Alte Häuser
Vor ein paar Tagen, der Schnee war weggetaut und die Wege eingermaßen frei, erfasste mich ein unbändiges Verlangen, wochenlang war ich kaum aus dem Haus gekommen, Schnee und Eis hatten es verhindert, ein Verlangen, diesen 4 Wänden, dieser quälenden Einsamkeit auf der Stelle zu entrinnen.
Gedacht-getan, ich packte meinen Rollator und schon, Mann Gottes, das war ein Spaß, gings ab Richtung Schwabing. Im Luitpoldpark ließ ich so richtig die Reifen pfeifen, die Alten warfen ihre Stöcke weg und kullerten freiwillig in die Wiesen. Und die Überallköter krochen fiepend ins blätterlose Gebüsch.
Hach, wie ich mich fühlte. Hach was für ein Rollator, mindestens wie Winnetou's Hattatittla! Alle Einsamkeit war vergessen.
An der Ampel Belgrad/Parzivalstraße spielte ein Rentner Schülerlotse im gelben Outfit. "Na,
altes Haus" plärrte ich ihm zu "machen wir uns ein wenig nützlich? Brav, braav"! Wurrrr, schon war ich vorbei, Richtung Schwabinger Krankenhaus, vorbei. Weiter ging's im stürmischen Lauf, Ohh nein, das unsägliche Rolandseck taucht zur Rechten auf. Das war früher mal ein Oldie Anmachlokal mit Tischtelefon und sowas, für alte Häuser halt. Ich gab dem Rollator die Sporen und sauste fort von diesem Ort.
Endlich kam mein Ziel in Sicht, das "zum alten Haus". Ich hielt quietschend vor dem Eingang und stieg vom Rollator, vertäute ihn sorgfältig. Das "zum alte Haus" das ist eine Absturzkneipe der großartigsten Art. Seit den 70ern existierend, hatte sie alle Schicki-Micki- Attacken überstanden und sich bis heute behauptet. Hier brutzeln in der schlechtesten Luft unter anderem die härtesten 68er Veteranen und -innen die man noch finden kann. Hier waren alle, wirklich alle Zipperlein versammelt die's auf dem freien Lebensmarkt giebt! Alle erworben unter großen Opfern.
Ich trat ein und kämpfte mich ins innere, zur Theke hin. Das war nicht einfach, der Laden war mal wieder voll, hatten wohl alle auch so den Einsamkeitskoller, so wie ich.
Alle haben eben das gleiche Recht, sich in eine volle Kneipe zu stopfen. Während ich mich so durchwühle, taucht kurz zwischen 3-5 Leibern das Antlitz von Evchen auf. Das süße Evchen, lange nicht gesehen, jetzt war es - man konnte es nicht leugnen - auch ein altes Haus, (äh, Häusin, gibt's sowas)? Sowas zu denken ist unfein, entspricht aber den unleugbaren Tatsachen.
Ich war dereinst ganz wild auf das Evchen, aber sie hatte eine eigenartige Eigenart - sie sprach kaum ein Wort. Damals war das ein untragbarer Zustand, heute wäre er sehr angenehm. Dafür hatte Hilde ein dröhnendes Organ, ganz wie die Trompeten von Jericho, und sie schwieg nimmermehr, höchstens wenn sie beleidigt war. Heute brächte sie etwas Leben in die Bude. Doch am schönsten war Christinen, aber schnöde verließ sie mich. Und so ging das weiter hier im "zum alten Haus". Meine Stimmung schien sich trüben zu wollen, ich kam ins sinnieren - warum mit 70 so allein und solche Sachen.
Ach, es war egal, gestern war gestern und heute ist heut, alles nur eine Frage der Zeit. Es hatte auch seine guten Seiten, man kann ja unter Leute gehen, und, das ist das gute daran, wieder einsam sein, sobald man will.
"Es war dir halt nix gut genug, du standest dir oft selbst im Weg, und das Schicksal hatt auch ein Wörtchen mitzureden". hörte ich mich murmeln.
Aber ich hatte keine Lust auf trübes Geschwurbel und warf mich ins Getümmel. An diesen Abend schwelgte ich mit so manchem alten Haus in der Vergangenheit. Und auch in der Zukunft, na sowas.
"Hier, altes Haus", mein Thekennachbar, mit dem ich mich ein wenig unterhielt, streckte mir eine etwas unförmige "Zigarette" hin, "zieh mal kräftig". Ich tat's und begab mich hustend in eine andere Welt, in der mein famoser Rollator fliegen konnte und auch sprechen; "Ab nach Hause ins Bett" knarzte er und während wir auf eine wunderschöne, riesige Esche, die von elfengleichen Jungfrauen umflattert war, zuflogen, fügte er noch hinzu; "und zwar allein". Darauf lachte er laut und meckernd.
Tja, statt dem satten Lenker meines Rollators hielt ich die Hörner einer Ziege in Händen und sauste mit ihr durch die Lüfte. Ich sah nach unten - gerade waren wir über dem Luitpoldpark, nicht mehr weit nach Hause. Dann verschlierte sich das Bild und wurde schwarz.
Ja, ich war am Bildschirm eingenickt. Es war kurz nach 22 Uhr. Ich wollte doch eine kleine Geschichte schreiben, über alte Häuser.
LG
Arni
Kommentare (11)
Lieber Arni,
danke für die fulminante Lektüre!
Es war mir ein riesiges Mordsvergnügen, Dein ausgelassenes road movie mit dem Rollator durch die Absturzkneipen in alten Häusern (samt Exkurs zu alten Häusinnen) zu lesen. „Tournedos Rossini“ im Vergleich zur Magerkost, die uns sonst hier …
Und die tolle Illustration!
3*** Küche laut Michelin.
Herzliche Grüße
Sam 2
Lieber @Sam,
freut mich richtig, das Du Spaß hattest!
Steht's bemüht
bis demnächst
Arni
Kein Wunder bei den aktuellen TV-Programmen, die mal gerade noch zum Einschlafen taugen, dann aber wenigstens zum hintergründigen Initiator solch hübsch phantasierter Schnurren werden... Schön spintisiert und fein erzählt. – Zum Schmunzeln gereichte es jedenfall soeben bei
Syrdal
@Syrdal
Das freut mich, einen Menschen zum Schmunzeln zu bringen, ist ein schöner Erfolg!
Arni
Grüße an das alte Haus, witzig geschrieben, habe Schwabing wieder genau vor mir gesehen und bin mitgelaufen, nur mit den beschriebenen Typen würde ich heute wohl fremdeln.
Schade für Dich, dass es nur ein Traum war.
LG Elbstromerin
@Elbstromerin
Grüße von der Isar an die Elbe,
So ein "altes Haus" gab es wirklich - die Schwabinger 7 in der Feilitschstr.
war sowas. Die wurde aber abgerissen und unter dem Boden eine Bombe gefunden die an Ort und Stelle gesprengt wurde. Mein "Rollator" ist natürlich im richtigen Leben ein Fahrrad - vom echten Rolli bin ich noch weit entfernt, 3x auf Holz geklopft
LG
Arni
Mit einem Wort
"Köstlich".
Was man doch als altes Haus so alles erleben kann. Und wieviele solcher alten Häuser gibt es heutzutage? Entgegen früheren Zeiten werden es immer mehr, diese alten Häuser ....
Außerdem scheinen so unförmige Zigaretten eine tolle Wirkung zu haben.
meint die alte Häusin Andrea
@Muscari
Ja Hallo - Häusinnen gibt es also wirklich, wieder was gelernt. Aber im Ernst, es gibt wirklich sehr viel alte Häuser, sehr viel. Und viele von denen stochern in Flaschencontainern und Papierkörben herum. Schande über diese reiche Gesellschaft.
Was den unförmigen Glühstengel betrifft, den gibt's für mich nur im Traum. Im realen Leben hab ich's eher mit einem guten Rotwein!
Danke und eine schöne Zeit
Arni
An alle Herzchen-Spender ein herzliches Dankeschön
LG
Arni