Zur Autorenübersicht | Neuere Autoren | Impressum | Inhaltsverzeichnis "Ein deutscher Junge"

Kleiderschrank stecken, ohne allerdings zu zünden. Wie durch ein

Wunder waren wir noch einmal verschont geblieben. Es hieß, die

Engländer kämen jetzt jede Nacht, um uns kleinzukriegen. Kurz ent-

schlossen verfügte mein Vater, seine Familie sei wegen des Ernstes

der Lage zu evakuieren.

Meine Mutter und ich bezogen für einige Wochen eine Notunter-

kunft im Hause eines Bekannten in Flintbek. In manchen Nächten zo-

gen die Bomberströme in Richtung Kiel über uns hinweg, aber hier wa-

ren wir ziemlich sicher vor den Verwüstungen. Wir konnten häufig den

Feuerschein über der Stadt beobachten, wenn die Engländer wieder

einmal ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legten. Ich war froh,

nicht in die Schule gehen zu müssen. Statt dessen nutzte ich die Ge-

legenheit, die nähere und weitere Umgebung Flintbeks mit dem Fahr-

rad zu erkunden. Schnell hatte ich mich mit dem einige Jahre älteren

Dienstmädchen Karin angefreundet, das im Hause unserer Bekannten

sein ,,Pflichtjahr" ableistete. In meiner Harmlosigkeit bemerkte ich al-

lerdings nicht gleich, daß Karins auffälliges Interesse für mich in eine

ganz bestimmte Richtung lief. Um Komplikationen zu vermeiden - ehr-

lich gesagt, mehr aus lauter Angst - vermied ich tunlichst jede körper-

liche Nähe. Nachdem die Luftangriffe auf Kiel offenbar weniger wur-

den, kehrten wir in unsere Wohnungzurück.

Doch die Ruhe war trügerisch. Bald setzten die Luftangriffe ver-

stärkt wieder ein. Eine von Vaters Mitarbeiterinnen auf dem Marinear-

senal stammte aus Kellinghusen. Zu ihren Eltern wurden meine Mutter

und ich jetzt umquartiert. Nun saßen wir also in Kellinghusen, einem

trostlosen Kaff, wie mir schien, getrennt von allen Freunden und Be-

kannten und ahnten nicht, daß dieser Zwangsaufenthalt viele Monate

dauern sollte. Aber wenigstens vor den Bomben schienen wir nun si-

cher. Wir bekamen ein kleines Zimmer zugewiesen und konnten uns

notdürftig einrichten. Das Haus lag direkt an der Bahnlinie

Wrist-ltzehoe.

Es zeigte sich bald, daß unser Vermieter ein eigenbrötlerischer

Kauz war. Als Streckenläufer der Reichsbahn mußte er täglich viele

Kilometer Geleise abtippeln. Jeden Abend erfreute er uns mit, so


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