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So drängten sich auf den Stühlen, Hockern und Koffern die Schwestern des katholischen Kindergartens, eine Anzahl anderer Familien, meist Mütter mit Kindern, Soldaten, SHD-Leute mit Stahlhelmen auf dem Kopf und andere ganz gewöhnliche Volksgenossen mit und ohne Parteiabzeichen am Kragen. Und Reiner sah und hörte sie alle beten, als die Bombeneinschläge näher kamen. Als der Kalkputz rundum von den Wänden zu regnen begann krochen alle immer mehr in sich zusammen. Der Boden des Kellers bebte bei jedem naheliegenden Einschlag.
Die Kindergartenschwestern hatten begonnen, den Rosenkranz zu beten und Reiner hörte wie nach und nach fast alle, auch Männer mit Parteiabzeichen oder Stahlhelm in das Gebet mit einstimmten, als es plötzlich eine gewaltige Detonation gab. Man hörte Glas splittern und berstendes Holz und der Boden des Kellers begann sich zu heben und zu senken wie auf einem Schiff bei stürmischer See. Die Kinder verschwanden fast in den Armen ihrer Mütter und in den weiten Falten der Gewänder der Kindergartenschwestern.
Nach dieser letzten Erschütterung wurde es zunächst totenstill. Es war als würden die Menschen Zeit brauchen um festzustellen, dass ihnen nichts geschehen war. Anschließend war nur das Weinen der Kinder und die Stimmen der Betenden die einzigen hörbaren Regungen in diesem Raum.
Ein Mann vom SHD kam in den Schutzraum und erklärte, dass außer Fensterscheiben nichts zu Bruch gegangen sei. Es müsse die Explosion einer Luftmine gewesen sein, aber wo sie hingefallen sei wisse er noch nicht.
Reiner saß wie angegossen auf einem Hocker neben seiner Mutter, die seine kleine Schwester fest im Arm hielt. Er beobachtete seinen Vater, der, wie ein Tiger im Käfig, unruhig im Keller auf und ab ging und mal mit diesem, mal mit jenem ein paar Worte sprach. Es gelang Reiner nicht, Vater zum Setzen zu bewegen. Die Unruhe seines Vaters machte ihn noch nervöser. Reiner hatte die unerklärliche Angst, durch Bewegungen das drohende Unheil regelrecht herauszufordern und auf sich zu ziehen. Er hätte sich am liebsten in ein Mäuseloch verkrochen.
Dieses Inferno dauerte Stunden. Wenn einmal in der Nähe etwas Ruhe eintrat, war das Heulen und Donnern der Detonationen aus den anderen Stadtvierteln zu hören. Man konnte nicht genau feststellen, wo es nun donnerte, und Reiner hatte das Gefühl, gar nicht froh sein zu dürfen, dass ihm hier nichts geschehen war. Er wusste doch nicht ob es nicht gerade in diesem Moment bei seiner Oma und Opa oder bei den anderen Großeltern in Johannis einschlug.
Nach kurzer Atempause war wieder das Brummen der kreisenden Bomber zu hören. Der Wände des Luftschutzraumes zitterten und bebten bei jedem Einschlag. Plötzlich eine gewaltige Detonation. Der Boden des Kellers hob sich, um in Sekundenschnelle wieder zurückzufallen. Eine der Fluchttüren, die nicht ganz verriegelt war, flog, wie von einer geballten Kraft angestoßen, sich kreischend in ihren Angeln drehend, mit voller Wucht an die Wand. Dahinter stürzte knisternd und polternd die gesamte Decke herab und schleuderte durch die Türöffnung eine dicke Wolke aus Staub und Sand, die sich wie stickige Nebelschwaden durch den ganzen Schutzraum zog. Es roch nach altem Kalk, Steinen und Farben. Hustend klopften sich die verängstigten Menschen den Staub aus Kleidern und Haaren.
Ein anderer Mann vom SHD betrat durch die Staubwolke den Schutzraum und versuchte vor allem die schreienden kleineren Kinder zu beruhigen. Glaubwürdig, kraft seines Amtes, versicherte er, dass die kleineren Detonationen von unserer ,,8,8" seien und die größeren von der ,,10,5". Jeder wusste damals, dass damit das Kaliber der Flakgeschütze gemeint war. Was er wusste, aber nicht sagte, war, dass die Flakstellung hinter dem Bahndamm schon in den ersten zehn Minuten des Angriffs getroffen wurde und seither von dort kein Schuss mehr abgefeuert