieder wieder anhören kann, ist ein Teil der Romantik weg.Es klingt in unserer Zeit, fremd.
Ich werde meine Version im Kopf behalten, ist ein bisschen Illusion, aber besser als die Enttäuschung.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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