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ausbleiben und das Wissen um das Grauen, die Zerstörung und den Tod, deren Vorboten diese Sirenen waren, diese ängstliche Spannung und das hilflose Erwarten unausweichlicher Gefahren besetzte jede Wahrnehmung und ließ das Bewusstsein erstarren. Es war unmöglich an Anderes zu denken. Da löste die Luftlagemeldung im Radio diese Lähmung: ,,Starke feindliche Bomberverbände befinden sich im Anflug auf des Stadtgebiet von Nürnberg!" Schon mitten im Satz nahmen alle die bereit gestellten Koffer und Taschen und hasteten, ohne auf den Alarm zu warten, keine Sekunde zu früh aus dem Haus und rannten Richtung des Luftschutzkellers in den befestigten Umkleiderräumen des Vereinshauses. Schlagartig begann ein unheimliches Schauspiel, wie es furchterregender und gruseliger dem Gehirn eines Horrorautors nicht entspringen hätte können.
Die schwarze Sommernacht war erfüllt von dem alles durchdringenden unheilschwangeren Geheul unzähliger Sirenen. Der gespenstige, nervenzerfetzende Ton schien allgegenwärtig zu sein. Er stöhnte aus allen Ecken und Winkeln und das auf- und abschwellende Heulen fand in Nah und Fern ein hohles schier endloses Echo. Für Reiner war es wie der entsetzliche schmerzerfüllte Urschrei eines verwundeten dämonischen, riesigen Tieres, das, unsichtbar im der nächtlichen Finsternis versteckt, die ganze Stadt unentrinnbar mit überdimensionalen Krakenarmen in seiner Gewalt hatte und sie mit geheimnisvollen Gewalten zu vernichten drohte.
Aus Hunderten, glitzernden, blinkenden und blendend aufblitzenden Augen funkelte es böse auf ihn und die vielen anderen Menschen herab, die alle rennend und keuchend versuchten, sich in Kellern zu verkriechen, ehe der unsichtbare Dämon erbarmungslos zuschlug.
Wie die bleichen Finger eines hilfreichen Geistes suchten die Scheinwerfer in den Lücken zwischen den Leuchtmarkierungen nach den Flugzeugen, die diese ,,Christbäume" abgeworfen hatten. Hilflos bellten die Schüsse der Flak in den glitzernden Nachthimmel, der aussah, als würde sein schwarzer Samtmantel ununterbrochen von roten, silbernen und goldenen Messern aufgeschlitzt.
Mit Heulen und Pfeifen kamen die ersten Tropfen des Bombenregens vom Himmel und zerplatzten krachend in gleißend weißen Blitzen und ohrenbetäubenden Detonationen auf der Erde. Den Ort der Einschläge registrierte niemand von den in ihrer ausweglosen Angst atemlos dahinhetzenden Menschen. Der kurze Weg vom Haus zum Luftschutzkeller schien sich albtraumhaft unendlich in die Länge zu ziehen.
Für das makabre Feuerwerk hatte niemand eine Sekunde bewusste Aufmerksamkeit übrig, aber die überwältigenden Eindrücke gruben sich im Unterbewusstsein so fest, dass noch nach Jahrzehnten durch äußere Anlässe alle Ängste und Empfindungen wieder geweckt werden konnten.
Den Keller in dem Vereinshaus, das in den Hang des Pegnitzufers oberhalb des Sportplatzes gebaut war, hatte der SHD vorschriftsmäßig ausgestaltet. Eine Notaufnahmestation, in der erste Hilfe geleistet werden konnte, war eingerichtet worden. Im Nebenraum befanden sich Lösch- und Räumgeräte und eine Nachrichtenzentrale. Es gab Fluchtwege in das Haus oder durch die Umkleideräume, die mit schweren eisernen Türen luftdicht verschließbar waren. Die Schutzräume lagen zur Hangseite hin und hatten alle separate Ausgänge Richtung Sportplatz und Pegnitztal. Ein Verschüttet werden war nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen. Dies versicherten die SHD-Leute immer wieder.
Nur ein Volltreffer direkt auf die Ausgänge könnte gefährlich werden.
Heute war auch Vater dabei, was Reiner etwas beruhigte, obwohl er natürlich wusste, dass Vater dem Schicksal der anderen Kellerinsassen genauso ausgeliefert war, wie er selbst. Vater hätte es allerdings vorgezogen, sich in ein Loch im Freien zu verkriechen, wie die meisten Soldaten, die sich in einem engen Luftschutzkeller nicht sicher fühlten.