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THEMA:   Gedichte Kapitel 25

 123 Antwort(en).

admin begann die Diskussion am 05.04.02 (10:26) mit folgendem Beitrag:

Kapitel 24 kann unter nachstehender Adresse

/seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a264.html

gelesen werden.

(Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a264.html)


admin antwortete am 05.04.02 (10:35):

die Mailingliste wurde auf Kapitel 25 übertragen.


Heidi antwortete am 05.04.02 (12:05):

Hymne an die Liebe

Froh der süßen Augenwaide
Wallen wir auf grüner Flur;
Unser Priestertum ist Freude,
Unser Tempel die Natur; -
Heute soll kein Auge trübe,
Sorge nicht hienieden sein!
Jedes Wesen soll der Liebe,
Frei und froh, wie wir, sich freu'n!

Höhnt im Stolze, Schwestern, Brüder!
Höhnt der scheuen Knechte Tand!
Jubelt kün das Lied der Lieder,
Vestgeschlungen Hand in Hand!
Steigt hinauf ins weite Thal!
Überall der Liebe Flügel,
Hold und herrlich überall!

Liebe bringt zu jungen Rosen
Morgenthau von hoher Luft,
Lehrt die warmen Lüfte kosen
In der Maienblume Duft;
Um die Orione leitet
Sie die treuen Erden her,
Folgsam ihrem Winke, gleitet
Jeder Strom in's weite Meer;

An die wilden Berge reihet
Sie die sanften Thäler an,
Die entbrannte Sonn' erfreuet
Sie im stillen Ozean;
Siehe! mit der Erde gattet
Sich des Himmels heil'ge Lust,
Von den Wettern überschattet
Bebt entzükt der Mutter Brust.

Liebe wallt durch Ozeane,
Höhnt der dürren Wüste Sand,
Blutet an der Siegesfahne
Jauchzend für das Vaterland;
Liebe trümmert Felsen nieder,
Zaubert Paradiese hin -
Lächelnd kehrt die Unschuld wieder,
Göttlichere Lenze blüh'n.

Mächtig durch die Liebe, winden
Von der Fessel wir uns los,
Und die trunknen Geister schwinden
Zu den Sternen, frei und groß!
Unter Schwur und Kuß vergessen
Wir die träge Fluth der Zeit,
Und die Seele naht vermessen
Deiner Lust, Unendlichkeit!

Hölderlin, Friedrich
(1770-1843)


sieghard antwortete am 05.04.02 (15:35):


DAS ROSENBAND

Im Frühlingsschatten fand ich sie;
da band ich sie mit Rosenbändern:
sie fühlt' es nicht und schlummerte.

Ich sah sie an; mein Leben hing
mit diesem Blick an ihrem Leben;
ich fühlt' es wohl und wußt' es nicht.

Doch lispelt' ich ihr sprachlos zu
und rauschte mit den Rosenbändern:
da wachte sie vom Schlummer auf.

Sie sah mich an; ihr Leben hing
mit diesem Blick an meinem Leben,
und um uns ward's Elysium.

[Friedrich Gottlieb Klopstock 1724 - 1803]
.


Dela antwortete am 05.04.02 (17:05):

Mit einem gemalten Band


Kleine Blumen, kleine Blätter
Streuen mir mit leichter Hand
Gute junge Frühlingsgötter
Tändelnd auf ein luftig Band.

Zephir, nimms auf deine Flügel,
Schlings um meiner Liebsten Kleid;
Und so tritt sie vor den Spiegel
All in ihrer Munterkeit.

Sieht mit Rosen sich umgeben,
Selbst wie eine Rose jung.
Einen Blick, geliebtes Leben!
Und ich bin belohnt genug.

Fühle, was dies Herz empfindet,
Reiche frei mir deine Hand,
Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein schwaches Rosenband!

[Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832]


ianna antwortete am 05.04.02 (18:44):

Der Schmetterling ist in die Rose verliebt,
Umflattert sie tausendmal,
Ihn selber aber, goldig zart,
Umflattert der liebende Sonnenstrahl.

Jedoch, in wen ist die Rose verliebt?
Das wüßte ich gar zu gern.
Ist es die singende Nachtigall?
Ist es der schweigende Abendstern?

Ich weiß nicht, in wen die Rose verliebt;
ich aber liebe euch all:
Rose, Schmetterling, Sonnenstrahl,
Abendstern und Nachtigall.

Heinrich Heine


Heidi antwortete am 06.04.02 (05:18):


Liebeslied

Dein Mund, der schön geschweifte,
Dein Lächeln, das mich streifte,
Dein Blick, der mich umarmte,
Dein Schoß, der mich erwarmte,
Dein Arm, der mich umschlungen,
Dein Wort, das mich umsungen,
Dein Haar, darein ich tauchte,
Dein Atem, der mich hauchte,
Dein Herz, das wilde Fohlen,
Die Seele unverhohlen,
Die Füße, welche liefen,
Als meine Lippen riefen -:
Gehört wohl mir, ist alles meins,
Wüsst nicht, was mir das liebste wär,
Und gäb nicht Höll noch Himmel her:
Eines und alles, all und eins.

Klabund (Alfred Henschke)


ianna antwortete am 07.04.02 (00:31):

Küß nochmals mich, küß wieder, küß mich gut,
Gib einen Kuß mir, süßer als bisher,
Gib einen Kuß, verliebter noch weit mehr;
Vier geb dafür ich, heiß wie Kohlenglut.

O,und du klagst noch? Da - dich aufzufrischen,
Schenk ich dir zehn, süß wie du's nicht gewußt.
Und wie sich unsre Küsse glücklich mischen,
Kosten einander wir nach Herzenslust.

Daraus muß sich ein doppelt Sein ergeben:
Jedes wird in sich und in dem Freunde leben.
Erlaub mir, Liebe, wenn es toll auch klingt,

Dies Wort zu denken. Denn mir schaffet Leiden
Alleinsein, und ich kann mich nur bescheiden,
Wenn mir ein Ausbruch aus mir selbst gelingt.

Louise Labé ( 1525 Lyon - 1566 Lyon )


Rosmarie Vancura antwortete am 07.04.02 (10:49):


Ein Gedicht, welches ich immer wieder lese. Es ist von
Gottfried Benn und wie ich meine, eines der Schönsten,
die er geschrieben hat.

Nur drei Worte
______________

Durch soviel Formen geschritten
durch Ich und Wir und Du,
doch alles wurde erlitten
durch die ewige Frage :Wozu

Das ist eine Kinderfrage
Der Mann hat immer gewusst,
es gibt nur eines
ob Sinn, ob Sucht, ob Sage
das eine, dunkle: du musst.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere
was alles erblühte verblich
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.


sieghard antwortete am 07.04.02 (10:58):

LETZTER FRÜHLING

Nimm die Forsythien tief in dich hinein
und wenn der Flieder kommt, vermisch auch diesen
mit deinem Blut und Glück und Elendsein,
dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.

Langsame Tage. Alles überwunden.
Und fragst du nicht, ob Ende, ob Beginn,
dann tragen dich vielleicht die Stunden
noch bis zum Juni mit den Rosen hin.

[Gottfried Benn 1886 - 1956]
.


Dela antwortete am 07.04.02 (12:51):

ALLES FÜGT SICH

Alles fügt sich und erfüllt sich, musst es nur erwarten können
und dem Werden deines Glückes Jahr und Felder reichlich gönnen.
Bis du eines Tages jenen reifen Duft der Körner spürest
und dich aufmachst und die Ernte in die tiefen Speicher führest.

[Christian Morgenstern 1871 - 1914]


Rosmarie Vancura antwortete am 07.04.02 (15:48):

Frühling
*********

Von Else Lasker - Schüler

Wir wollen wie der Mondenschein
die stille Frühlingsnacht
durchwachen,
Wir wollen wie zwei Kinder sein.
Du hüllst mic h in Dein Leben ein
und lehrst mich,so wie du zu lachen.

Ich sehnte mich nach Mutterlieb
und Vaterwort und Frühlingsspielen.
den Fluch, der mich durchs Leen trieb
Begann ich, da er bei mir blieb,
wie einen treuen Freund zu lieben.

Nun blühn die Bäume seidenfein
und Liebe duftet von den Zweigen
Du musst mir Vater und Mutter sein
und Frühlingdsspiel und Schätzelein
und ganz mein eigen.

Else Lasker-Schüler, geboren 1869 in Wilberfeld-Barmen, dem
heutigen Wuppertal.emigrierte als Jüdin 1933 in die Schweiz
und starb, vereinsamt und verlassen 1945 in Jerusalem.


Brita antwortete am 07.04.02 (16:38):

Lenzlied

Dass Du Lenz gefühlt hast
Unter meiner Winterhülle,
Duss Du den Lenz erkannt hast
In meiner Todstille.
Nicht wahr, das ist Gram
Winter sein, eh' der Sommer kam,
Eh' der Lenz sich ausgejauchzt hat.

O, Du! schenk' mir Deinen gold'nen Tag
Von Deines Blutes blühendem Rot.
Meine Seele friert vor Hunger,
Ist satt von Reif.
O, Du! giesse Dein Lenzblut
Durch meine Starre,
Durch meinen Scheintod.
Sieh, ich harre
Schon Ewigkeiten auf Dich!

Else Lasker-Schüler


Jeanette antwortete am 07.04.02 (17:15):

(Im Vorgriff auf Pfingsten:)

O komm, du Geist der Wahrheit
(Philipp Spitta, 1801-1859)


O komm, du Geist der Wahrheit,
und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit,
verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer,
rühr Herz und Lippen an,
dass jeglicher getreuer
den Herrn bekennen kann.

O du, den unser größter
Regent uns zugesagt,
komm zu uns, werter Tröster,
und mach uns unverzagt.
Gib uns in dieser schlaffen
und glaubensarmen Zeit
die scharfgeschliffnen Waffen
der ersten Christenheit.

Unglaub' und Torheit brüsten
sich frecher jetzt als je,
darum musst du uns rüsten
mit Waffen aus der Höh';
du musst uns Kraft verleihen,
Geduld und Glaubenstreu'
und musst uns ganz befreien
von aller Menschenscheu.

Es gilt ein frei Geständnis
in dieser unsrer Zeit,
ein offenes Bekenntnis
bei allem Widerstreit,
trotz aller Feinde toben,
trotz allem Heidentum
zu preisen und zu loben
das Evangelium.

Du Heil'ger Geist, bereite
ein Pfingstfest nah und fern,
mit deiner Kraft begleite
das Zeugnis von dem Herrn.
O öffne du die Herzen
der Welt und uns den Mund,
dass wir in Freud' und Schmerzen
das Heil ihr machen kund.

(EKG 136)

(Internet-Tipp: https://www.recmusic.org/lieder/list.poet.html)


Adolf antwortete am 07.04.02 (23:02):

Wer viele Jahre fleißig war,
wer immer für die Seinen da,
wer nie strebte nur nach Geld,
der gehört in diese Welt.

Wer niemals jammert, niemals klagt,
wer nicht aufgibt nicht verzagt,
wer stets an allem Anteil nimmt,
der ist für diese Welt bestimmt.

Wer will, dass dies noch lange währt,
der ist es wert, dass man ihn ehrt.

Einen schönen Wochenanfang wünsch allen Adolf


T.heo antwortete am 08.04.02 (12:24):

Lob der Sonne


Göttlich strahlend früh am Morgen
steigt die Sonne hoch empor
Über Menschen gut und böse
Schalt der Vöglein heller Chor

Vöglein singen Gott zu Ehren
Menschen danken im Gebet
Und die Sonne über alles
Strahlend hoch am Himmel steht


Rosmarie Vancura antwortete am 08.04.02 (13:54):

Lieber Theo! Sehr schön, Dein Sonnenlied. Ein lieber Freund hat mich mit dem Sonnengesang des Hl.Franz von Assisi beschenkt.Er wird vielen bekannt sein, aber...lest ihn doch wieder einmal:


Franz von Assisi:

DER SONNENGESANG
________________

Höchster, allmächtiger, guter Herr,
Dein sind das Lob, der Ruhm, die Ehr und aller Segen.
Dir gehören sie,Höchster, allein.
Kein Mensch ist wert, Dich zu nennen.

Gelobt seist Du, mein Herr, samt all Deinen Kindern
Und der Schwester Sonne besonders,
Denn am Tage zündest Du für uns sie an.
Schön ist sie und strahlt in großem Glanze.
Von Dir, o Höchster bringt sie Kunde.

Gelobt seist Du,mein Herr für Bruder Mond und Sterne!
Am Himmel hast Du sie geformt, klar köstlich und hell.

Gelobt seist Du, mein Herr, für Bruder Wind
und Luft und Wolken, freundliches und jedes Wetter!
Mit ihnen hegst du deine Kinder.
Gelobt seist Du, mein Herr, um Wassers Willen!
Das ist so nützlich, schmiegsam, köstlich und keusch.


Richard antwortete am 08.04.02 (14:39):

Lieber Adolf,
dein Loblied auf die Guten habe ich mit viel Interesse gelesen, jedoch kamen mir unheimlich viele Fragen dabei in den Sinn.
Die Frage, die sich am gewaltigsten in den Vordergrund drängte: Was machen wir mit Jenen, die nicht nach deinen Vorstellungen gehandelt haben?
Mit freundlichen Grüßen
Richard


S. Hölzle antwortete am 08.04.02 (14:45):

Hallo,
ich bin auf der Suche nach einem Gedicht zufällig in dieses Forum gekommen.
Kennt jemand ein Goethe-Gedicht, in dem ein Nachtwächter vorkommt und um elf Uhr eine Elfe auftaucht?
Es wäre schön, wenn mir jemand weiterhelfen könnte.


Heidi antwortete am 08.04.02 (15:03):

Elfenlied

Bei Nacht im Dorf der Wächter rief: "Elfe!"
Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief -
Wohl um die Elfe! -
Und meint, es rief ihm aus dem Tal
Bei seinem Namen die Nachtigall,
Oder Silpelit hätt' ihm gerufen.
Reibt sich der Elf' die Augen aus,
Begibt sich vor sein Schneckenhaus
Und ist als wie ein trunken Mann,
Sein Schläflein war nicht voll getan,
Und humpelt also tippe tapp
Durch's Haselholz in's Thal hinab,
Schlupft an der Mauer hin so dicht,
Da sitzt der Glühwurm Licht an Licht.
"Was sind das helle Fensterlein?
Da drin wird eine Hochzeit sein:
Die Kleinen sitzen bei'm Mahle,
Und treiben's in dem Saale.
Da guck' ich wohl ein wenig `nein'!"
- Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!
Elfe, gelt, du hast genug?
Guckuck! Guckuck!


Heidi antwortete am 08.04.02 (15:05):

Das vorstehende Elfenlied ist übrigens von Eduard Mörike :-)


Heidi antwortete am 08.04.02 (15:08):

Hier ist das Elfenlied von Goethe:

Elfenlied
Um Mitternacht, wenn die Menschen erst schlafen,
Dann scheinet uns der Mond,
Dann leuchtet uns der Stern;
Wir wandeln und singen
Und tanzen erst gern.

Um Mitternacht, wenn die Menschen erst schlafen,
Auf Wiesen, an den Erlen
Wir suchen unsern Raum
Und wandeln und singen
Und tanzen einen Traum.

Johann Wolfgang von Goethe


und hier gibts noch mehr "Elfenlieder" ;-))

https://www.hl-gedichte.de

(Internet-Tipp: https://www.hl-gedichte.de)


Erika Kalkert antwortete am 08.04.02 (18:15):

Der Blütenzweig

Immer hin und wider
strebt der Blütenzweig im Winde,
immer auf und nieder
strebt mein Herz gleich einem Kinde
zwischen hellen, dunklen Tagen,
zwischen Wollen und Entsagen.

Bis die Blüten sind verweht
und der Zweig in Früchten steht,
bis das Herz, der Kindheit satt,
seine Ruhe hat
und bekennt; voll Lust und nicht vergebens
war das unruhevoller Spiel des Lebens.

Hermann Hesse


Heidi antwortete am 08.04.02 (22:58):

Blind?

ich sehe
Mond, Sonne
Wolkenspiele, Sterne,
Himmel in allen Farben
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Wiesen, Wälder
grüne Blätter, bunte Blumen
kahle Äste
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Flüsse, Seen
Kanäle, trübe Tümpel
klare Quellen
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Dörfer, Städte
kleine Häuser, Fabriken
grosse Wohntürme
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Menschen, Völker
alte Gesichter, junge Gesichter
Kinderaugen, hell gross dunkel
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Gleichgültigkeit
Hass, Krieg
Soldaten
Lebende, Tote
tote Kinder!

Lieber Gott, bist Du dort?
oder
bist Du am Ende

..fort?

hl


gedichtesucher antwortete am 09.04.02 (13:22):

zur Information:


" Aktuell
Liebe Leserin, Lieber Leser,

seit dem 28.3.2002 ist das Literaturprojekt Gutenberg-DE wieder online. Ab sofort können mehr als 1000 Romane und Novellen überwiegend deutschsprachiger Autoren, 10.000 Gedichte und Tausende Märchen, Sagen und Fabeln wieder kostenlos von allen Usern abgerufen werden..."

https://gutenberg.spiegel.de/info.htm

(Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/info.htm)


Antonius Reyntjes antwortete am 09.04.02 (18:45):

Was Flottes, zum Frühling, der auch noch schrappig und abweisend sei kann...

Friederike Kempner
Wenn der holde Frühling lenzt

Wenn der holde Frühling lenzt
Und man sich mit Veilchen kränzt,
Wenn man sich mit festem Mut
Schnittlauch in das Rührei tut,
Kreisen durch des Menschen Säfte
Neue ungeahnte Kräfte -
Jegliche Verstopfung weicht,
Alle Herzen werden leicht,
Und das meine fragt sich still:
"Ob mich dies Jahr einer w i l l?"


Dela antwortete am 09.04.02 (22:19):

AUF DER BOOTSBRÜCKE

[Silja Walter]


Ich fuhr aus den singenden Ufern hinaus,
Die reglose Mitte zu finden,
Ich trag in den Knöcheln den Tanz nach Haus,
Und kann die Sandalen nicht binden.

Auch Mitte ist schwingende Diele wie sie,
Die Ufer und Borde und Ränder,
Der Tanz steigt im Gehen mir in die Knie
Und wirft mir die Hand vom Geländer,
Und packt meinen Nacken, und all meine Ruh
Im Herzen versinkt zwischen Bohlen,
Ich werf' meine roten Sandalen dazu
Und tanze mit brennenden Sohlen!

Ich tanze, verschüttet von Fläche und Licht,
Vom Boot über Brücken und Planken,
Und Tanz wird Taumel und Taumel Gedicht -
Und die roten Sandalen versanken.


Heidi antwortete am 09.04.02 (23:11):

Fresko-Sonette an Christian S.
3

Ich lache ob den abgeschmackten Laffen,
Die mich anglotzen mit den Bocksgesichtern;
Ich lache ob den Füchsen, die so nüchtern
Und hämisch mich beschnüffeln und begaffen.
Ich lache ob den hochgelahrten Affen,
Die sich aufblähn zu stolzen Geistesrichtern;
Ich lache ob den feigen Bösewichtern,
Die mich bedrohn mit giftgetränkten Waffen.

Denn wenn des Glückes hübsche Siebensachen
Uns von des Schicksals Händen sind zerbrochen,
Und so zu unsern Füßen hingeschmissen;

Und wenn das Herz im Leibe ist zerrissen,
Zerrissen, und zerschnitten, und zerstochen -
Dann bleibt uns doch das schöne gelle Lachen

Heinrich Heine


Heidi antwortete am 09.04.02 (23:41):



Lied

Es ist der Wind um Mitternacht,
Der leise an mein Fenster klopft.
Es ist der Regenschauer sacht,
Der leis an meiner Kammer tropft.

Es ist der Traum von meinem Glück,
Der durch mein Herz streift wie der Wind.
Es ist der Hauch von deinem Blick,
Der durch mein Herz schweift regenlind

Friedrich Nietzsche


ianna antwortete am 09.04.02 (23:50):

Abendspaziergang

Der Abendtau macht mich verrückt.
Der Nebel macht mich krank.
Komm, setz zu mir dich auf die Bank -
ein Weilchen nur.
Dann laß uns wandern Hand in Hand
den See entlang,
dort, wo die Lotosblüten blühn.
Die ersten Frühlingsschauer ziehn
schon übers Land.

Und so verrückt hat mich die Zärtlichkeit gemacht,
daß mich auch nicht mehr schreckt, was andre denken.
Ich werf mich an die Brust dir unbedacht,
und alles, was ich hab, möcht ich dir schenken.
Doch wird es Nacht -
und wenn wir auseinandergehn,
wie trüb wird alles sein -
Sitz ich allein
vorm Spiegel - nein!
ich möcht mich nicht drin sehn.

Dschun Schu-Dschen ( 12 Jh )


Rosmarie Vancura antwortete am 10.04.02 (00:24):

Handinneres
___________

Inneres der Hand. Sohle, die nicht mehr geht
als auf Gefühl. Die sich nach oben hält
und im Spiegel
himmlische Strassen empfängt, die selber
wandelnden.
Die gelernt hat, auf Wasser zu gehn,
wenn sie schöpft,
die auf dem Brunnen geht,
aller Wege Verwandlerin.
Die auftritt in anderen Händen,
die ihresgleichen
zu Landschaften macht:
wandert und ankommt in ihnen,
sich anfüllt mit Ankunft.

Rainer Maria Rilke


Adolf antwortete am 10.04.02 (03:20):

Lieber Richard,
ich habe mit Interesse Deine Argumentation gelesen. Ja was machen ich bloß mit denen, die nicht zu den „Guten“ gehören? Haben ich ein recht Menschen in gut und böse aufzuteilen? Ganz klar NEIN.
Mir ging es in dem Beitrag nicht um gut und böse bzw. um fleißig und nicht fleißig. Ich wollte einmal diejenigen in unserer Gesellschaft damit danken, die in vielen Instutitionen Ehrenamtlich arbeiten, ohne auf ein Dankeschön zu warten. Sicher sind auch viele in diesem Forum die dazu gehören. Vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt. Sorry
Herzliche Grüße Adolf


sieghard antwortete am 10.04.02 (09:35):

.
Ein Mensch erlebt den krassen Fall,
es menschelt deutlich überall.
Trotzdem merkt man weit und breit
oft nicht die Spur von Menschlichkeit.
.

Ein Mensch erhofft sich fromm und still,
Dass er einst das kriegt, was er will.
Bis er dann doch dem Wahn erliegt
Und schließlich das will, was er kriegt.

[Eugen Roth]
.


Heidi antwortete am 10.04.02 (12:57):

Die Dichterin

Du hälst mich in den Händen ganz und gar.
Mein Herz wie eines kleinen Vogels schlägt
In deiner Faust. Der du dies liest, gib acht;
Denn sieh, du blätterst einen Menschen um.
Doch ist es dir aus Pappe nur gemacht,

Aus Druckpapier und Leim, so bleibt es stumm
Und trifft dich nicht mit seinem großen Blick,
Der aus den schwarzen Zeichen suchend schaut,
Und ist ein Ding und hat sein Dinggeschick.

Und ward verschleiert doch gleich einer Braut,
Und ward geschmückt, daß du es lieben magst,
Und bittet schüchtern, daß du deinen Sinn
Aus Gleichmut und Gewöhnung einmal jagst,

Und bebt und weiß und flüstert vor sich hin:
"Dies wird nicht sein." Und nickt dir lächelnd zu.
Wer sollte hoffen, wenn nicht eine Frau?
Ihr ganzes Treiben ist ein einzig: "Du..."

Mit schwarzen Blumen, mit gemalter Brau,
Mit Silberketten, Seiden, blaubesternt.
Sie wußte manches Schönere als Kind
Und hat das schöne andre Wort verlernt. -

Der Mann ist soviel klüger, als wir sind.
In seinen Reden unterhält er sich
Mit Tod und Frühling, Eisenwerk und Zeit;
Ich sage:"Du..." und immer:"Du und ich."

Und dieses Buch ist eines Mädchens Kleid,
Das reich und rot sein mag und ärmlich fahl,
Und immer unter liebem Finger nur
Zerknittern dulden will, Befleckung, Mal.

So steh ich, weisend, was mir widerfuhr;
Denn harte Lauge hat es wohl gebleicht,
Doch keine hat es gänzlich ausgespült.
So ruf ich dich. Mein Ruf ist dünn und leicht.
Du hörst, was spricht. Vernimmst du auch, was fühlt?


Quelle: Gertrud Kolmar, Gedichte, Bibliothek Suhrkamp


Dela antwortete am 10.04.02 (16:40):

DER UNENTSCHLOSSENE

(Eugen Roth)

Ein Mensch ist ernstlich zu beklagen,
Der nie die Kraft hat, nein zu sagen,
Obwohl er´s weiß, bei sich ganz still:
Er will nicht, was man von ihm will !
Nur, dass er Aufschub noch erreicht,
Sagt er, er wolle sehn, vielleicht ...
Gemahnt wird nach zweifelsbittern Wochen,
Dass er´s doch halb und halb versprochen,
Verspricht er´s, statt es abzuschütteln,
Aus lauter Feigheit zu zwei Dritteln,
Um endlich, ausweglos gestellt,
Als ein zur Unzeit tapfrer Held
In Wut und Grobheit sich zu steigern
Und das Versprochne zu verweigern.
Der Mensch gilt bald bei jedermann
Als hinterlistiger Grobian -
Und ist im Grund doch nur zu weich,
Um nein zu sagen - aber gleich !


Margret antwortete am 10.04.02 (20:52):

Klugheit wagt keinen hohen Flug,
hält sich in sicherem Gleisen.
Ihr eigenes Wohl ist ihr genug-
Weisheit zieht größere Kreise.
Der weise Mann ist selten klug
und der kluge selten weise.

Friedrich v. Bodenstedt


Margret antwortete am 10.04.02 (20:56):

Lieber Richard,
Antwort auf Deine Frage zum Gedicht von Adolf (8. 4. 02
" Nicht ehren"
Das meint Margret.


Adolf antwortete am 10.04.02 (22:49):

Eine angenehme Nacht wünscht allen Adolf

Von all meinen Wünschen, die sich verbünden
wie freundliche Boten dir zum Geleit,
mögest du diesen am stärksten empfinden:
Ich wünsche dir Dankbarkeit.
Es gibt Anlass zu danken für jeden genug,
Wem die Sonne am Morgen sich zugekehrt,
wem sein Tagwerk gelungen mit Egge und Pflug,
der weiß Dank für den Atemzug, der ihm beschert.
Wenn es Glück ist, ein einfaches Leben zu führen,
voll Dank zu erkennen: „Ich bin",
dann wünsch' ich dir, Dank in der Seele zu spüren
für beides: Verlust und Gewinn.
Es geht ums Bereitsein, sich dankbar zu fügen.
Doch ob dir's gelingt, das wird an dir liegen.
Und wenn du als Glückskind durchs Leben gehst,
dann wünsch' ich dir, dass du zu danken verstehst.
Elli Michler


Rosmarie Vancura antwortete am 11.04.02 (23:21):

Weisst Du den Grund?
____________________

Daß du's zuletzt doch noch zu sagen wagtest
am Telefon
und daß du es wie einen Hauch nur sagtst
und ohne Ton,

Das gar so Scheue, dies und alles Scheue
von dir zu mir
die vorsichtigen Worte deiner Treue
auf dem Papier,

Die Blicke die sich zögernd anvertrauen,
im Spiegel nur,
vorm Abschied das beklommne Niederschauen
auf deine Uhr.

All das verhüllte und verzagte Leben -
weisst du den Grund
Ach lass doch deinen Mund die Antwort geben
auf meinem Mund.

Manfred Hausmann


Adolf antwortete am 13.04.02 (17:34):

Ich wünsche allen einen schönen Sonntag:Adolf

Ich geduldete mich
den ganzen Winter hindurch,
weil ich wusste,
dass in einer Nacht die Mandelbäume
sich mit weißen Blüten bedecken würden
Und ich war jedes mal verwundert,
wie dieser zarte Blütenschnee
allen Regen und Winden trotzte.
Und doch dauerte jedes Jahr
das Blühen gerade so lange,
als es braucht,
um die Früchte vorzubereiten.
Albert Camus


Margret antwortete am 13.04.02 (22:23):

Die Jugend ist meist so allwissend,dass sie alles weiß,
bis auf eines: dass auch einmal die Alten allwissend waren,
bis sie wirklich etwas wussten.
E. Hemingway


Brita antwortete am 14.04.02 (08:24):

Die Gunst des Augenblicks

Und so finden wir uns wieder
In dem heitern, bunten Reihn,
Und es soll der Kranz der Lieder
Frisch und grün geflochten sein.

Aber wem die Götter bringen
Wir des Liedes ersten Zoll?
Ihn vor allen laßt uns singen,
Der die Freude schaffen soll.

Denn was frommt es, daß mit Leben
Ceres den Altar geschmückt?
Daß den Purpursaft der Reben
Bacchus in die Schale drückt?

Zückt vom Himmel nicht der Funken,
Der den Herd in Flammen setzt,
Ist der Geist nicht feuertrunken,
Und das Herz bleibt unergetzt.

Aus den Wolken muß es fallen,
Aus der Götter Schoß das Glück,
Und der mächtigste von allen
Herrschern ist der Augenblick.

Von dem allerersten Werden
Der unendlichen Natur
Alles Göttliche auf Erden
Ist ein Lichtgedanke nur.

Langsam in dem Lauf der Horen
Füget sich der Stein zum Stein,
Schnell, wie es der Geist geboren,
Will das Werk empfunden sein.

Wie im hellen Sonnenblicke
Sich ein Farbenteppich webt,
Wie auf ihrer bunten Brücke
Iris durch den Himmel schwebt,

So ist jede schöne Gabe
Flüchtig wie des Blitzes Schein,
Schnell in ihrem düstern Grabe
Schließt die Nacht sie wieder ein.

Friedrich Schiller


RosmarieVancura antwortete am 14.04.02 (09:18):



Zwischen Abend und Morgen
_________________________

Leb wohl zur Nacht,leb wohl! Vielleicht geschieht's
daß wir im Traum uns wiedersehn
und wie die Reime eines Liebenslieds
todsüchtig ineinanderwehn.

Denn je mehr ich dein bin,
umso tiefer bin ich mein.
Denn je mehr ich mein bin,
umso tiefer bin ich dein.

Ich bin im Traum in dich hieneingegangen
wie in ein Bild auf einer Nebelwand.
Nun ist es Tag. Verwunschenheiten hangen
gleich Schleier um die Schläfen mir und Wangen,
und meine Hand ist wunderlich befangen,
wenn sie sich hebt, als sei sie deine Hand.

Manfred Hausmann:
Unterwegs


Heidi antwortete am 15.04.02 (01:17):

Wenn ich ein König wäre

Wenn ich ein König wäre, säh' ich des Volkes Schmerzen,
Und tiefe Trauer trüg' ich alsdann in meinem Herzen,
Ich wäre nicht erblindet für seine große Noth,
Nicht taub für seine Klagen, wenn ihm Verderben droht.

Ich säh' die Einen schwelgen in ihren Prunkgemächern,
Sie edle Weine schlürfen aus Gold- und Silberbechern,
In Dunenbetten ruhen, mit Seide zugedeckt,
Bis sie die hohe Sonne aus süßem Schlummer weckt.

In säh', wie sie den Lüsten, den eitlen, Opfer zollen.
Von Rossen stolz gezogen, vom Fest zur Oper rollen,
Wie sie dann sorglos schlafen in sichrer Gegenwart,
Vertrauend auf die Zukunft, die ihrer Tage harrt.

Doch säh' ich auch die Andern in ungesunden Räumen,
Die fort und fort beschäftigt, die nimmer müssig säumen,
Die unterm Dache wohnend, gebettet sind auf Stroh,
Von Lumpen kaum bedecket, die nie des Lebens froh,

Durch Fleiß und saure Mühe nicht so viel sich erwerben,
Zu sättigen die Kinder, die fast vor Hunger sterben,
Zu wärmen nur die Kleinen, die's friert bei Nacht und Tag,
Und die doch leben müssen, weil sie der Tod nicht mag.

Ihr Leben voll Entbehrung, voll Kummer und voll Sorgen,
Bekrönt als Schmerzensstachel, die Furcht vorm andern Morgen,
Da sie nicht wissen können, ob er das dürft'ge Brod
Den Armen wird bescheren, ob größer wird die Noth.

Und säh' ich so die Reichen, und säh' ich so die Armen,
So würd' ich mich der Letztern mit mildem Sinn erbarmen;
Mit jenen die da leiden, mit jenen litt auch ich,
Ihr Schicksal zu verbessern, das nähm ich stolz auf mich.

So lang in meinem Reiche noch Bettler vor sich fänden,
So lange noch Arbeiter mit starken fleiß'gen Händen,
Vergebens an Werkstätten um Arbeit klopfen an,
So lange würd' ich glauben, ich hätte nichts gethan.

Den lügenden Ministern, die sich oft dreist erfrechen,
Vom Wohlstand eines Landes mit feiler Zung zu sprechen,
Würd' ich nicht Glauben schenken, so lang des Armen Schweiß,
Den Reichen Früchte bringet, von denen er nichts weiß.

Ich würde Mitleid haben mit jenen armen Müttern,
Die mit gebrochenem Herzen, mit Händen welche zittern,
Den neugebornen Knaben auf einen Straßenstein
Aussetzen, weil zu Haus ihn bedroht des Hungers Pein.

Auch mit den Waisenkindern, die kaum die süßen Gaben
Der Elternlieb' genossen, würd' ich stets Mitleid haben,
Die längst den Kuß der Mutter, des Vaters Sorg' entbehrt,
Die schon am Lebensmorgen von Druck und Last beschwert.

Ich würde Mitleid haben mit Mädchen und mit Frauen,
Die schön und jung an Jahren, vergebens um sich schauen
Nach Arbeit, bis das Elend sie nach und nach entblößt,
Und mit brutalem Fuße in die Verderbniß stößt.

Auch dem Fabrikarbeiter würd' ich mein Mitleid schenken,
Und mit besonderm Eifer auf seine Hebung denken,
Denn dieser ist der Sträfling, der Sklav der Industrie,
Und die Befreiungsstunde schlägt diesem Armen nie.

Doch ja, sie schlägt am Ende, wenn aus des Lebensketten,
Der Tod kommt, um den Müden ins tiefe Grab zu retten;
Im Leben nur Maschine, darf er nie stille steh'n,
Und gleich dem ew'gen Juden, muß er stets vorwärts geh'n.

Mich dauerte der Weber, der still das Schiffchen drehet,
Der reiche Stoffe webet und selbst halb nackend gehet;
Mich dauerte der Maurer der früh und spät sich quält,
Der andern Häuser bauet, und dem ein Obdach fehlt.

Mich dauerte der Landmann, der häuft die goldnen Garben,
Und der dabei in Armuth bei Kleienbrod muß darben;
Mich dauerte ein Jeder, der fleißig sich bestrebt,
Der Andern Reichthum schaffet, und selbst im Elend lebt.

Des Volkes laute Klagen, die Thränen, die da fallen,
Die würden mir im Herzen beständig widerhallen.
Ich könnte nimmer ruhen, bis ich den Grund erschaut,
Bis denen ich geholfen, die mir ihr Glück vertraut.

Und würd' es mir gelingen da Wohlstand zu verbreiten,
Wo jetzt die Armuth waltet, wo Noth und Elend streiten,
Hätt' ich die Volksverblutung mit milder Hand gestillt,
Ja, dann erst würd' ich glauben, sei meine Pflicht erfüllt.

Und wenn mich Der beriefe, der alle Spaltung schlichtet,
Der Könige und Bettler mit gleicher Strenge richtet,
Bät' ich vor Gottes Throne in jenem Geisterland:
»O Herr! beschütz' die Völker, die Vater mich genannt.«

Kathinka Zitz (1801-1877)




Dietlinde antwortete am 15.04.02 (09:19):



Heute hat Wilhelm Busch Geburtstag

15. 4. 1832 Wilhelm Busch (+ 9.1.1908)
Deutscher Schriftsteller, Zeichner und Maler. Der in Wiedensahl bei Hannover geborene Busch besuchte Akademien in Düsseldorf, Antwerpen und München, bevor er sich an seinem Heimatort niederließ. Im Jahr 1859 begann er eine Reihe von Zeichnungen in dem Satiremagazin "Fliegende Blätter" zu veröffentlichen. Gefolgt wurden diese Zeichnungen von illustrierten Erzählungen wie "Max und Moritz" (1865), "Hans Huckebein, der Unglücksrabe"(1867) und "Die fromme Helene" (1872). Im Jahr 1910 hatte "Max und Moritz" bereits eine Auflage von über 500.000 Stück erreicht und war in mehrere Sprachen übersetzt. Die Wirkung von Buschs Werken liegt vor allem in der Verknüpfung witziger Versdichtung mit pointierten Bildergeschichten.
www.wilhelm-busch-seiten.de/links.html
Eine umfangreiche Linksammlung zu Wilhelm Busch.
www.wilhelm-busch.de/
Links zu einem Forum, einer Zitatsammlung und zu Geschichten des Dichters.
Quelle: www.kalenderblatt.de

Wilhelm Busch



Der Sack und die Mäuse

Ein dicker Sack voll Weizen stand
Auf einem Speicher an der Wand. -
Da kam das schlaue Volk der Mäuse
Und pfiff ihn an in dieser Weise:
"Oh, du da in der Ecke,
Großmächtigster der Säcke!
Du bist ja der Gescheitste,
Der dickste und der Breitste!
Respekt und Referenz
Vor eurer Exzellenz!"
Mit innigem Behagen hört
Der Sack, daß man ihn so verehrt.
Ein Mäuslein hat ihm unterdessen
Ganz unbemerkt ein Loch gefressen.
Es rinnt das Korn in leisem Lauf.
Die Mäuse knuspern's emsig auf.
Schon wird er faltig, krumm und matt.
Die Mäuse werden fett und glatt.
Zuletzt, man kennt ihn kaum noch mehr,
Ist er kaputt und hohl und leer.
Erst ziehn sie ihn von seinem Thron;
Ein jedes Mäuslein spricht ihm hohn;
Und jedes, wie es geht, so spricht's:
"Empfehle mich, Herr Habenichts!"


Wilhelm Busch

Früher, da ich unerfahren

Früher, da ich unerfahren
Und bescheidner war als heute,
Hatten meine höchste Achtung
Andre Leute.
Später traf ich auf der Weide
Außer mir noch mehr Kälber,
Und nun schätz ich, sozusagen,
Erst mich selber.

Sie war ein Blümlein

Wilhelm Busch

Sie war ein Blümlein hübsch und fein,
Hell aufgeblüht im Sonnenschein.
Er war ein junger Schmetterling,
Der selig an der Blume hing.
Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm
Und nascht und säuselt da herum.
Oft kroch ein Käfer kribbelkrab
Am hübschen Blümlein auf und ab.

Ach Gott, wie das dem Schmetterling
So schmerzlich durch die Seele ging.

Doch was am meisten ihn entsetzt,
Das Allerschlimmste kam zuletzt.
Ein alter Esel fraß die ganze
Von ihm so heißgeliebte Pflanze.

(1783)



Will das Glück nach seinem Sinn

Will das Glück nach seinem Sinn
Dir was Gutes schenken,
Sage Dank und nimm es hin
Ohne viel Bedenken.
Jede Gabe sei begrüßt,
Doch vor allen Dingen:
Das worum du dich bemühst,
Möge dir gelingen.


Ich habe hier auch noch etwas zum Schmunzeln:

Der Esel
Es stand vor eines Hauses Tor
Ein Esel mit gespitztem Ohr,
Der käute sich sein Bündel Heu
Gedankenvoll und still entzwei.
Nun kommen da und bleiben stehn
Der naseweisen Buben zween,
Die auch sogleich, indem sie lachen,
Verhaßte Redensarten machen,
Womit man denn bezwecken wollte,
Daß sich der Esel ärgern sollte.

Doch dieser hocherfahrne Greis
Beschrieb nur einen halben Kreis,
Verhielt sich stumm und zeigte itzt
Die Seite, wo der Wedel sitzt.



Die Tute

Wenn die Tante Adelheide
Als Logierbesuch erschien,
Fühlte Fritzchen große Freude,
Denn dann gab es was für ihn.
Immer hat die liebe Gute
Tief im Reisekorb versteckt
Eine angenehme Tute,
Deren Inhalt köstlich schmeckt.

Täglich wird dem braven Knaben
Draus ein hübsches Stück beschert,
Bis wir schließlich nichts mehr haben
Und die Tante weiterfährt.

Mit der Post fuhr sie von hinnen.
Fritzchens Trauer ist nur schwach.
Einer Tute, wo nichts drinnen,
Weint man keine Träne nach.

Ich wünsche allen Freunden und Gästen des Seniorentreffs eine fröhliche, schöne, neue Woche!

Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


Rosmarie Vancura antwortete am 15.04.02 (09:47):

Fughetta
_________

Aus den ungekannten Gründen
deines Herzens aufgestiegen,
dir zu künden, mir zu künden,
was sich dir und mir verschwiegen,

unvergessen die Bewegung,
die mich ganz zu dir verführte,
diese sanfte Gegenregung,
als mein Mund den deinen rührte,

dir zu künden mir zu künden,
was sich mir und dir verschwiegen,
aus den ungekannten Gründen,
deines Herzens aufgestiegen,

diese sanfte Gegenregung
als mein Mund den deinen rührte,
unvergessen die Bewegung,
der mich ganz zu dir verführte.

Manfred Hausmann

Liebe Freunde! Ichg verabschiede mich für vier Wochen von Euch (Urlaub) und freue mich sehr, Eure Beiträge nach der Rückkehr zu lesen. Macht's gut! Rosmarie


sieghard antwortete am 16.04.02 (14:53):

Wo ist die Hand so zart, dass ohne Irren
Sie sondern mag beschränkten Hirnes Wirren,
So fest, dass ohne Zittern sie den Stein
Mag schleudern auf ein arm verkümmert Sein?
Wer wagt es, eitlen Blutes Drang zu messen,
Zu wägen jedes Wort, das unvergessen
In junge Brust die zähen Wurzeln trieb,
Des Vorurteils geheimen Seelendieb?
Du Glücklicher, geboren und gehegt
Im lichten Raum, von frommer Hand gepflegt,
Leg hin die Waagschal', nimmer dir erlaubt!
Lass ruhn den Stein - er trifft dein eignes Haupt! -

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
.


Heidi antwortete am 17.04.02 (09:06):

Die armen Worte


Die armen Worte, die im Alltag darben,
die unscheinbaren Worte, lieb ich so.
Aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
da lächeln sie und werden langsam froh.

Ihr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
erneut sich deutlich, dass es jeder sieht;
sie sind noch niemals im Gesang gegangen
und schauernd schreiten sie in meinem Lied.


Rainer Maria Rilke, 6.11.1897, Berlin-Wilmersdorf


Heidi antwortete am 17.04.02 (10:41):

Über die Zeitereignisse sage ich nichts; das ist Universalanarchie, Weltkuddelmuddel, sichtbar gewordener Gotteswahnsinn! Der Alte muß eingesperrt werden, wenn das so fortgeht.
Heinrich Heine am 9. Juli 1848 (Brief an Campe)



Erinnerungen aus Krähwinkels
Schreckenstagen
(Gedichte 1853 und 1854)

Wir, Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen.

»Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.

Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.

Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud' und Christ.
Es schließe jeder seine Bude,
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

Wo ihrer drei beisammenstehn,
Da soll man auseinandergehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.

Es liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.

Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

Vertrauet eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.«


Heinrich Heine


.. immer aktuell

(Internet-Tipp: https://homepages.compuserve.de/frickew/heine/index.htm?heine01.htm)


Dela antwortete am 18.04.02 (11:54):

Aus: „ASTÖSSE , meditative + provokative Lyrik, Czernik-Verlag/ EDITION L“.



UNGENÜGEND


(Joachim Grünhagen)


Nur den Finger
Gereicht hat
Der Schöpfer.

Die ganze Hand
Nahm der Mensch.

Und hat doch
Nie genug –
In der Faust.


Dietlinde antwortete am 18.04.02 (15:17):


Ein Gedicht zum Träumen von Arno Holz

Schönes, grünes, weiches Gras.
Drin liege ich.
Mitten zwischen Butterblumen!

Ueber mir,
warm,
der Himmel:
ein weites, zitterndes Weiss,
das mir die Augen langsam, ganz langsam
schliesst.

Wehende Luft, ... ein zartes Summen.

Nun bin ich fern
von jeder Welt,
ein sanftes Roth erfüllt mich ganz,
und deutlich spür ich,
wie die Sonne mir durchs Blut rinnt –
minutenlang.

Versunken Alles. Nur noch ich.

Selig.

Arno Holz

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


ianna antwortete am 19.04.02 (22:51):

Gebet an die Nacht

Nacht, du, die groß und gütig,
spinne mich summend in Schlaf.
Breite vor meinen Augen meiner Kindheit kühle Träume
und vor meinen Ohren die sausende Stille:
das Seufzen der fernen Wälder
und das schläfrige Lied der Winde.

Nimm meine Gedanken weg,
bereite ihnen ein Bett in Blütenkronen
und auf betauten Blättern.
Nimm meine Sorgen weg wie Kleider,
die der Tag benötigt,
atme Frieden auf meine Stirn,
der als stiller, ertränkender Strom
über meinen ermüdeten Körper flute.

Elisabet Laurila


de la antwortete am 19.04.02 (23:53):

Jetzt rede du!

Du warest mir ein täglich Wanderziel,
Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen,
Ich hatte dir geträumten Glücks so viel
Anzuvertraun, so wahren Schmerz zu klagen.

Und wieder such ich dich, du dunkler Hort,
Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauschen -
Jetzt rede du! Ich lasse dir das Wort!
Verstummt ist Klag und Jubel. Ich will lauschen.

(Conrad Ferdinand Meyer)


Luzia antwortete am 20.04.02 (19:12):

Beim Blättern in alten Büchern fand ich folgendes:
Börries, Freiherr von Münchhausen:

Lederhosen-Saga

Es war ein alter schwarzbrauner Hirsch,
Großvater schoß ihn auf der Pirsch,
und weil seine Decke so derb und dick,
stiftete er ein Familienstück.
Nachdem er lange nachgedacht,
ward eine Hose draus gemacht -
denn: Geschlechter kommen,
Geschlechter vergehen,
Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen.

Er trug sie dreiundzwanzig Jahr,
eine wundervolle Hose es war!
Und als mein Vater sie kriegte zu Lehen,
da hatte die Hose gelernt zu stehen,
steif und mit durchgebeulten Knien
stand sie abends vor dem Kamin -
Schweiß, Regen Schnee - ja mein Bester
eine lederne Hose wird immer fester!

Und als mein Vater an die sechzig kam,
einen Umbau der Hose er vor sich nahm,
das Leder freilich war unerschöpft,
doch die Büffelhornknöpfe
waren durchgeknöpft.
Wie alte Groschen, wie Scheibchen nur -
er erwarb eine neue Garnitur.

Und dann allmählich machte das Reiten
ihm nicht mehr den Spaß
wie in früheren Zeiten,
besonders der Trab in den hohen Kadenzen
ist kein Vergnügen für Exzellenzen,
so fiel die Hose durch Dotation
an mich in der dritten Generation.

Ein Reiterleben in Niedersachsen -
die Gaben der Hosen warn wieder gewachsen!
Sie saß jetzt zu Pferde wie aus Guß
und hatte wunderbaren "Schluß",
und abends stand sie mit krummen Knien
wieder zum Trocknen am Kamin.

Aus Großvaters Tagen herüber klingt
eine ferne Sage, die sagt und singt,
die Hose hätte in jungen Tagen
eine prachtvolle grüne Farbe getragen.
Mein Großvater dagegen - weiß ich genau -
nannte die Hose immer grau,
seit neunzehnhundert ist sie zu schaun
etwa wie guter Tabak: braun!

So entwickelt sie, fern jedem engen Geize,
immer neue ästhetische Reize,
und wenn mein Ältester einst sie trägt,
wer weiß, ob sie nicht ins Blaue schlägt!
Denn Geschlechter kommen,
Geschlechter gehen,
Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen,
und fern im Nebel der Zukunft schon,
seh ich die Hose an meinem Sohn.

Er wohnt in ihr, wie wir drin gewohnt,
und es ist nicht nötig,daß er sie schont,
ihr Leder ist gänzlich unerschöpft,
die Knöpfe nur sind wieder durchgeknöpft,
und er stiftet, folgend der Väter Spur,
eine neue Steinnußgarnitur.

Wenn aber die Hose sich weiter entwickelt,
wenn plötzlich ein neuer Ehrgeiz sie prickelt,
wenn sie, wie sie stehen und reiten kann,
auch mit Dichten mal finge an....
Junge, ich hab mirs überlegt,
ob sie das auf Dauer verträgt!!


ianna antwortete am 22.04.02 (00:48):

Beschreibung eines Geliebten

Ein Fremdling unterm Weidenbaum, nur mir vertraut.
Dürstendes Tier, immer zitternd vor Unruh und Stärke.
Träume - wandeln durch sein schwarzes Blut -
wissen nichts von seinem Hirn;
nur sein Gefühl ahnt manchmal eine Treppe bis zum
Mond.
Ausgesetzt jener Liebe, die die Einsamen haben:
das Herz sich zu durchboren
und aufzufädeln auf ein Haar,
das die Geliebte in der Leidenschaft verlor.
Und immer hungernd nach dem bitteren Geschmack
von gelben Blumen, verloren vor der Zeit.
Verirrte Bilder hinterm Lid...
Und manchesmal schreckt er sich süß vor einem Wort,
das andere ihm sagen, weil er darinnen spürt,
wie alles ihn vertreibt.
Dann tastet er nach einem Weidenbaum,
nur mehr vertraut der Trauer. Nicht mehr mir.

Herta Kräftner ( 1928-1951 )


DorisW antwortete am 22.04.02 (13:28):

Die Stille der Welt vor Bach

Es muß eine Welt gegeben haben vor
der Triosonate in D, eine Welt vor der A-moll-Partita,
aber was war das für eine Welt?
Ein Europa der großen leeren Räume ohne Widerhall,
voll von unwissenden Instrumenten,
wo das Musikalische Opfer und das Wohltemperierte Klavier
noch über keine Klaviatur gegangen waren.
Einsam gelegene Kirchen,
in denen nie die Sopranstimme der Matthäus-Passion
sich in hilfloser Liebe um die sanfteren
Bewegungen der Flöte gerankt hat,
weite sanfte Landschaften,
wo nichts zu hören ist als die Äxte alter Holzfäller,
das muntere Bellen starker Hunde im Winter
und Schlittschuhe auf blankem Eis wie ferne Glocken;
die Schwalben, die durch die Sommerluft schwirren,
die Muschel, die das Kind lauschend ans Ohr drückt,
und nirgends Bach, nirgends Bach.
Die Schlittschuhstille der Welt vor Bach.

aus: Lars Gustafsson, „Die Stille der Welt vor Bach“,
Carl Hanser Verlag 1982


Brita antwortete am 24.04.02 (21:23):


Zu spät

Da ich in Jugendnot und Scham
Zu dir mit leiser Bitte kam,
Hast du gelacht
Und hast aus meiner Liebe
Ein Spiel gemacht.

Nun bist du müd und spielst nicht mehr,
Mit dunklen Augen blickst du her
Aus deiner Not,
Und willst die Liebe haben,
Die ich dir damals bot.

Ach, die ist lang verglommen
Und kann nicht wiederkommen -
Einst war sie dein!
Nun kennt sie keine Namen mehr
Und will alleine sein.

Hermann Hesse (1909)


sieghard antwortete am 24.04.02 (22:08):

Als ich jünger war

Als ich jünger war und offen
kannt ich diese Angst noch nicht
Frei war ich und voller Hoffen
war kein Urteil, kein Gericht
nur ein Vogel, bunt, mit Schwingen
die kein Mensch zerbrochen hat
kannte Schwerter nicht und Zwingen
war im warmen Wind ein Blatt
Hab auf einem Pferd gesessen
das war alt, der Baum war grün
Habe Zeit und Pflicht vergessen
Prinz war ich und Harlekin

Von Unsterblichkeit und Sinn
hab ich meinen Traum verloren
daß ich nicht so einsam bin
hab ich Träumer mir geboren
und ich wärm sie, wenn sie frieren
und ich habe Angst um sie
Nirgends solln sie mitmarschieren
müde werden solln sie nie
Alt und lauwarm die Gedanken
Ich hab alles, was ich brauch
klare Grenzen, schöne Schranken
und die Alltagstode auch
Bin ein Kerkermeister heute
sperrte meine Seele ein
daß sie nichts und niemand reute
schläft sie in der Mauern Stein.

[Bettina Wegner]
.


Brita antwortete am 25.04.02 (07:48):

... ob viele Männer so empfinden?
... ob viele Frauen so empfinden wie Bettina Wegner?


Verführer

Gewartet habe ich vor vielen Türen,
In manches Mädchenohr mein Lied gesungen,
Viel schöne Frauen sucht ich zu verführen,
Bei der und jener ist es mir gelungen.
Und immer, wenn ein Mund sich mir ergab,
Und immer, wenn die Gier Erfüllung fand,
Sank eine selige Phantasie ins Grab,
Hielt ich nur Fleisch in der enttäuschten Hand.
Der Kuß, um den ich innigst mich bemühte,
Die Nacht, um die ich lang voll Glut geworben,
Ward endlich mein - und war gebrochene Blüte,
Der Duft war hin, das Beste war verdorben.
Von manchem Lager stand ich auf voll Leid,
Und jede Sättigung ward Überdruß;
Ich sehnte glühend fort mich vom Genuß
Nach Traum, nach Sehnsucht und nach Einsamkeit.
O Fluch, daß kein Besitz mich kann beglücken,
Daß jede Wirklichkeit den Traum vernichtet,
Den ich von ihr im Werben mir gedichtet
Und der so selig klang, so voll Entzücken!
Nach neuen Blumen zögernd greift die Hand,
Zu neuer Werbung stimm ich mien Gedicht ...
Wehr dich, du schöne Frau, straff dein Gewand!
Entzücke, quäle - doch erhör mich nicht!

Hermann Hesse (1926)


Peter Voßkämper antwortete am 25.04.02 (21:32):

Zu Britta, Hermann Hesse und Verführer:


danach


wir haben uns heiß geliebt
bis ich die kälte spürte
die wir zeugten danach

auf dem heimweg
voller sterne die julipfützen
eine sternschuppe platscht
in das wasser und

ich trinke in
himmelweiter lust
aufatmend westwindfrische

wir haben uns heißgeliebt
all die schönheit verbraucht
mein gedankengewölbe
erdrückt mich jetzt
kreisen sterne schon zu lang
die gleiche bahn
ideen haben sich ausgeschuppt
der urknall aus ersten stunden
ist verhallt


woher die zuversicht nehmen
und material für eigene himmel

- wir haben geliebt
uns
vorweggenommen

jetzt bräucht ich all deine wärme
all die energie unserer nackten
umarmungen und -

trinke in himmelweiter lust
westwindfrischen wolkenbruch


Mesjaz


Dietlinde antwortete am 26.04.02 (08:08):



Arno Holz hat heute Geburtstag.


26. 4. 1863 Arno Holz (+ 26.10.1929)
Deutscher Schriftsteller, Begründer des Naturalismus. Der Sohn eines Apothekers löste sich früh von seinen elterlichen Wurzeln und bereiste in literarischen Studien Holland und Frankreich. Oftmals ohne sicheres Einkommen, finanzierte sich Holz u.a. durch die Erfindung von Spielzeug, bevor er als erster Schriftleiter der "Freien Bühne" und als Mitglied des Naturalistvereins einer geregelteren Beschäftigung nachging. Unter dem Eindruck der Werke Zolas verbreitete Holz die Ideen das Naturalismus auf theoretischer und literarischer Ebene in Deutschland und beeinflusste dadurch wesentlich spätere Autoren insbesondere Gerhart Hauptmann (1862-1946). Die sehr zielstrebige Form des Holz'schen Naturalismus wurde kontrovers diskutiert. Viele Kritiker störten sich an seinem steifen Dogmatismus und seiner persönlichen Selbstüberschätzung. Auf der anderen Seite bekamen seine Bücher durch das Einbeziehen der Alltagssprache und das Beschreiben neuer Handlungsorte wie den der Großstadt eine realistischen Bezug.
www.fulgura.de/kmr-ah1.htm
Essay über den Schriftsteller, welches auch einen biografischen Abschnitt beinhaltet.

********************************************

Lied eines Vogels
Vor
meinem
Fenster... singt ein...Vogel
Still
höre ich zu.
Mein....Herz
vergeht!
...........
Erinnerung
klingt
Abendrot...winkt...Dämmerung
schwingt.
.......
Er singt,
was ich als Kind
so
rein...errang...so...voll...bezwang,
so
traut...durchmaß...so...ganz...besaß
und
...dann...
vergessen!

Arno Holz


Zwischen Gräben und grauen Hecken,
den Rockkragen hoch, die Hände in den Taschen,
schlendre ich durch den frühen Märzmorgen.

Falbes Gras, blinkende Lachen und schwarzes Brachland
so weit ich sehn kann.

Dazwischen,
mitten in den weissen Horizont hinein,
wie erstarrt,
eine Weidenreihe.

Ich bleibe stehn.

Nirgends ein Laut. Noch nirgends Leben.
Nur die Luft und die Landschaft.

Und sonnenlos, wie den Himmel, fühl ich mein Herz!

Plötzlich ein Klang.

Ich starre in die Wolken.

Ueber mir,
jubelnd,
durch immer heller werdendes Licht,
die erste Lerche!

*******************************************

Ueber die Welt hin ziehen die Wolken.
Grün durch die Wälder
fliesst ihr Licht.

Herz, vergiss!

In stiller Sonne
webt linderndster Zauber,
Unter wehenden Blumen blüht tausend Trost.

Vergiss! Vergiss!

Aus fernem Grund pfeift, horch, ein Vogel. . . .
Er singt sein Lied.

Das Lied vom Glück!

Vom Glück.

*************************************************
In meinem glühendsten Tulpenbaum
tausend Blüten!

Eine süsse Stimme singt:

„Blaue Flügel aus Perlmutter,
als Hochzeitsbett ein Lilienblatt,
eine ganz kleine Prinzessin!

Keiner kennt mich.

Niemand weiss,
wo mein Haus steht.

Sieben Regenbogenbrücken
funkeln zu ihm durch meinen Garten.

Wenn in deine Seele die Sonne scheint,
besuch mich mal.

Hörst du?“

Starr,
aus Schlangen gewunden,
steht der Baum.

Ein Windstoss rüttelt,
wie tanzende Flammen wehn seine Blüten.


*******************************************

Hinter blühenden Apfelbaumzweigen
steigt der Mond auf.

Zarte Ranken,
blasse Schatten
zackt sein Schimmer in den Kies.

Lautlos fliegt ein Falter.

Ich strecke mich selig ins silberne Gras
und liege da
das Herz im Himmel!

Arno Holz

Ich wünsche allen Freunden und Gästen des Seniorentreffs einen wunderschönen Frühlingstag!

Herzlichst
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


DorisW antwortete am 26.04.02 (13:19):

Eine Internet-Empfehlung für alle Lyrikliebhaber:
"lyrikmail"

Man kann dort die (arbeits)tägliche oder wöchentlich gesammelte Zusendung von Gedichten per email abonnieren.
Ich habe es schon vor Monaten abonniert und außer der täglichen Gedicht-E-mail keine unerwünschte Werbung oder Ähnliches bekommen.
Die Zusammenstellung ist abwechslungsreich: mal was ganz Bekanntes, Klassisches (z.B. den "Osterspaziergang" aus dem "Faust" zu aktuellem Anlaß), aber auch mal ein ganz neues Gedicht von ganz jungen Dichtern.
Außerdem stehen meist ein paar Informationen über den Lebenslauf des Dichters dabei.

(Internet-Tipp: https://www.lyrikmail.de/)


sieghard antwortete am 26.04.02 (14:31):

Wenn ich ein Vöglein wär'
und auch zwei Flügel hätt',
flög ' ich zu dir;
weil's aber nicht kann sein,
bleib ich allhier.

Bin ich gleich weit von dir
und red mit dir.
Wenn ich erwachen tu,
bin ich allein.

Es vergeht keine Stund' in der Nacht,
da nicht mein Herz erwacht,
und an dich denkt,
dass du mir vieltausendmal
dein Herz geschenkt.
.


Dietlinde antwortete am 26.04.02 (15:04):


Liebe DorisW,
vielen Dank für diesen wertvollen Tipp, "lyrikmail" betreffend.
Ich habe mich problemlos anmelden können und bin morgen sehr auf die erste "lyrikmail" gespannt.

Auch Sieghard herzlichen Dank für "Wenn ich ein Vöglein wär"......
Es sind so liebevolle Verse!

Herzlichst
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://www.lyrikmail.de/)


Adolf antwortete am 27.04.02 (02:06):

Holde Gewohnheit des Daseins,
der Begegnung mit den Gezeiten -
einmal zum letzten Mal.
Aug in Aug mit den Freunden -
einmal zum letzten Mal.
Alle Lebenssonnen schwinden
ohne Wiederkehr.
Aber, erschreckte Seele,
die Liebe bleibt.
Fürchte kein Scheiden und Untergehn,
denn in der Liebe
gibt es kein letztes Mal,
Peter Dörfler

Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende wünsch allen adolf


Brita antwortete am 27.04.02 (08:01):

... ja - in der heilen Welt - da wäre es schöner ...


Nein, Liebe kann nicht sterben

Nein, Liebe kann nicht sterben,
Wie heiß ihr Weh auch flammt,
Eh' ging die Welt in Scherben,
Eh' Liebe könnt verderben,
Denn ewig ist ihr Amt.

Kann ich den Schwur bestreiten,
Den ich dem Himmel gab?
Durchs Leben dir zur Seiten
In Glück und Not zu schreiten,
Dein Schutzgeist bis zum Grab!

Leg an mein Haupt das deine,
Was kümmert mich die Welt?
Die Welt voll Neid und Scheine -
Ich weiß ja nur das eine,
Daß ich für dich bestellt.

Isolde Kurz


ianna antwortete am 28.04.02 (00:43):

Gegen Amor

Der kleine Wüterich mag mit den Pfeilen spielen
und tänteln, wie er will; er gewinnet mir nichts ab,
weil gegen seine Pfeil ein Demant Herz ich hab.
Er machet mich nicht wund, ich darf nit Schmerzen fühlen.

Er mag mit tausend List auf meine Freyheit zielen.
Ihm ich, dem blinden Kind, ein Zucker-Zeltlein gab:
er meint', es wär mein Herz. O leicht-geteuschter Knab!
Ich will mein Mütlein noch an deiner Einfalt kühlen.

Schau, wie gefällt dir das! trotz, spräng mir diesen Stein
mit deinem goldnen Pfeil. Der Lorbeer soll mich zieren,
nicht deine Dornen-Ros' und Myrten-Sträuchelein.

Du meinst es sey nur Scherz, ich wolle mich vexiren.
Nein! nein! die süße Ruh soll mir das Liebste seyn,
und mein dapfres Herz soll nichts als Ruh und Freyheit
spüren.

Catharina Regina von Greiffenberg ( 1633 - 1694 )


sieghard antwortete am 28.04.02 (08:34):

Römische Elegien

Amor bleibet ein Schalk, wer ihm vertraut, der ist betrogen.
Heuchelnd kam er zu dir: diesmal nur traue ihm noch!
Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuss der Begier.
Ach den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht.
Mehr als ich ahndete schön, das Glück, es ist mir geworden.
Amor löset, der Schalk, mir den verschlossenen Mund.

[Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832]
.


pilli antwortete am 28.04.02 (15:25):

hi dorisW,
stöbere gerade im netz um deinen internet-tipp mal auszuprobieren. im gästebuch finde ich einen eintrag (62) von "Markus" er bittet lyrikmail bei der variante "zuerst das gedicht und erst am schluss die werbung" zu senden. "Wenn es umgekehrt sein würde, müsste ich mich von lyrikmail leider trennen." Zitat aus dem Gästebuch.

erhälst du die tägliche mail noch und wenn ja, mit oder ohne werbung? zuerst das gedicht und dann die werbung, oder umgekehrt?

vielleicht magst du mir kurz antworten, bin gespannt,

pilli


Heidi antwortete am 28.04.02 (15:33):

PROMETHEUS

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängstigten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und deine?

Wähntest du etwa
Ich solle das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle Knabenmorgen-Blütenträume reiften?

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden; zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!

J. W. von Goethe


Heidi antwortete am 28.04.02 (15:36):

Das Lied der Parzen

Es fürchte die Götter
Das Menschengeschlecht,
Sie halten die Herrschaft
In ewigen Händen
Und können sie brauchen,
Wie's ihnen gefällt.

Der fürchte sie doppelt,
Den je sie erheben!
Auf Klippen und Wolken
Sind Stühle bereitet
Um goldene Tische.

Erhebet ein Zwist sich,
So stürzen die Gäste
Geschmäht und geschändet
In nächtliche Tiefen
Und harren vergebens,
Im Finstern gebunden,
Gerechten Gerichtes.

Sie aber, sie bleiben
In ewigen Festen
An goldenen Tischen.
Sie Schreiten vom Berge
Zu Bergen hinüber;
Aus Schlünden der Tiefe
Dampft ihnen der Atem
Erstickter Titanen,
Gleich Opfergerüchen,
Ein leichts Gewölke.

Es wenden die Herrscher
Ihr segnendes Auge
Von ganzen Geschlechtern
Und meiden, im Enkel
Die ehmals geliebten
Still redenden Züge
Des Ahnherrn zu sehn.

So sangen die Parzen;
Es horcht der Verbannte
In nächtlichen Höhlen,
Der Alte, die Lieder,
Denkt Kinder und Enkel
Und schüttelt das Haupt.

J. W. von Goethe


DorisW antwortete am 28.04.02 (16:27):

@pilli,

ja, ich bekomme sie noch, und das Gedicht kommt ganz am Anfang, danach die Infos über den Dichter und danach erst die Werbung (die man also fröhlich ignorieren kann und die nicht weiter aufdringlich ist).
Und - wie gesagt - ich bin aufgrund meines Lyrikmail-Abonnements auch nie durch andere Werbung belästigt worden.

Wenn ich morgen an meinem Arbeitsplatz bin, sende ich dir gerne eine Ausgabe der Lyrikmail zu.


Dietlinde antwortete am 28.04.02 (20:00):




Passend zum heutigen Wetter für alle Gäste des Seniorentreffs und ganz speziell für Rilke-Freunde!

Aus einem April


Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er leer war,-
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.

Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die glänzenden Knospen der Reiser.


Rainer Maria Rilke

Ich wünsche Euch eine wunderschöne neue Frühlingswoche!
Herzliche Grüße
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


de la antwortete am 29.04.02 (16:56):

Die 14 Zeilen der Mascha Kaléko mit herzlichen Grüßen an alle.


SONETT IN DUR

(Mascha Kaléko)

Ich frage mich in meinen stillen Stunden,
Was war das Leben, eh du kamst
Und mir den Schatten von der Seele nahmst.
Was suchte ich, bevor ich dich gefunden?

Wie war mein Gestern, such ich zu ergründen,
Und sieh, ich weiß es nur noch ungefähr.
So ganz umbrandet mich das Jetzt; dies Meer;
In das die besten meiner Träume münden.

Vergaß es doch, wie süß die Vögel sangen,
Noch eh du warst, der Jahre buntes Kleid.
Mir blieb nur dies von Zeiten, die vergangen:
Die weißen Winter und die Einsamkeit.

Sie warten meiner, läßt du mich allein.
Und niemals wieder wird es Frühling sein.


Dietlinde antwortete am 01.05.02 (09:36):




WIE TRIFFT ES DEIN HERZ

Immer ist von den Veilchen die Rede,
Die der blaue Frühling bringt,
Und nicht von den Gräsern, die der späte
Donauwind in einander verschlingt
Im März.
Kelche, o, blasse, entblühen dem Rasen -
Wie trifft es dein Herz!
Und die ersten mageren Bienen
Suchen nach ihnen und blasen
Ihren Gesang noch ganz still,
Anfang April.

Dann wird es lauter,
Dann strotzt es im Licht.
Grün rauschen die Bäume,
Die Wasser an schwellenden Ufern vorbei.
Hell tönt das Geschrei
Der Sumpfdotterblumen
Im Donaudickicht
Im Mai.

Georg Britting


Aus "Georg Britting, Sämtliche Werke"
Band 4 Seite 143

**********************************************

Ich wünsche allen Freunden und Gästen des Seniorentreffs einen wunderschönen 1. Mai-Tag!

Herzlichst
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


sieghard antwortete am 01.05.02 (09:43):

Der Mai, der Mai, der lustige Mai,
der kommt herangerauschet:
Ich ging in den Busch und
brach mir einen Mai,
der Mai und der war grüne,
der Mai und der war grüne.

Wer sich im Mai erfreuen will,
der muss wohl früh aufwachen
und wer ein
fein Herzliebchen hat,
der kann wohl herzlich lachen,
der kann wohl herzlich lachen.
.


Adolf antwortete am 02.05.02 (22:50):

Lieber Webmaste Karl Friedrich,
ich möchte Dich bitten keine E-Mail mehr zu zu schicke da ich bis zum 18.5.02 verreist bin. Danke, herzlicht Adolf.


admin antwortete am 02.05.02 (22:53):

Deine Adresse ist gelöscht. Bitte, wieder selbst eintragen nach Deiner Rückkehr

mfg admin


Dietlinde antwortete am 03.05.02 (15:37):



WAS IST DIE WELT?

Was ist die Welt? Ein ewiges Gedicht,
Daraus der Geist der Gottheit strahlt und glüht,
Daraus der Wein der Weisheit schäumt und sprüht,
Daraus der Laut der Liebe zu uns spricht

Und jedes Menschen wechselndes Gemüt,
Ein Strahl ists, der aus dieser Sonne bricht,
Ein Vers, der sich an tausend andre flicht,
Der unbemerkt verhallt, verlischt, verblüht.

Und doch auch eine Welt für sich allein,
Voll süß-geheimer, nievernommner Töne,
Begabt mit eigner, unentweihter Schöne,

Und keines Andern Nachhall, Widerschein.
Und wenn du gar zu lesen drin verstündest,
Ein Buch, das du im Leben nicht ergründest.

HUGO VON HOFMANNSTHAL

Liebe Grüße
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


Adolf antwortete am 03.05.02 (22:06):

„Freunde in der Not“ will nicht viel heißen;
hilfreich möchte Mancher sich erweisen.
Aber die neidlos dein Glück dir gönnen,
die darfst du wahrlich „Freunde“ nennen.
Paul Heyse
Ich verabschiede mich für die nächsten 14 Tage,
ich fahre in den Urlaub nach Ischia.
Bis dahin allen alles Gute, Adolf


Karl antwortete am 03.05.02 (22:10):

Wir gönnen Dir Dein Glück ;-)))


Dietlinde antwortete am 04.05.02 (09:52):



MEIN GARTEN

Schön ist mein Garten mit den goldnen Bäumen,
Den Blättern, die mit Silbersäuseln zittern,
Dem Diamantentau, den Wappengittern,
Dem Klang des Gong, bei dem die Löwen träumen,
Die ehernen, und den Topasmäandern
Und der Volière, wo die Reiher blinken,
Die niemals aus dem Silberbrunnen trinken . . .
So schön,: ich sehn mich kaum nach jenem andern,
Dem andern Garten, wo ich früher war.
Ich weiß nicht wo . . . Ich rieche nur den Tau,
Den Tau, der früh an meinen Haaren hing,
Den Duft der Erde weiß und feucht und lau,
Wenn ich die weichen Beeren suchen ging . . .
In jenem Garten, wo ich früher war . . .

HUGO VON HOFMANNSTHAL


Ich wünsche allen Freunden und Gästen des Seniorentreffs ein angenehmes Frühlingswochenende!
Maiglöckchen und Fliederduftgrüße!
Herzlichst
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


Brita antwortete am 04.05.02 (12:02):

Rosen

Wenn erst die Rosen verrinnen
aus Vasen oder vom Strauch
und ihr Entblättern beginnen,
fallen die Tränen auch.

Traum von der Stunde Dauer,
Wechsel und Wiederbeginn,
Traum - vor der Tiefe der Trauer:
blättern die Rosen hin.

Wahn von der Stunden Steigen
aller ins Auferstehn,
Wahn - vor dem Fallen, dem Schweigen:
wenn die Rosen vergehn.

Gottfried Benn


Heidi antwortete am 05.05.02 (05:35):

Immer den gleichen Pfad


Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad:
am Garten entlang, wo die Rosen grad
Einem sich vorbereiten;
aber ich fühle: noch lang, noch lang
ist das alles nicht mein Empfang,
und ich muss ohne Dank und Klang
ihnen vorüberschreiten.

Ich bin nur der, der den Zug beginnt,
dem die Gaben nicht galten;
bis die kommen, die seliger sind,
lichte, stille Gestalten, -
werden sich alle Rosen im Wind
wie rote Fahnen entfalten.


Rainer Maria Rilke, 30.4.1898 , Florenz - Torre al Gallo


Brita antwortete am 05.05.02 (11:11):

Von den heimlichen Rosen

Oh, wer um alle Rosen wüßte,
die rings in stillen Gärten stehn -
oh, wer um alle wüßte, müßte
wie im Rausch durchs Leben gehn.

Du brichst hinein mit rauhen Sinnen,
als wie ein Wind in einen Wald -
und wie ein Duft wehst du von hinnen,
dir selbst verwandelte Gestalt.

Oh, wer um alle Rosen wüßte,
die rings in stillen Gärten stehn -
oh, wer um alle wüßte, müßte
wie im Rausch durchs Leben gehn.

Christian Morgenstern


hl antwortete am 05.05.02 (17:27):

Blumen

Einst liebte ich
die roten Rosen,
duftend und schön geformt.
Doch mit den Jahren
verloren sie ihren Duft.

Ich liebte den Mohn,
die leuchtende Traumblume,
zart und verführerisch.
Obwohl die Traumbilder
schon bald verblassten.

Ich liebte auch Fresien
die mir mit ihrem starken Duft
und ihren bunten Farben
meine Räume lebendig machten.
Sie welkten zu schnell.

Heute liebe ich
den Löwenzahn,
der die Farbe der Sonne trägt
und widerstandsfähig
im grauesten Asphalt blüht.

Ich liebe die Gänseblümchen,
die vom ersten Frühlingssonnenstrahl
bis zur letzten Herbstsonne
neue Blüten treiben.
Immer wieder Neuanfang.

Und wenn ich in der dunkelsten Ecke
eines Gartens
die kleinen blauen Blüten
eines Veilchens sehe
möchte ich es ausgraben
und zu mir nach Hause tragen.

Ja, am meisten
liebe ich diese kleinen
blauen Veilchen.
Ihr schmerzhaft süßer Duft
weckt die Sehnsucht in mir.

Nach was?

hl


sieghard antwortete am 05.05.02 (21:06):

Eduard Mörike (1804-1875)

Der Feuerreiter

Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Nicht geheuer muß es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welche Gewühle
Bei der Brücke, nach dem Feld!
Horch! das Feuerglöcklein gellt:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle!

Schaut! da sprengt er wütend schier
durch das Tor, der Feuerreiter,
auf dem rippendürren Tier,
Als auf einer Feuerleiter!
Querfeldein! Durch Qualm und Schwüle
Rennt er schon und ist am Ort!
Drüben schallt es fort und fort:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle!

Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen,
mit des heil'gen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen -
Weh! dir grinst vom Dachgestühle
dort der Feind im Höllenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Rast er in der Mühle!

Keine Stunde hielt es an,
Bis die Mühle borst in Trümmer;
Doch den kecken Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer.
Volk und Wagen im Gewühle
Kehren heim von all dem Graus;
Auch das Glöcklein klinget aus:
Hinterm Berg
Hinterm Berg
Brennt's! -

Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe samt der Mützen
Aufrecht an der Kellerwand
Auf der beinern Mähre sitzen:
Feuerreiter, wie so kühle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da fällt's in Asche ab.
Ruhe wohl,
Ruhe wohl
Drunten in der Mühle!
.


Dietlinde antwortete am 06.05.02 (16:17):


Heute hat Christian Morgenstern Geburtstag.


6. 5. 1871 Christian Morgenstern (+ 31.3.1914)
Deutscher Schriftsteller. Morgenstern war mit seinen Wortspielen ein Begründer der visuellen und konkreten Poesie. Mit den Sammlungen "Galgenlieder" (1905), "Palmström" (1910) Und "Der Gingganz" (1919) hatte er seine grössten Erfolge.
www.dhm.de/lemo/html/biografien/MorgensternChristian/
Morgenstern-Biografie beim Deutschen Historischen Museum.
gutenberg.aol.de/autoren/morgenst.htm
Homepage des Gutenberg Projektes zu Morgenstern mit vielen seiner Werke.

******************************************************************************************


Ich liebe dich, du Seele, die da irrt
im Tal des Lebens nach dem rechten Glücke,
ich liebe dich, die manch ein Wahn verwirrt,
der manch ein Traum zerbrach in Staub und Stücke.

Ich liebe deine armen wunden Schwingen,
die ungestoßen in mir möchten wohnen;
ich möchte dich mit Güte ganz durchdringen,
ich möchte dich in allen Tiefen schonen.

Christian Morgenstern



HIER IM WALD mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet,
in das Flüstern, in das Rauschen
leise liebe Worte mischend,
öfter aber noch dem Schweigen
lange Küsse zugesellend,
unerschöpflich - unersättlich,
hingegebne, hingenommne,
ineinander aufgelöste,
zeitvergeßne, weltvergeßne.
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet...

Morgenstern


Stilles Reifen

Alles fügt sich und erfüllt sich,
mußt es nur erwarten können
und dem Werden deines Glückes
Jahr und Felder reichlich gönnen.

Bis du eines Tages jenen
reifen Duft der Körner spürest
und dich aufmachst und die Ernte
in die tiefen Speicher führest. Chr. M.

Und noch etwas Lustiges:

Die zwei Wurzeln

Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.

Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.

Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.

Die eine sagt knig, die andere sagt knag.
Das ist genug für einen Tag.


(Christian Morgenstern)

Liebe Grüße
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


sieghard antwortete am 06.05.02 (22:53):

Der Mai

Im Galarock des heiteren Verschwenders,
ein Blumenzepter in der schmalen Hand,
fährt nun der Mai, der Mozart des Kalenders,
aus seiner Kutsche grüßend, über Land.

Er überblüht sich, er braucht nur zu winken.
Er winkt! Und rollt durch einen Farbenhain.
Blaumeisen flattern ihm voraus und Finken.
Und Pfauenaugen flügeln hinterdrein.

Die Apfelbäume hinterm Zaun erröten.
Die Birken machen einen grünen Knicks.
Die Drosseln spielen, auf ganz kleinen Flöten,
das Scherzo aus der Symphonie des Glücks.

Die Kutsche rollt durch atmende Pastelle.
Wir ziehn den Hut. Die Kutsche rollt vorbei.
Die Zeit versinkt in einer Fliederwelle.
O, gäb es doch ein Jahr aus lauter Mai!

Melancholie und Freude sind wohl Schwestern.
Und aus den Zweigen fällt verblühter Schnee.
Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute Gestern.
Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai tut weh.

Er nickt uns zu und ruft: "Ich komm ja wieder!"
Aus Himmelblau wird langsam Abendgold.
Er grüßt die Hügel, und er winkt dem Flieder.
Er lächelt. Lächelt. Und die Kutsche rollt.

[Erich Kästner 1904 -1974]
.


Richard antwortete am 08.05.02 (16:25):

Bleibt auch im Mai gesund!
Richard

Die Eisheiligen
oder Abrechnung mit dem Mai

Ich kaue wütend an der Feder.
Die »Morgenpost« will ein Gedicht
den Mai betreffend, den schon jeder
besungen hat. Weiß man denn nicht,
dass dieses Thema totgeritten?
Dazu gehört wahrhaftig Mut,
um so etwas heut noch zu bitten,
was in der Mottenkiste ruht.
Da ist doch das Gedicht von Geibel
als längst geflügeltes Zitat.
Nun will man noch eins, hol der Deibel
den, der mich aufgefordert hat.

Na schön, der Mai ist nun gekommen,
und die Botanik schlägt auch aus,
doch keinem wird es krumm genommen,
bleibt mit dem Hintern er zu Haus;
und keineswegs nur stets mit Sorgen,
wie Geibel einfach unterstellt.
Der Eine fühlt sich da geborgen,
die Wolken hoch am Himmelszelt
missfallen ihm, er lässt sie wandern,
und nur aus diesem Grunde geht
er nicht ins Grüne mit den Andern.

Er weiß genau, so ein Poet
schreibt seine lyrischen Ergüsse
gedankenlos, und deshalb zieht
der Mann daraus auch seine Schlüsse.
Ihm ist bekannt, ein Dichter kniet
sich in sein Werk, ist nicht zu halten,
und die erhitzte Feder kann
ganz ungehemmt sich dann entfalten,
und ohne Bremse schreibt er dann:

Von Siberwölkchen, Nachtigallen,
von linden Lüften, die erwacht.
Das Posthorn lässt er auch erschallen
in dunkelblauer Sternennacht.
Der Mond darf niemals dabei fehlen
und's Klopfen in der Menschenbrust.
Das alles pflegt er aufzuzählen,
das schreibt er hin mit wahrer Lust.
Beschmiert unzählig viele Bögen.
An denen aber ist dem Mann,
von dem ich spreche, nichts gelegen,
er sieht den Mai nur kritisch an:

Man stellt den Mai ja für gewöhnlich
als Putto dar, doch man vergisst,
das Bild ist leider gar nicht ähnlich.
Auch dieser kleine Engel ist
nach seinem Umgang einzuschätzen,
und ein Quintett der schlimmsten Art,
man sieht es leider mit Entsetzen,
logiert bei ihm schon Jahr um Jahr.
Es kommt auch regelmäßig wieder,
was keiner an dem Mai verstand.
Sie geben äußerlich sich bieder,
doch ihr Betragen ist mechant.

Vier Männer kommen da alljährlich.
Man sagt sie sollen heilig sein.
Dies zu beweisen geht wohl schwerlich.
Und eine fünfte obendrein,
die wollen wir bei Seite lassen
vorerst noch einen Augenblick
und mit den Kerlen uns befassen.
Wir kommen noch auf sie zurück.

Die Herren mit den frommen Namen,
die sich beim Mai da einquartiert
und immer regelmäßig kamen,
wer hat die bloß kanonisiert?
Dreist haben sie sich eingeschlichen
in den Kalender, heißen: Sankt.
Doch trifft der Mensch die Fürchterlichen ---
was ist die Folge? Er erkrankt.

Dann muss er schwitzen, inhalieren.
Im wunderschönen Monat Mai,
wenn alle Amseln jubilieren,
liegt er mit neununddreißig drei.
Beim Apotheker wird die Klinke
nicht kalt, der Laden prosperiert,
und auch der Arzt verdient viel Pinke.
Die Beiden hat der Mai saniert.

Der erste heißt Mamertus. Dieser,
den man trotz allem heilig nennt,
ist ein ganz ekelhafter mieser
Geselle, völlig indolent.
Er schleicht sich so heran im Stillen!
Schon hat er uns ein Bein gestellt!
Er steht im Bunde mit Bazillen,
die Grippe ist sein Arbeitsfeld.

Pankraz lässt die Mandeln schwellen,
zu Pflaumen wachsen sie sich aus.
Oft rät der Arzt zum generellen
Entfernen, und er reißt sie raus.
Das war der zweite der Banditen.
Servatius heißt die Nummer drei,
der lässt den Schnupfen heftig wüten.
Das alles toleriert der Mai.

Und Bonifatius, der vierte,
verursacht schlimmste Ärgernis,
denn dieser Schuft nun oktroyierte
uns die »angina pectoris«.
Den Umgang müssen wir bezahlen,
den du gewählt hast lieber Mai.
Du lässt die Sonne fälschlich strahlen.
Bums, ist es schon damit vorbei.

Schon liegt man wieder auf der Nase,
was deine Niedertracht beweist.
denn nun kommt die entfernte Base
der vier Genannten nachgereist.
Sophie, die man auch als die kalte
bezeichnet, dieses falsche Aas,
die buckeliche böse Alte,
bringt Rheuma und den Ischias.

Es mögen Andre dich besingen.
Ich hab von dir die Nase voll.
Nichts kann mich künftig dazu bringen,
dass ich den Mai bedichten soll.

Robert T. Odeman


Richard antwortete am 08.05.02 (16:25):

Bleibt auch im Mai gesund!
Richard

Die Eisheiligen
oder Abrechnung mit dem Mai

Ich kaue wütend an der Feder.
Die »Morgenpost« will ein Gedicht
den Mai betreffend, den schon jeder
besungen hat. Weiß man denn nicht,
dass dieses Thema totgeritten?
Dazu gehört wahrhaftig Mut,
um so etwas heut noch zu bitten,
was in der Mottenkiste ruht.
Da ist doch das Gedicht von Geibel
als längst geflügeltes Zitat.
Nun will man noch eins, hol der Deibel
den, der mich aufgefordert hat.

Na schön, der Mai ist nun gekommen,
und die Botanik schlägt auch aus,
doch keinem wird es krumm genommen,
bleibt mit dem Hintern er zu Haus;
und keineswegs nur stets mit Sorgen,
wie Geibel einfach unterstellt.
Der Eine fühlt sich da geborgen,
die Wolken hoch am Himmelszelt
missfallen ihm, er lässt sie wandern,
und nur aus diesem Grunde geht
er nicht ins Grüne mit den Andern.

Er weiß genau, so ein Poet
schreibt seine lyrischen Ergüsse
gedankenlos, und deshalb zieht
der Mann daraus auch seine Schlüsse.
Ihm ist bekannt, ein Dichter kniet
sich in sein Werk, ist nicht zu halten,
und die erhitzte Feder kann
ganz ungehemmt sich dann entfalten,
und ohne Bremse schreibt er dann:

Von Siberwölkchen, Nachtigallen,
von linden Lüften, die erwacht.
Das Posthorn lässt er auch erschallen
in dunkelblauer Sternennacht.
Der Mond darf niemals dabei fehlen
und's Klopfen in der Menschenbrust.
Das alles pflegt er aufzuzählen,
das schreibt er hin mit wahrer Lust.
Beschmiert unzählig viele Bögen.
An denen aber ist dem Mann,
von dem ich spreche, nichts gelegen,
er sieht den Mai nur kritisch an:

Man stellt den Mai ja für gewöhnlich
als Putto dar, doch man vergisst,
das Bild ist leider gar nicht ähnlich.
Auch dieser kleine Engel ist
nach seinem Umgang einzuschätzen,
und ein Quintett der schlimmsten Art,
man sieht es leider mit Entsetzen,
logiert bei ihm schon Jahr um Jahr.
Es kommt auch regelmäßig wieder,
was keiner an dem Mai verstand.
Sie geben äußerlich sich bieder,
doch ihr Betragen ist mechant.

Vier Männer kommen da alljährlich.
Man sagt sie sollen heilig sein.
Dies zu beweisen geht wohl schwerlich.
Und eine fünfte obendrein,
die wollen wir bei Seite lassen
vorerst noch einen Augenblick
und mit den Kerlen uns befassen.
Wir kommen noch auf sie zurück.

Die Herren mit den frommen Namen,
die sich beim Mai da einquartiert
und immer regelmäßig kamen,
wer hat die bloß kanonisiert?
Dreist haben sie sich eingeschlichen
in den Kalender, heißen: Sankt.
Doch trifft der Mensch die Fürchterlichen ---
was ist die Folge? Er erkrankt.

Dann muss er schwitzen, inhalieren.
Im wunderschönen Monat Mai,
wenn alle Amseln jubilieren,
liegt er mit neununddreißig drei.
Beim Apotheker wird die Klinke
nicht kalt, der Laden prosperiert,
und auch der Arzt verdient viel Pinke.
Die Beiden hat der Mai saniert.

Der erste heißt Mamertus. Dieser,
den man trotz allem heilig nennt,
ist ein ganz ekelhafter mieser
Geselle, völlig indolent.
Er schleicht sich so heran im Stillen!
Schon hat er uns ein Bein gestellt!
Er steht im Bunde mit Bazillen,
die Grippe ist sein Arbeitsfeld.

Pankraz lässt die Mandeln schwellen,
zu Pflaumen wachsen sie sich aus.
Oft rät der Arzt zum generellen
Entfernen, und er reißt sie raus.
Das war der zweite der Banditen.
Servatius heißt die Nummer drei,
der lässt den Schnupfen heftig wüten.
Das alles toleriert der Mai.

Und Bonifatius, der vierte,
verursacht schlimmste Ärgernis,
denn dieser Schuft nun oktroyierte
uns die »angina pectoris«.
Den Umgang müssen wir bezahlen,
den du gewählt hast lieber Mai.
Du lässt die Sonne fälschlich strahlen.
Bums, ist es schon damit vorbei.

Schon liegt man wieder auf der Nase,
was deine Niedertracht beweist.
denn nun kommt die entfernte Base
der vier Genannten nachgereist.
Sophie, die man auch als die kalte
bezeichnet, dieses falsche Aas,
die buckeliche böse Alte,
bringt Rheuma und den Ischias.

Es mögen Andre dich besingen.
Ich hab von dir die Nase voll.
Nichts kann mich künftig dazu bringen,
dass ich den Mai bedichten soll.

Robert T. Odeman


Heidi antwortete am 08.05.02 (18:05):


Aber es bleibt auf dem alten Fleck

"Wie konnt' ich das tun, wie konnt' ich das sagen",-
So hört man sich auf, sich anzuklagen,
Bei jeder Dummheit, bei jedem Verlieren
Heißt es: "Das soll dir nicht wieder passieren".
Irrtum! Heut traf es bloß Kunzen und Hinzen,
Morgen trifft es schon ganze Provinzen,
Am dritten Tag ganze Konfessionen,
Oder die "Rassen, die zwischen uns wohnen",
Immer kriegt man einen Schreck,
Aber es bleibt auf dem alten Fleck.

THEODOR FONTANE


Heidi antwortete am 08.05.02 (18:20):

für die "vergessenen" Toten


Moderne Legende

Als der Abend übers Schlachtfeld wehte
Waren die Feinde geschlagen.
Klingend die Telegrafendrähte
Haben die Kunde hinausgetragen.


Da schwoll am einen Ende der Welt
Ein Heulen, das am Himmelsgewölbe zerschellt'
Ein Schrei, der aus rasenden Mündern quoll
Und wahnsinnstrunken zum Himmel schwoll.
Tausend Lippen wurden vom Fluchen blaß
Tausend Hände ballten sich wild im Haß.


Und am andern Ende der Welt
Ein Jauchzen am Himmelsgewölbe zerschellt'
Ein Jubeln, ein Toben, ein Rasen der Lust
Ein freies Aufatmen und Recken der Brust.
Tausend Lippen wühlten im alten Gebet
Tausend Hände falteten fromm sich und stet.
In der Nacht noch spät
Sangen die Telegrafendräht'
Von den Toten, die auf dem Schlachtfeld geblieben - -
Siehe, da ward es still bei Freunden und Feinden.


Nur die Mütter weinten
Hüben - und drüben.

BERT BRECHT


ianna antwortete am 11.05.02 (01:53):

Entbietung

Über den wogengemusterten Grund des Meeres,
über den weiten, sonnenverbrannten Grat der Welt
heiße ich die Winde dich suchen.
Ich heiße sie dir zurufen
spät und früh
einen Namen, den du einst liebtest;
ich heiße sie dir bringen
Träume und wundersame Einbildungen und Schlaf.

Ella Young


Dietlinde antwortete am 11.05.02 (12:14):



"Rose Ausländer" hat heute Geburtstag.

11. 5. 1907 Rose Ausländer (+ 3.1.1988)
Geborene Rosalie Scherzer, ukrainisch-deutsche Lyrikerin. Die in Czernowitz geborene Tochter jüdischer Eltern wanderte 1921 nach New York aus, wo sie ihre ersten Gedichte publizierte. Hier entstand der kühle, sachliche Lyrikzyklus "New York"
(1926/27). 1931 kehrte sie nach Czernowitz zurück und veröffentlichte 1939 den Gedichtband "Der Regenbogen", der von den Nationalsozialisten vernichtet wurde. 1941 wurde Rose Ausländer mit ihrer Familie ins Ghetto verschleppt, wo sie den Dichter Paul Celan kennenlernte. Das Schreiben wurde im Ghetto ihre Therapie. Die Erfahrung des Faschismus, die Beziehung zu ihrer Mutter und die häufigen Ortswechsel prägten Rose Ausländers lyrisches Werk. Melodiöse Schwermut und rhythmische Präzision wurden ihr ästhetisches Merkmal.
www.rose-auslaender-stiftung.de/
Homepage der Kölner Rose Ausländer-Stiftung.
members.aol.com/irenastasch1/ausl.htm
Online-Fassungen von ausgewählten Gedichten der Lyrikerin.
***********************************************************************


Aber ich weiß

War ich ein Falter
vor meiner Geburt
ein Baum oder
ein Stern.

Ich habe es vergessen.

Aber ich weiß
dass ich war
und sein werde

Augenblicke
aus Ewigkeit.

***************************

Hoffnung II

Wer hofft
ist jung

Wer könnte atmen
ohne Hoffnung
daß auch in Zukunft
Rosen sich öffnen

ein Liebeswort
die Angst überlebt

*******************************

In dir

Über dir
Sonne Mond und Sterne

Hinter ihnen
unendliche Welten

Hinter dem Himmel
unendliche Himmel

Über dir
was deine Augen sehen

In dir
alles Sichtbare
und
das unendlich Unsichtbare
*********************************


Das Schönste (1984)

Ich flüchte
in dein Zauberzelt
Liebe

im atmenden Wald
wo Grasspitzen
sich verneigen

weil
es nichts Schöneres gibt

***********************************

Ich wünsche allen Freunden und Gästen des Seniorentreffs ein zauberhaftes Frühlingswochenende!
Herzlichst
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


sieghard antwortete am 11.05.02 (12:26):

Stammeln

Stammelst du wieder
Verzückung
Maimärchen an deiner
Wiege gesungen

In deiner Wiege
gewiegt
die purpurne Hoffnung

Stammelst du
deine gebrochenen Flügel
den Rosenverzicht

Rose Ausländer

11. Mai 1901 - 3. Jan 1988
.


sieghard antwortete am 11.05.02 (17:18):

Annette von Droste-Hülshoff1797 - 1848

An meine Mutter

So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht,
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
Die Gabe, die für andre immer wacht,
Hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.

Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten rollten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.

So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
vom einfach ungeschmückten Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin;
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.
.


Richard antwortete am 12.05.02 (13:59):

Zum Nachdenken!!! Und schönen Muttertag!!!
Richard

Muttertag

Am Telefon war eine Dame,
Frau von Hagen.
Sie möchte gerne für die Zeitung:
»Frau und Gegenwart« ---
es läge ihr so viel daran,
mich etwas zu fragen.
Sie schätze schon seit langem,
sprach sie, meine Art.

Der sordinierte Alt
erklärte mir sehr schmalzig,
es wär ein schönes Thema,
und mein Urteil sei
ihr äußerst wertvoll,
das betonte sie, und falls ich
ihr diesen Dienst erwiese,
käm sie mal vorbei.

Ich werde immer wieder scheu
bei diesen Dingen.
Es kommt ja nichts heraus
bei einem Interview,
weil sie die ungeheuerlichsten
Dinge bringen.
Vor allem hören
Journalisten niemals zu.

Was man tatsächlich sagt,
das lassen sie verschwinden,
beziehungsweise ist immer
ganz entstellt.
Den Kern des Themas wird
man nur verstümmelt finden.
Gott, Gnade dem,
der ihnen in die Finger fällt.

Sie kam und tat, als
wäre sie zu Hause,
schritt durch die Räume,
schwärmte ohne Unterlass.
Fand jedes Möbelstück
erlesen, ohne Pause
geriet sie in Entzücken:
»Nein, wie hübsch ist das!«

Sie fragte in der Bibliothek:
»Die ganzen Bände,
die haben sie gelesen?«
Da war es mir Leid.
Das Maß war voll,
und meine Langmut nun zu Ende,
und ich erklärte ihr nurmehr:
Ich wär soweit.

Ich fragte trotzdem,
ob sie einen Sherry möge.
Sie wollte lieber
einen Armagnac.
Als sie den dritten intus hatte,
ward sie rege
und fragte mich:
»Wie stehen sie zum Muttertag?«

Was ich darüber dachte,
wäre für sie wichtig.
Vor allem meine Meinung
maßgeblich für sie.
Ich sagte ihr:
Der Tag ist für mich null und nichtig.
Verehrte Frau,
das ist ein Trick der Industrie.

An diesem Tag
erinnern sich sehr viele plötzlich:
Verflixt nochmal,
da ist ja noch mein Mütterlein.
das hätte ich doch glatt vergessen,
wie entsetzlich.
Du liebe Zeit,
zum Glück fiel dies mir grad noch ein.

Schon kauft man Blumen,
Pralinés, verrückte Sachen,
die oft das Mütterlein
gar nicht gebrauchen kann.
Man will nur das Versäumte
ungeschehen machen,
und strengt an diesem Tag
sich ganz gewaltig an.

Da heißt es dann,
man hat ja soviel um die Ohren.
Dreihundertfünfundsechzig Tage
lang im Jahr.
Doch dieser eine
ist für Mutter auserkoren.
Ein herrlicher Gedanke,
einfach wunderbar.

Da kann man seine Schuldigkeit,
die ganzen Pflichten
in einem Abwasch,
und so mühelos pauschal,
im Bausch und Bogen
reibungslos entrichten.
Der Einfall mit dem Muttertag
ist genial.

Danach lässt man
dreihundertvierundsechzig Tage
die alte Dame ruhn,
man tat ja seine Schuldigkeit.
Dies ist die Antwort,
beste Frau, auf ihre Frage.
Wenn Sie das drucken wollen,
bitte, jeder Zeit.

Dies Armutszeugnis
werde ich nicht Unterstützen.
Solch eine Ehrung
ist ein trauriger Beweis.
Ich fürchte, Ihnen wird
mein Standpunkt wenig nützen.
Adieu -- und grüßen Sie
den werten Leserkreis.

Robert T. Odeman


Hans-Jürgen antwortete am 12.05.02 (18:24):

Ännchen von Tharau

Annchen von Tharau ist, die mir gefällt,
Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.
Annchen von Tharau hat wieder ihr Herz
Auf mich gerichtet in Lieb' und in Schmerz.
Annchen von Tharau, mein Reichthum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Käm' alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,
Wir sind gesinnet bei einander zu stahn.
Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung seyn.
Annchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn,
Mein Leben schließ' ich um deines herum.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
Je mehr ihn Hagel und Regen anficht;
So wird die Lieb' in uns mächtig und groß
Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Noth.
Annchen von Tharau, mein Reichthum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
Lebtest, da wo man die Sonne kaum kennt;
Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer.
Was ich gebiete, wird von dir gethan,
Was ich verbiete, das läßt du mir stahn.

Was hat die Liebe doch für ein Bestand,
Wo nicht Ein Herz ist, Ein Mund, Eine Hand?
Wo man sich peiniget, zanket und schlägt,
Und gleich den Hunden und Katzen beträgt?
Annchen von Tharau, das woll'n wir nicht thun;
Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.

Was ich begehre, ist lieb dir und gut;
Ich laß den Rock dir, du läßt mir den Hut!
Dies ist uns, Annchen, die süßeste Ruh,
Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du.
Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,
Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Das samländische Original von Johann Simon Dach, 1605-1659, wurde übertragen von Johann Gottfried Herder, 1744-1803.

(Internet-Tipp: https://ingeb.org/Lieder/Annchenv.html )


Dietlinde antwortete am 16.05.02 (12:33):



Friedrich Rückert hat heute Geburtstag!


16. 5. 1788 Friedrich Rückert (+ 31.1.1866)
Deutscher Dichter und Orientalist. Der Philologe habilitierte sich 1811 in Heidelberg und war anschließend Privatdozent in Jena. Während einer Tätigkeit als Redakteur entstanden ab 1812 erste Gedichte, 1814 erschienen Rückerts "Geharnischte Sonette" über die Befreiungskriege. Ab 1818 erwachte Rückerts Interesse für orientalische Sprache und Literatur. Er übertrug zahlreiche persische und arabische Gedichte ins Deutsche und machte die orientalische Lyrik in Deutschland populär. 1826 wurde er als Professor für Orientalistik an die Universität Erlangen berufen. Sein sechsbändiges Hauptwerk "Die Weisheit der Brahmanen" (1836-1839) ist eine Zusammenfassung östlicher Lebensweisheiten, und seine 1872 posthum veröffentlichten "Kindertotenlieder" wurden von Gustav Mahler vertont.
www.mbeck.de/rueckert/rueckbio.html
Leben und Werk Friedrich Rückerts mit Auszügen aus seinen Gedichten.
www.gutenberg2000.de/autoren/rueckert.htm
Kurzbiografie Friedrich Rückerts mit Online-Fassung der "Kindertotenlieder".

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Du bist die Ruh,
Der Friede mild,
Die Sehnsucht du,
Und was sie stillt.

Ich weihe dir
Voll Lust und Schmerz
Zur Wohnung hier
Mein Aug und Herz.

Kehr ein bei mir,
Und schließe du
Still hinter dir
Die Pforten zu.

Treib andern Schmerz
Aus dieser Brust.
Voll sei dies Herz
Von deiner Lust.

Dies Augenzelt
Von deinem Glanz
Allein erhellt,
O füll es ganz.

Friedrich Rückert


Aus den östlichen Rosen

Friedrich Rückert

Ich sende einen Gruß wie Duft der Rosen,
Ich send' ihn an ein Rosenangesicht.
Ich sende einen Gruß wie Frühlingskosen,
Ich send' ihn an ein Aug voll
Frühlingslicht.


Aus Schmerzensstürmen, die mein Herz durchtosen,
Send' ich den Hauch, dich unsanft rühr' er nicht!
Wenn du gedenkest an den Freudelosen,
So wird der Himmel meiner Nächte licht.

********************************************
Jasminenstrauch

Friedrich Rückert

Grün ist der Jasminenstrauch
Abends eingeschlafen,
Als ihn mit des Morgens Hauch
Sonnenlichter trafen,
Ist er schneeweiß aufgewacht:
"Wie geschah mir in der Nacht?"
Seht, so geht es Bäumen,
Die im Frühling träumen.


Für alle Gäste und Freunde des Seniorentreffs kribbelnde Maikäfergrüße!
Herzlichst
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


sieghard antwortete am 17.05.02 (22:44):

So
Auf der rechten Seite
so liegen daß
die Knie das Kinn
fast berühren. Sich den
Rücken freihalten für einen
nicht zu weichen
schmiegsamen Bauch.
Beine auch die mit meinen
scharf in die Kurve gehn
zwanzigfach Zeh'n
ganz unten. Ums Herz
in der linken Brust eine
Hand die den Schlag spürt
und bleibt im Nacken
ein schlafender Mund Speichelfäden.
Morgens aufwachen.
Immer noch dasein.
So.

Ulla Hahn
.


Rosmarie Vancura antwortete am 17.05.02 (23:26):

Vor dem Laden
_____________

Sah ihn grad' am letzten Montag
hockte vor dem Edelladen
rotgedunsen das Gesicht,
weisses Haar,
verfilzte Strähnen fielen
auf die Schultern nieder.

Hatte selbst ein Schild geschrieben:
Langzeitarbeitslos, geschieden.
Vor ihm stand die leere Dose.

Saß ergeben da
und hoffte,
dass sein Anblick
Mitleid bringt,

Wusste nicht, dass
teure Kleider
keine Mark mehr übrig lassen.

Gerhard Stübner. Dr.med. * 1943
Arzt in Hannover
Aus " Lyrik heute"Edition L ISBN 3-934960-13-8


ianna antwortete am 18.05.02 (00:46):

Zehnzeiler

Ich fühlte tief im Herzen schon seit Jahren
Zu Euch der Liebe mächtiges Begehren,
( so schicklich doch und nur mit allen Ehren )
Wie nie ein Herz es durfte so erfahren.
Doch jetzt ist solcher Trost mir wiederfahren:
Obwohl ich meiner Neigung sicher bin,
Zeigt Eure klar mir Euren Sinn,
Daß das Gefühl, worauf mein Herze schwört,
Mich drängen will zu solchem Zweifel hin:
Ob diese Liebe Euch, ob mir gehört.

Marguerite de Navarre 1492 - 1549


de la antwortete am 18.05.02 (09:39):

grüsse euch von oog und wünsche allen lesern des forums sonnige feiertage.


IN DER FREMDE


Kalte Luft liegt in den Gassen
Menschen eilen hin und her

Schon von weitem...
wieder sah ich ihn
wie vorgestern - gestern ...

Hockte da
auf verschliß’nem Koffer
Rücken an die Wand gelehnt
Hockte da
mit fremdem Gesicht
Balalaika auf dem Knie
Hockte da
mit stumpfen Augen
abgeschlagenem Mund

Mitleid - im Vorübergehen
fiel als Groschen in den Kasten
griff zum Instrument dann und ...

jetzt erklangen fremde Weisen
unendliche Folgen schwerer Einsamkeiten
wie bitterer Honig aus fernen Weiten

(Manfred Tasler)

Aus: „Anstösse“ EDITION L, ISBN 3-934960-04-9


sieghard antwortete am 18.05.02 (17:24):

Bildlich gesprochen

Wär ich ein Baum ich wüchse
dir in die hohle Hand
und wärst du das Meer
ich baute dir weiße Burgen aus Sand.

Wärst du eine Blume ich grübe
dich mit allen Wurzeln aus
wär ich ein Feuer ich legte
in sanfte Asche dein Haus.

Wär ich eine Nixe ich saugte
dich auf den Grund hinab
und wärst du ein Stern ich knallte
dich vom Himmel ab.

[Ulla Hahn]
.


RFosmarie Vancura antwortete am 19.05.02 (01:22):

Konstantin Wecker

Liebeslieder

Du liebst und die Naturgewalten
werfen dir die Zügel hin.
Die Zeit wird für dich angehalten
und alles blüht in neuem Eigensinn.

Die Welt beschliesst sich wieder neu zu träumen
und jeder Monat reimt sich nun auf Mai.
Es fallen Federbetten aus den Nadelbäumen
und aus dem Einerlei erwachen zwei.

Die Winde wiehern vor Vergnügen
weil ihnen du die Peitsche gibst.
Trink nur die Welt in vollen Zügen:
Sie muss einst enden, doch du liebst.


Adolf antwortete am 20.05.02 (02:46):

Liebe Freunde/innen dieser Runde, wieder zurück aus dem sonnigem Süden, möchte ich allen noch ein frohes Pfingstfest wünschen.

Willst du klug durchs Leben wandern,
prüfe andre, doch auch dich!
Jeder täuscht gar mal den Andern,
doch am liebsten jeder sich.

Friedrich Bodenstedt

Herzliche Grüße an die Rund Adolf


Dietlinde antwortete am 20.05.02 (08:10):






PFINGSTEN
von Heinrich Seidel


Es sandte der Frühling, der frohe Geselle,
Viel lustige Boten, sein Kommen zu künden:
Die schimmernden Glöckchen im weissen Gewand,
Narzissen, Tazetten und Hyazinthen,
leuchtende Krokos und liebliche Veilchen.
Erst rief die Meise an milden Tagen,
Dann lullte die Lerche in laueren Lüften,
Dann tönte so fröhlich des Finken Fanfare,
Und dann in wiegenden Wipfeln des Waldes
Da schlug die Amsel im Abendroth.
Sie riefen es alle: "Er kommt, er kommt!"
Und siehe, er kam, der sonnige Sieger,
Zu Häupten die Wolke von schweifenden Schwalben.
Er kam, umklungen von Nachtigallchören,
Von Faltern umflattert, von Bienen umflogen,
Und Rosen trug er in seiner Rechten
Und liebliche Lilien in seiner Linken
Maiblumen umblühten sein goldenes Haar.
Nun pflanzen wir auf die Fahnen des Sieges,
Die lustigen Büsche der leuchtenden Birke.
Es flattern und wehen die fliegenden Wimpel
Von hohen Gerüsten, Thürmen und Thoren.
Es kündet ihr Duften in dumpfen Kellern
Des frischen Frühlings fröhlichen Gruss.
Sie winken und wehen von Karren und Wagen.
Ja selbst der magere mürrische Miethsgaul
Erhält zur Zierde ein grünes Zweiglein
Als frohes Zeichen der fröhlichen Zeit.
Nun strömt es hervor aus Strassen und Thoren
Wo Wiesen sich weiten, wo winket der Wald,
Die blühenden Mädchen, die Menschenblumen
Leuchten im Grün mit lichten Gewändern.
Doch heller noch glänzen und rosiger glühen
Die lächelnden Augen, der liebliche Mund.
Ja selbst der vertrocknete trübe Philister
Fühlet ein wenig von wirklicher Wonne!
Ihm fährt's in die Beine, er hüpft wie ein Böcklein
Und trällert ein Liedchen und trabt in die "Boombluth".
Doch andere wandern auf anderen Wegen,
Wo zwischen Bäumen und Blüthengebüschen
Mit röthlichen Mauern der Dom emporragt
Und im Sonnenglanz, umschweift von Schwalben.,
Hoch zum Himmel mit riesigem Finger
Hinaufzeigt, mächtig mahnend die Menschen.
Feierlich tönen die frommen Choräle
Und der Orgel wundergewaltiges Dröhnen
Hinaus in die heitre wonnige Welt.
Doch rings in der Runde in Blüthengebüschen
Da jubeln und jauchzen die Nachtigallen.
Sie singen das Lied von Liebe und Leben
Und alles mischt sich zu mächtigem Chore,
Das Frühlingsjauchzen, die frommen Gesänge.
Sie steigen vereinigt zur Höhe, zum Himmel,
Zum gütigen Gotte, der alles gegeben.
Zu ihm, den herrlichen Herrscher der Welt!


Weiterhin fröhliche Pfingsten!

Herzlichst
Dietlinde

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


sieghard antwortete am 20.05.02 (09:04):

Kehr ein bei mir

Du bist die Ruh,
Der Friede mild,
Die Sehnsucht du
Und was sie stillt.

Ich weihe dir
Voll Lust und Schmerz
Zur Wohnung hier
Mein Aug und Herz.

Kehr ein bei mir,
Und schließe du
Still hinter dir
Die Pforten zu.

Treib andern Schmerz
Aus dieser Brust!
Voll sei dies Herz
Von deiner Lust.

Dies Augenzelt
Von deinem Glanz
Allein erhellt,
O füll es ganz!

[Friedrich Rückert 1788-1866]
.


de la antwortete am 20.05.02 (10:15):

Ein von Robert Schumann vertonter Text:


[Friedrich Rückert 1788-1866]

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn', 0 du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab.
Du bist die Ruh', du bist der Frieden,
Du bist der Himmel mir beschieden.
Daß du mich liebst, macht mich mir wert,
Dein Blick hat mich vor mir verklärt,
Du hebst mich liebend über mich,
Mein guter Geist, mein bessres Ich!


Rosmarie Vancura antwortete am 20.05.02 (23:41):

Ich und Du
__________

Wir träumten voneinander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im anderen ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei tropfen, rein und rund
Zerfließen in eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.

Friedrich Hebbel
1813 - 1863


sieghard antwortete am 21.05.02 (22:01):

Die Uhr

Ich trage, wo ich gehe,
stets eine Uhr bei mir.
Wieviel es geschlagen habe
genau seh ich an ihr.
Es ist ein großer Meister,
der künstlich ihr Werk gefügt;
wenngleich ihr Gang nicht immer
dem törichten Wunsche genügt.

Ich wollte sie wäre rascher
gegangen an manchem Tag;
ich wollte sie hätte manchmal
verzögert den raschen Schlag.
In meinen Leiden und Freuden,
im Sturm und in der Ruh:
Was immer geschah im Leben,
sie pochte den Takt dazu.

Sie schlug am Sarge des Vaters
sie schlug an des Freundes Bahr,
sie schlug am Morgen der Liebe,
sie schlug am Traualtar.
Sie schlug an der Wiege des Kindes,
sie schlägt wills Gott noch oft
Wenn bessere Tage kommen
wie meine Seel es hofft.

Und ward sie auch manchmal träger
und drohte zu stoppen ihr Lauf
so zog der Meister immer
großmütig sie wieder auf.
Doch stände sie einmal stille,
so wärs um sie geschehn.
Kein anderer als der sie fügte
bringt die Zerstörte zum Gehn.

Dann müsste zum Meister ich wandern,
der wohnt am Ende wohl weit,
wohl draußen jenseits der Erde,
wohl dort in der Ewigkeit.
Dann geb ich sie ihm zurücke
mit dankbar kindlichem Flehn:
Sieh Herr, ich hab nichts verdorben,
sie blieb von selber stehn!

[Carl Loewe 1796-1869]

.


:-) antwortete am 22.05.02 (09:17):

Ich entzünde die Kerze an beiden Enden
Die ganze Nacht brennt sie wohl nicht
Aber, ach, meine Freunde, ach, meine Feinde
Sie gibt so ein herrliches Licht!

Edna St.Vincent Millay


Heidi antwortete am 22.05.02 (09:53):

Wie leicht
wird Erde sein
nur eine Wolke Abendliebe
wenn als Musik erlöst
der Stein in Landsflucht zieht
und Felsen die
als Alp gehockt
auf Menschenbrust
Schwermutgewichte
aus den Adern sprengen.

Wie leicht
wird Erde sein
nur eine Wolke Abendliebe
wenn schwarzgeheizte Rache
vom Todesengel magnetisch
angezogen
an seinem Schneerock
kalt und still verendet.

Wie leicht
wird Erde sein
nur eine Wolke Abendliebe
wenn Sternenhaftes schwand
mit einem Rosenkuss
aus Nichts -

Nelly Sachs


Dietlinde antwortete am 22.05.02 (22:37):



SCHWERTLILIEN

Das sind die Blumen, die wie Kirchen sind.
Ein Blick in sie hinein zwingt uns zu schweigen.
Wie Weihrauch fromm berauschend strömt ihr Duft,
Wenn wir uns zu der schönen Blüte neigen.

Sie sind wie Schmetterlinge dünn und zart.
Und wissen ihr Geheimnis doch zu hüten.
Es hellen goldne Kerzen sanft den Pfad
Ins Allerheiligste der Wunderblüten.

Francisca Stoecklin (1894-1931)

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


Heidi antwortete am 22.05.02 (22:51):

Siebenhundert Intellektuelle beten einen Öltank an

Ohne Einladung
Sind wir gekommen
Siebenhundert (und viele sind noch unterwegs)
Überall her,
Wo kein Wind mehr weht,
Von den Mühlen, die langsam mahlen,
Und den Öfen, von denen es heißt,
Daß kein Hund mehr vorkommt.

Und haben dich gesehen
Plötzlich in der Nacht,
Öltank.

Gestern warst du noch nicht da,
Aber heute bist nur du mehr.

Eilet herbei, alle
Die ihr abgesägt den Ast, auf dem ihr sitzet,
Werktätige!
Gott ist wiedergekommen
In Gestalt eines Öltanks.

Du Häßlicher,
Du bist der Schönste,
Tue uns Gewalt an,
Du Sachlicher!

Lösche aus unser Ich!
Mach uns kollektiv!
Denn nicht wie wir wollen
Sondern wie du willst.
Und bist du nicht gemacht aus Elfenbein
Und Ebenholz, sondern aus
Eisen.
Herrlich, Herrlich, Herrlich!
Du Unscheinbarer!

Du bist kein Unsichtbarer,
Nicht Unendlich bist du!
Sondern sieben Meter hoch.
In dir ist kein Geheimnis
Sondern Öl.
Und du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich
Sondern nach Berechnung.

Was ist für dich Gras?
Du sitzest darauf.
Wo ehedem Gras war
Da sitzest jetzt du, Öltank,
Und vor dir ist ein Gefühl
Nichts.

Darum erhöre uns
Und erlöse uns von dem Übel des Geistes
Im Namen der Elektrifizierung
Der Ratio und der Statistik!

Berthold Brecht


Rosmarie Vancura antwortete am 22.05.02 (23:20):

Hier einmal ein Gedicht, was sich ganz gezielt an die Männer
richtet. Ich finde es sehr gut und Ihr?

Laß dich gehn
_____________

Wenn es dir mal dreckig geht
und dich keiner mehr versteht
dann laß dich gehn
wenns Wasser in den Augen steht
wein dich aus, so gut es geht
und laß dich gehn:
sei ein Mann
lehn dich an - bei mir!

Wenn der Kummer dich erdrückt
und deine Seele spielt verrückt
dann laß dich gehn
sei nicht tapfer oder stolz
sag dir lieber: Mensch, was soll's
und lass dich gehn:
sei ein Mann
lehn dich an - bei mir!

Sei kein Held kein Supermann
sei ein guter Egoist
sei mal stark, mal schwach mal weder noch
sei ganz einfach wie du bist -
hör auf zu mimen
reiß dich am Riemen
und laß dich endlich gehn!


Rosmarie Vancura antwortete am 22.05.02 (23:28):

Sorry: Das obige Gedicht ist von Jörn Pfennig, Jahrgang 1944, Jugend in Tübingen, seit 1964 in München. Studium der Theaterwissenschaft. Texte und Kompositionen,öffentliche S
Auftritte und Schallplattenproduktionen.

Autor und Moderator bei verschiedenen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seit 1970 mehrere Buchveröffentlichungen, Lyrik und Prosa. Lebt als freier Schriftsteller und Jazzmusiker in München und Burghausen.

Das Gedicht ist aus dem Gedichtband GRUNDLOS ZÄRTLICH,
TB Heyne Verlag München


Rosmarie Vancura antwortete am 22.05.02 (23:36):

Eine Rose blüht, weil sie blüht...
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Nicht immer wissen wollen
weshalb etwas so ist
wie es ist.

Ahnen und nicht wissen
dass die Rose blüht
weil meine Augen sehen dass sie blüht.

Gibt es Gott?
Obwohl ich nicht weiss
dass es ihn gibt?

Ich ahne nur
dass Gott in mir
Mensch sein will.

Menschen werden nicht reich
durch sich selbst
sondern durch andere.

Einen anderen ohne wenn und aber
zutiefst lieben bedeutet
ich finde den Weg zur Liebe in mir selbst.

Eine Rose blüht, weil sie blüht...


Adolf antwortete am 23.05.02 (02:53):

Mann mit zugeknöpften Taschen,
Dir tut niemand was zu lieb;
Hand wird nur von Hand gewaschen;
Wenn Du nehmen willst, so gib!
Goethe

Einen schönen Tag wünscht allen, Adolf


Rosmarie Vancura antwortete am 24.05.02 (15:25):

Gebrannte Kinde
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Es gibt Kinder
die ein gebrannter Finger
davon abhält
je wieder
mit dem Feuer zu spielen.

und
es gibt Kinder
die merken
daß eine gebrannte Hand
schnell wieder heilt

und

es gibt Kinder
die wissen
daß man
mit einem gebrannten Arm
mehr spürt

und

es gibt Kinder,
die haben begriffen
daß ein gebranntes Herz
immer warm bleibt.

Jörn Pfennig


de la antwortete am 24.05.02 (17:56):

EBBE

[Hermann Wischnat]

Mein Traum:
ich
ein Fels in der Brandung
neulich
war ich bereits im Watt
mit aufgekrempeltem Hosenbein

Mein Traum:
ich
Avantgardist hinaus in ufer
lose Weiten neulich
war ich bereits im Watt
mit hochgekrempeltem Hosenbein

Mein Traum:
ich
Nachfolger
neulich
war ich bereits im Watt
mit hochgekrempeltem Hosenbein

aber die Flut immer
die Flut


Erich Kästner antwortete am 24.05.02 (22:46):

Ich war einmal ein Kind. Genau wie ihr.
Ich war ein Mann. Und jetzt bin ich ein Greis.
Die Zeit verging. Ich bin noch immer hier
und möchte gern vergessen, was ich weiß.
Ich war ein Kind. Ein Mann. Nun bin ich mürbe.
Wer lange lebt, hat eines Tag's genug.
Ich hätte nichts dagegen, wenn ich stürbe.
Ich bin so müde. And're nennen's klug.


Ach, ich sah manches Stück im Welttheater.
Ich war einmal ein Kind, wie ihr es seid.
Ich war einmal ein Mann. Ein Freund. Ein Vater.
Und meistens war es schade um die Zeit...
Ich könnte euch verschiedenes erzählen,
was nicht in euren Lesebüchern steht.
Geschichten, welche im Geschichtsbuch fehlen,
sind immer die, um die sich alles dreht.
Wir hatten Krieg. Wir sahen, wie er war.
Wir litten Not und sah'n, wie sie entstand.
Die großen Lügen wurden offenbar.
Ich hab' ein paar der Lügner gut gekannt.

Ja, ich sah manches Stück im Welttheater.
Ums Eintrittsgeld tut's mir noch heute leid.
Ich war ein Kind. Ein Mann. Ein Freund. Ein Vater.
Und meistens war es schade um die Zeit...

Wir hofften. Doch die Hoffnung war vermessen.
Und die Vernunft blieb wie ein Stern entfernt.
Die nach uns kamen, hatten schnell vergessen.
Die nach uns kamen, hatten nichts gelernt.
Sie hatten Krieg. Sie sahen, wie er war.
Sie litten Not und sah'n, wie sie entstand.
Die großen Lügen wurden offenbar.
Die großen Lügen werden nie erkannt.

Und nun kommt ihr. Ich kann euch nichts vererben:
Macht, was ihr wollt. Doch merkt euch dieses Wort:
Vernunft muß sich ein jeder selbst erwerben,
und nur die Dummheit pflanzt sich gratis fort.
Die Welt besteht aus Neid. Und Streit. Und Leid.
Und meistens ist es schade um die Zeit.


admin antwortete am 25.05.02 (11:05):

Zeit für ein neues Kapitel für "Gedichte".

Dieses wird gleich archiviert und ist dann unter

/seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a298.html

zu finden.Die Mailingliste wird, wie immer, auf das neue Kapitel übertragen.

(Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a298.html)