Reiner stellte die nicht sehr geistreiche und mehr rhetorische Frage:
,,Sind wir jetzt unsere Räder los?"
Er hatte das eigentlich nur gesagt, um in der verbissenen Stille überhaupt etwas zu sagen. Old Joe starrte Reiner nur entgeistert an. Mit dem
Mundwerk hielt er normalerweise nicht hinter dem Berg, aber auf diese dämliche Frage fiel ihm im Moment keine passende Antwort ein. Im
fahlen Licht der Gaslaterne sah Reiner wie Joe ihn mit Blicken fast erdolchte, den Mund öffnete, es sich dann doch wieder anders überlegte
und sich doch lieber in beredtes Schweigen hüllte. Reiner wusste genau, was Joe soeben hinunterschluckte und er rechnete es ihm hoch an,
dass er nicht sagte, was er dachte.
Sie lehnten ratlos und niedergeschlagen am Brückengeländer und stierten in das Tal zu ihren Füßen, das sie in der Finsternis gar nicht sehen
konnten. Jeder überlegte, ob und wie er die Schuld - soweit sie überhaupt eine Schuld traf - dem jeweils anderen aufbürden könnten.
Jedenfalls müssten sie zur Polizei und Anzeige erstatten, wenn sie auch wussten, dass dies wahrscheinlich ihre Fahrräder auch nicht
zurückbringen würde. Es war immer noch stille und friedliche Nacht, nur das Froschkonzert ging ungerührt weiter.
Hier zu stehen und wortlos in die Dunkelheit zu starren brachte sie auch nicht weiter, das wussten beide ohne viele Worte. Es blieb keine
andere Möglichkeit als zu Fuß, mit einem kleinen Umweg über die Polizeiwache, nach Hause zu gehen. Nach wenigen Metern stoppten
plötzlich beide wie auf Kommando ihre Schritte und wandten ihre Aufmerksamkeit wieder zurück zum Steg. Von dort näherten sich Stimmen.
Es war die Richtung, in der die beiden Ganoven mit ihren Fahrrädern verschwunden waren. In den kleinen Lichtkreis der Laterne über den
Büschen traten drei Figuren. Jede schob brav ein Fahrrad neben sich her.
Reiner glaubte zu träumen, als er an der vorsintflutlichen Form des Lenkers sein Fahrrad erkannt hatte. Dies war nun doch eine bodenlose
Frechheit und in ihm begann es zu kochen. Die Banditen hatten offenbar nicht damit gerechnet, die beiden Beraubten noch hier vorzufinden.
Reiner überlegte blitzartig ob es eine Chance gebe, zusammen mit Joe die drei zu zwingen ihre Fahrräder wieder herauszurücken. Als Reiner
erkannte, dass einer der drei Gauner ein Mädchen war, wusste er, dass sie nun versuchen müssten, ihre Räder wieder zurückzuerobern.
Das Verhalten der Spitzbuben wurde immer rätselhafter. Sie gingen direkt auf Reiner und Joe zu. Beide erkannten nun tatsächlich ihre
Fahrräder wieder, die von beiden Gaunern mit einer Hand am Lenker geschoben wurden. Sie hatten das Mädchen zwischen sich in die Mitte
genommen und hielten sie mit der freien Hand an den Oberarmen fest.
Reiner und Joe rührten sich nicht vom Fleck und erwarteten das Trio mit gespannter Aufmerksamkeit. Als die drei bei den Buben ankamen,
schoben die Männer den Jungen ihre Fahrräder zu und einer sagte im Nürnberger Dialekt mit amtlicher Färbung in der Stimme:
,,Da hobt ihr eire Fohrräda widda! Mir hom schnell dera do nach g'möißt", dabei zeigte er mit einer Körperbewegung auf das Mädchen, ,,die
hodd nämlich desto klaut!" und wies nun mit dem Kopf auf das Fahrrad in der Hand des Mädchens.
Old Joe und Reiner fielen aus allen Wolken und konnten nicht so recht begreifen, was sich da abspielte. Erst als sich nun die Buben und die
Männer auf Armlänge gegenüber standen, war die dunkle Kleidung der beiden vermeintlichen Ganoven als eine Art Uniform zu erkennen.
Die Jungen sahen, dass es zwei Hilfspolizisten waren, die sich auf diese unübliche Weise Unterstützung einer Amtshandlung geholt hatten. Die
,,Hilfs-Polizei" wurde damals häufig gegen die Kleinkriminalität und bei der Überwachung des spärlichen Verkehrs eingesetzt. Sie hatten eine