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Franz, der ja Maschinensetzer war und im Schichtbetrieb arbeitete, verabschiedete sich zusammen mit Frau und Schwester schon bald. Er hatte Frühdienst. Reiner saß nun da, unter lauter fremden Leuten.
Er wollte gerade mit seinem Bierglas, es war noch immer das erste, und in sein Schicksal ergeben, sich wieder dem Vorstandstisch zugesellen, da entdeckte er in der Nische neben der Eingangstür ein Elternpaar mit ihren Töchtern. Es mussten die Zwillinge vom Volkstanz heute Nachmittag sein. Eines der beiden Mädchen hatte er ja beim Morgenspaziergang mit ihrem Hund gesehen. Er konnte sich die Anwesenheit der Familie nur so erklären, dass die Eltern die Gelegenheit nutzen wollten, auch einmal wieder auszugehen. Unter den Augen der Eltern einen Maitanz zu besuchen und etwas in die Erwachsenenwelt zu schnuppern kann für vierzehnjährige Mädchen nicht falsch sein.
Reiner überlegte, ob es richtig sei, mit einem so jungen Mädchen, das fast noch ein Kind war, zu tanzen. Während seiner Überlegungen hatte er festgestellt, dass die Mädchen, jedenfalls seit er die Familie entdeckt hatte, zu keinem Tanz aufgefordert worden waren. Auch glaubte er gesehen zu haben, dass die beiden Mädchen die Tanzpaare sehnsüchtig beobachteten, als wären sie traurig, nicht aufgefordert zu werden.
Nachdem er sich sicher war kein Kinderverführer zu sein, und die Eltern offensichtlich nichts gegen einen Tanz mit einer ihrer Töchter einzuwenden hatten, sonst wären sie ja gar nicht erst gekommen, wollte er es wagen, eine der Zwillinge für einen Tanz zu holen. Wenn er es recht betrachtete, waren die beiden sogar sehr hübsche Mädchen. Wenn sie nur etwas älter wären!
Reiner ging zu Michael, dem Bandleader, und bat ihn, er möge einen langsamen Walzer oder sonst was Langsames spielen. Er hoffte, wenn sie vielleicht noch nicht richtig tanzen könne, wäre ein English Walz oder ein Slowfox geeigneter, unauffällig eine kleine Tanzstundenlektion anzubringen. Michael ver sprach ihm, die nächste Runde nur langsame Stücke zu spielen.
Ein Problem stellte sich Reiner aber noch: Wie stellte er es an, ohne weder das Mädchen noch die Eltern zu brüskieren, um den Tanz zu bitten?
Sollte er erst die Eltern fragen, ob er mit ihrer Tochter tanzen dürfe, oder das Mädchen gleich auffordern. Sollte er die Mutter fragen ...?
Zu weiteren Überlegungen kam er nicht. Michael und seine Mannen begannen mit ,,Der weiße Mond von Maradonga ...". Reiner schlich verlegen zu dem Tisch, und während sein Blick unsicher von der Tochter zur Mutter und zurück wanderte, murmelte er unzusammenhängend:
,,Darf sie ...? Darf ich ...?" Das Mädchen löste das Problem auf ihre Weise. Sie stand auf und ging zur Tanzfläche. Reiner stotterte ihr noch ein ,,... bitten?" hinterher und dann hatte er sie auch schon im Arm.
Reinerwarver blüff tunderleichtert,dasssichdasProblemsoleichtgelösthatte.Schonnachdener stenTaktenwur deseine Verblüff ung immergrößer. S ietanzte wie eine Elfe - abersie blieb stumm.
Er war neugierig, zu erfahren, wer sie war und wo sie wohnte. Reiner glaubte sie oder ihre Schwester heute früh mit dem Hund gesehen zu haben. Es ärgerte ihn, dass er so wenige Menschen in der Siedlung kannte, und irgend etwas musste er ja sagen, auch wenn sie noch ein Schulmädchen war. Nur stumm zu tanzen war nicht seine Sache.
,,Darfst du denn schon zum Tanzen? Wie alt bist du denn eigentlich?" fragte er möglichst unverfänglich. Ein Schulmädchen wird man doch wohl noch nach ihrem Alter fragen dürfen! ,,Ich habe dich hier in der Siedlung noch nie gesehen." Sie antwortete nicht gleich, sondern schwebte in seinem Arm über die Tanzfläche, wie wenn sie schon oft miteinander getanzt hätten.