Zur Autorenübersicht | Neuere Autoren | Impressum | Inhaltsverzeichnis "Ein deutscher Junge"

Jahr 1936 zum ,,Jahr des deutschen Jungvolks" erklärt: Alle Jungen

und Mädchen des Jahrgangs 1926 sollten für die HJ geworben wer-

den. Monatelang lief die ,,Erfassung" auf Hochtouren. Die Lehrer in

den Schulen mußten als Werber die Trommeln rühren; auf Elternver-

sammlungen machte man Stimmung, und wenn alles nichts fruchtete,

bat man die Eltern zum ,,Einzelgespräch". Ende 1936 verabschiedeten

die Nazis das ,,Gesetz über die Hitlerjugend" . Darin hieß es: ,,Die ge-

samte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hit-

lerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozia-

lismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen."

War bisher noch ein Schein von Freiwilligkeit aufrecht erhalten wor-

den, so bedeutete die ,,Jugenddienstverordnung" von 1939, mit der

alle Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr verpflichtet wur-

den, in der HJ Dienst zu tun, den nackten Zwang. Eltern, die ihre Kin-

der davor bewahren wollten, konnten mit einer hohen Geld- oder sogar

Haftstrafe belegt werden.


Unsere sogenannte Probezeit dauerte mehrere Monate. Zweimal in
der Woche, mittwochs und sonnabends, wurden wir zum ,,Dienst"

befohlen, der sich in Theorie und Praxis gliederte. Es galt, Hitlers Le-

benslauf zu erlernen (,,Unser Führer Adolf Hitler wurde geboren am 20.

April 1889 in Braunau am Inn...." ), die ,,Schwertworte des Hitlerjun-

gen" herzusagen und die beiden Nationalhymnen zu singen (es gab

tatsächlich zwei: das ,,Deutschland-Lied" und das ,,Horst-Wessel-

Lied"). Der praktische Teil, Ordnungsdienst genannt, war eine Art vor-

militärischer Ausbildung, das heißt: wir wurden zunächst einmal richtig

gedrillt.

In der Jungvolk-Führerschaft hatten sich einige echte Sadisten zu-

sammengefunden, die große Freude daran fanden, die ihnen anver-

trauten kleinen Pimpfe so richtig fertigzumachen. Es schien mir endlos

lange zu dauern, bis auch der letzte Junge kapiert hatte, wie man vor-

schriftsmäßig zu stehen, zu gehen und zu grüßen hatte. Bei Wind und

Wetter übten wir auf dem mit Pfützen und Schlamm übersäten Sand-


39


Anzeige



nach oben