Mit zehn Jahren wurden Jungen und Mädchen, ob sie es nun
wollten oder nicht, ,,freiwillig" in die Hitlerjugend (HJ) aufgenom-
men. Jungen kamen als Pimpfe in das Deutsche Jungvolk (DJ), Mäd-
chen als Jungmädel (nicht etwa ,,Jungmädchen") in den Jungmädel-
bund, einer Unterabteilung des ,,Bundes deutscher Mädel" (BDM) für
die 14-17jährigen Mädchen. Und sogar für die 18-21jährigen gab es
noch eine Organisation, das ,,BDM-Werk Glaube und Schönheit". Das
bedeutete für die Mädchen eine ,,Dienstzeit" von elf Jahren, für die
Jungen acht.
Der Tag der Aufnahme war jeweils der 19. April, ein Tag vor Hitlers
Geburtstag. Kurz vor diesem denkwürdigen Datum erwischte mich -
zusammen mit drei anderen Spielkameraden - ein Polizist beim heim-
lichen Rauchen auf dem ,,Gaui". Der Schreck fuhr mir tief in die Kno-
chen. Es war weniger die Drohung, unseren Eltern und der Schule von
dieser Untat mitzuteilen. Viel größere Sorgen bereitete uns seine An-
kündigung, die Hitlerjugend zu informieren. Zu unserem Glück verlief
aber alles im Sande.
Dann kam endlich der Tag, den die meisten Jungen herbeigesehnt
hatten. Unter Trommelwirbeln, Fanfarenstößen und Fahnenschwen-
ken wurden wir in die HJ aufgenommen. Wir mußten den Eid ablegen:
,,Ich verspreche, in der Hitlerjugend allezeit meine Pflicht zu tun in Lie-
be und Treue zum Führer und zu unserer Fahne. So wahr mir Gott
helfe!" Ein höherer HJ-Führer hielt abschließend eine markige Anspra-
che, die in der Behauptung gipfelte, nun ,,gehörten wir für immer und
ewig dem Führer". Endlich durften wir die Pimpfen-Uniform tragen
(sofern man sich finanziell eine leisten konnte): Im Sommer Braun-
hemd, Lederknoten und kurze schwarze Hose; im Winterhalbjahr wur-
de die kurze Hose gegen eine lange ,,Ski-Hose" ausgetauscht, über
das Braunhemd zog man eine dicke schwarze Bluse. Stiefel mit einer
genau vorgeschriebener Anzahl darunter genagelter Metallstifte ge-
hörten auch dazu. Es fehlte allerdings noch das Fahrtenmesser mit
der kernigen Gravur ,,Blut und Ehre".
Was ich damals natürlich nicht wußte und erst viel später erfuhr: Im
Jahr zuvor hatte der ,,Reichsjugendführer" Baldur von Schirach, das
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