Als es in Radeberg Kussfreiheit gab


Als es in Radeberg Kussfreiheit gab
1908 gründete sich der „Mai – Kussverein Novitas“
Dass die Kussfreiheit Bestandteil von Karnevalsveranstaltungen ist, dürfte weithin bekannt sein. Jedoch dass es 1908 zur Gründung eines Vereins kam, der sich mit dem Kuss im weitesten Sinne befasste, ist in den regionalen Chroniken nirgendwo erwähnt. Dies dürfte ziemlich mit der offiziell verordneten Prüderie zu tun haben, die erst vor etwa 50 Jahren aufgebrochen wurde.
In einem Radeberger Glashüttenrestaurant trafen sich im April 1908sechsundzwanzig junge Männer. Sie gründeten den „Mai – Kussverein Novitas“ dessen Ziel es im Allgemeinen war, die gesellschaftliche Stellung des Kusses philosophisch zu diskutieren und dessen spezielle Richtung dahin ging, im Wonnemonat Mai an jedem Sonntag einen Ball zu veranstalten, bei dem es gestattet war, die anwesenden Frauen zu küssen. Man warb für die Veranstaltung mit der Maßgabe, dass eine „Person weiblichen Geschlechts, die sich freiwillig der Kussfreiheit verpflichte, freien Zutritt zum Ball habe“. Eine extra eingesetzte Saalpolizei würde für Ordnung sorgen. „Kussmuffel“ beiderlei Geschlechts würden ins Veranstaltungsgefängnis gesteckt. Die Idee kam an. Ab Sonntag, dem 3. Mai 1908 war der Saal des Glashüttenrestaurants gut gefüllt. Und das ging bis zum 31. Mai so. Fünfmal Kussfreiheit in einer Tanzveranstaltung. Die jungen Tänzerinnen, sogar Fortbildungsschülerinnen ab 16 Jahre durften den Tanz besuchen, erklärten am Eingang ihr Einverständnis. Dafür erhielten sie eine Art farbigen Haarreif, sodass sie auch erkennbar waren. Es soll keine größeren Probleme gegeben haben. Nun wollte man wenigstens noch das Pfingstfest am 7. Juni mit seinen beiden Feiertagen nutzen. Doch da protestierte Radebergs Kirchenvorstand und auch im städtischen Verfassungsausschuss bekam man „kalte Füße“.
Der Verein erhielt die Aufforderung, sich bis zur juristischen Klärung des Vorgangs „Kussfreiheit“ jeder Aktivität zu enthalten. Bei Nichteinhaltung drohte ein Bußgeld von maximal 1000 Mark. Das zog. Es gab keine diesbezügliche Veranstaltung mehr, die extra angereisten Gäste gingen in andere Tanzlokalitäten. Da war man wieder unter sich im Verein. Man diskutierte zwar noch um die Vereinssatzung und den Kuss. Doch auch daran erlosch schnell das Interesse, mangels Übungsgelegenheiten. Bis 1909 war die Sache noch nicht entschieden und so segnete der Verein das Zeitliche. Geblieben ist die Maiepisode anno 1908.
Aus der Satzung des Vereins „Mai – Kußverein Novitas, Radeberg“:
1. Kuss auf die Hand – Ich verehre Sie!
2. Kuss auf die Wange – Ich bin für platonische Liebe und Verehrung!
3. Kuss auf den Nacken – Ich will Sie gern verführen!
4. Kuss auf die Lippen – Ich liebe Sie!
5. Kuss auf die Ohren – Ich bin an einem Flirt interessiert!


haweger

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