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Reiner hatte ihn schon erwartet - den Kassier. Eilends kam ,,Papa" in die Klause gestürzt mit einem Gesicht, als hätte er einen zu sauren Hering verschluckt. Reiner konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen:
,,Sie brauchen erst gar nicht zu fragen! Sie spielen auf eigene Rechnung, nur aus Spaß an der Freud!" Mit dem Kassier war Reiner per ,,Sie". Er konnte sich nur schwer dazu durchringen, zu Leuten, die wesentlich älter als er waren, ,,Du" zu sagen - das war beim Sport oder im Betrieb genauso. Andererseits war es ihm durchaus angenehm, von diesen mit dem vertraulichen ,,Du" angesprochen zu werden Die Atmosphäre war auf diese Weise genauso locker, als würden sich beide ,,duzen", fand er.
,,Papa" sah Reiner zweifelnd an:
,,So so, nur aus Spaß an der Freud?" ,,Doch, tatsächlich", bestätigte Reiner nochmals.
,,Komm, mecker' jetzt nicht, schau zu dass du deine Kasse öffnest", mischte sich Jean, der Wirt ein.
Reiner und die Bedienung hievten den Tisch mit der Vereinskasse neben die Tür, und ,,Papa" quetschte sich umständlich auf den Stuhl dahinter. Reiner wartete gar nicht, bis ,,Papa" die Geldkassette geöffnet hatte, sondern legte ihm unaufgefordert seine 1.50 DM Eintrittsgeld auf den Tisch. ,,Papa" beachtete die Münzen zunächst überhaupt nicht. Er entnahm der Kasse das kleine Blöckchen mit den abreißbaren Eintrittskarten, und während er mit Pokermiene Reiner ins Gesicht blickte, entnahm er seiner Geldbörse ebenfalls 1.50 DM, riss sich ein Billet ab und steckte es betont selbstverständlich in seine Jackentasche. Dann kam erst Reiner an die Reihe.
,,So hart sind die Sitten bei uns", sagte der Kassier und sprach dabei die vor seinem Tisch wartenden Besucher an, die diese kleine Szene schmunzelnd und erstaunt beobachtet hatten.
Die Klause füllte sich schnell, und ,,Papas" Gesicht wurde mit jeder verkauften Eintrittskarte immer freundlicher - aber nur für jene bemerkbar die ihn gut kannten. Jeder Fremde musste nach wie vor den Eindruck haben, der Kassier müsse soeben einen Regenwurm verschluckt haben.
Reiners Vater, der Vorstand, und Jean, der Wirt, strahlten um die Wette.
Reiner hatte sich bei seinen Eltern niedergelassen, am Vorstandstisch. Mutter war sogar beim Friseur gewesen und in einer guten Laune, die bei Reiner Erstaunen auslöste. Er suchte heimlich nach einem Tisch mit jüngeren Gästen. Es waren aber alles nur Paare, und selbst die Freunde der Musiker kamen mit Frauen oder Bräuten. Reiner kannte die meisten der Besucher nicht.
Franz hatte Recht behalten, auch aus den anderen Siedlungen der Nachbarschaft waren Gäste gekommen. In einer Ecke, nahe der Kapelle, saßen die Leiterinnen des Volkstanzkreises. Die eine mit ihrem Verlobten, und die andere, die er als ,,Lyzeumsleiterin" apostrophiert hatte.
Auch wenn er sie jetzt näher sah, konnte Reiner feststellen, dass sie ,,sein Typ" nicht war. So landete er bei Franz und seiner Paula.
Reiner tanzte seinen Anstandstanz mit Paula und mit den Schwestern des Kollegen und das war es dann auch. Weil er zwar insgeheim hoffte, eine nette Bekanntschaft machen zu können, in Wirklichkeit aber selber nicht daran glaubte, war er nicht allzu traurig, dass seine Befürchtung eintraf. Er genoss die Musik und freute sich über die gute Stimmung und den gelungenen Abend.
Die sechs Musiker gaben ihr Bestes und entwickelten in kurzer Zeit ein Gespür für die Stimmung im Publikum. Auch moderne Stücke erhielten von älteren Besuchern ihren Beifall. Reiner hatte den Verdacht, dass das mit dem jugendlichen Trompeter zu tun hatte, der mit seinem Lausbubengesicht und blonden Locken den Typ ,,Schwiegermutters Liebling" verkörperte.