glaubte er wenigstens, höchst interessanten Berichten über den
schlechten Zustand des Bahnkörpers. Er schien froh, Zuhörer
gefunden zu haben, denn seine Frau konnte sein Geschwätz anschei-
nend nicht mehr ertragen. Außerhalb seines Dienstes begab er sich
gern mit einer Patsche auf Fliegenjagd. Das schien die einzige Frei-
zeitbeschäftigung dieses verschrobenen Menschen zu sein.
Ich befreundete mich schnell mit einem Nachbarn des Fliegenjä-
gers, Ernst R. Ernst war Schrankenwärter bei der Reichsbahn. Er
hatte im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren, was die Fröhlichkeit die-
ses Mannes aber keineswegs zu beeinträchtigen schien. Ich saß oft
bei ihm in seinem Wärterhäuschen, wenn er die Eisenbahnschranken
bediente. Manchmal ließ er mich unter seiner Aufsicht die Kurbeln
drehen. Seine Frau Dora, eine stämmig-dralle Person vom Lande,
brachte mir mit viel Geduld bei, wie man eine Ziege melkt und wie man
aus deren Milch Butter zubereitet. Ich durfte sogar einmal die Ziege
Amanda einem Bock zum Decken zuführen - an kurzem Strick quer
durch die Stadt. Ich soll tagelang fürchterlich nach Ziegenbock gestun-
ken haben.
Ernsts Sohn Erwin war etwa so alt wie ich. Er besuchte dieselbe
Klasse der Mittelschule, in die ich wenige Tage nach meiner Ankunft in
Kellinghusen eingewiesen wurde. Erwin erklärte mir alle Stärken und
Schwächen unserer Lehrer, so daß ich mich aufs beste vorbereitet
wähnte. Warum mir in meiner ersten Unterrichtsstunde ausgerechnet
einfiel, trotz Erwins Warnung den gestrengen Geschichtslehrer mit
Grimassen zu provozieren, weiß ich nicht. ,,So etwas sind wir hier nicht
gewohnt", sagte er ganz nebenbei mit lächelnder Miene und schlug
mir links und rechts eine Ohrfeige. So zeigte er mir meine Grenzen auf
und weckte meine Hochachtung. Später wurde ich einer seiner besten
Schüler.
In der Nähe unserer Unterkunft lag ,,Schnoors Park", ein weit aus-
gedehntes Gelände mit einigen Tennisplätzen. Wenn die Damen und
Herren der Geschäftswelt ihre Tennispartien spielten, verdienten Erwin
und ich uns als Balljungen an manchen Tagen mehrere Mark - für
damalige Verhältnis viel Geld. In der Freibadeanstalt betätigten wir uns
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