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Heute würde ihn nichts und niemand mehr ärgern können. Auch Joes unaufhörliche spitze Bemerkungen konnten ihn jetzt nicht mehr aus seinem seelischen Gleichgewicht bringen. An seine unbequeme Haltung mit den ausgespreizten Knien und demzufolge senkrechten Rücken hatte er sich fast schon gewöhnt.
Old Joe lotste ihn in hinterhältiger Weise in diese Straße, in der Susi, Joes heimliche Flamme wohnte. Nun dämmerte Reiner auch, warum Joe vorhin bei Tage absolut nicht ausfahren wollte. Joe wusste aber auch, dass das wohlbehütete Mädchen um diese Stunde nicht mehr auf der Straße anzutreffen war. An der Haustüre zu läuten, wagte er aber auch nicht.
Sie berieten sich kurz über den weiteren Verlauf des Abends. Old Joe war gegen frühzeitiges Umkehren und schlug vor, nach Erlenstegen in die Gaststätte ,,Kalb's-Garten" zu fahren und dort noch einen ,,Drink" zu nehmen - Mineralwasser mit nix! Reiner war sofort einverstanden, denn eine so kurze Jungfernfahrt mit seinem ,,neuen" Fahrrad hatte auch er nicht geplant gehabt.
Der ,,Kalb's-Garten" lag am andern Ufer der Pegnitz. Von Ebensee aus führte ein Fußgängersteg über das Tal nach Erlenstegen. Es war verboten, mit dem Fahrrad über den Steg zu fahren.
Am Steg angekommen lag das Tal still und friedlich vor ihnen. Aus dem Gebüsch am Anfang und Ende der kleinen Brücke ragte jeweils eine Gaslaterne und beleuchtete ein paar Zweige und Blätter mit diffusem Licht während die ganze Umgebung um so finsterer und schwärzer wirkte. Es war eine Atmosphäre wie in einem Kriminalfilm. Auch in der Mitte des Steges beleuchtete eine kleine Laterne einen runden Ausschnitt der Holzkonstruktion. Es war unbewegliche Stille, kein Windhauch bewegte die Zweige der Büsche, weit und breit kein Mensch zu sehen und zu hören. Nur vom Fluss her und vom Langsee, einem kleinen Badesee, quakten die Frösche.
Sie überlegten noch, ob sie nun fahren oder vorsichtshalber ihre Räder doch schieben sollten, als mit forschem Tempo ein Radfahrer an ihnen vorbei und über den Steg brauste. Aus den Augenwinkeln erkannten beide in dem vorbeihuschenden Schatten gerade noch, dass es ein Mädchen sein musste.
Ohne Licht und ohne Zögern war sie an den beiden verduzten Jungen vorbei geradewegs auf den Steg zu gesaust und von der Dunkelheit sofort wieder ver schlungen worden. Was die kann, können wir auch, dachten Reiner und Joe und fühlten sich in ihrer Mannesehre etwas angekratzt.
Ohne sich groß abzusprechen sprangen sie auf ihre Fahrräder und wollten hinterher.
Doch plötzlich raschelte und knackte es in den Büschen neben ihnen und wie aus dem Boden gewachsen glitten zwei dunkel gekleidete Gestalten heraus und sprangen blitzschnell auf die beiden Buben zu. Sie hatten noch keine Pedalumdrehung gemacht, da packte jeder der Ganoven den Lenker eines der Fahrräder und einer zischte keuchend aber in unmissverständlichem Tonfall:
,,Fahrräder her!" Die beiden Jungen hatten noch gar nicht begriffen, wie ihnen geschehen war, als die Räuber schon mitsamt ihren Fahrrädern in der Dunkelheit verschwunden waren. In der Mitte des Steges tauchte in dem Lichtkegel der Laterne nochmals kurz das Mädchen auf und wurde sofort wieder von der Nacht aufgesogen. Reiner und Joe hörten noch das schnell verschwindende Surren ihrer Räder und starrten wie hypnotisiert den schmalen Steg entlang in die Finsternis.
Das Ganze ging so schnell und überraschend, dass sie nicht die geringste Chance zur Gegenwehr hatten. Langsam dämmerte ihnen, dass sie soeben überfallen und ihrer Fahrräder beraubt worden waren.