Zur Autorenübersicht | Neuere Autoren | Impressum | Inhaltsverzeichnis "Ein deutscher Junge"

ten sie höhnisch ,,das Plätteisen" - war die Enttäuschung riesig. Denn

dieses Schiff war, so schien es uns wenigstens, das langsamste der

gesamten Flotte. Es gab damals in Kiel drei Dampferlinien: die

,,schwarze", die ,,weiße" und die ,,blaue". Die Kinder vom Westufer fuh-

ren mit den schwarzen Schiffen, wir dagegen mit den weißen. Ich

hatte den Eindruck, die schwarzen Dampfer waren größer und

schneller als unsere, was mich ständig ärgerte. Wenn das Schiffsper-

sonal gut aufgelegt war, durften wir in den Maschinenraum hinabstei-

gen und zuschauen, wie riesige Berge von Kohlen nachgelegt, wie die

Kolben der Dampfmaschine ständig mit frischem Öl versorgt wurden.

Der Lärm war ohrenbetäubend, kaum zu ertragen, aber ich war be-

geistert von diesem Höllenspektakel und beschloß, dereinst Maschi-

nist zu werden. Die ,,Blauen" verkehrten zwischen dem Bahnhof und

der Schwentinemündung und kamen für uns nicht in Betracht.

Von der Anlegerbrücke Falkenstein waren es nur einige hundert

Meter Fußmarsch bis zu unserer Burg, die jeden Tag zunächst einmal

neu aufgebaut werden mußte. War diese Arbeit erledigt, sprangen wir

ins Wasser, tollten umher, bespritzten uns gegenseitig oder tauchten

uns unter. In unserer Burg brieten wir in der Sonne oder dösten ein-

fach nur so vor uns hin. Manchmal lasen uns die Größeren Geschich-

ten von Indianern, Trappern oder anderen Helden vor. Gegen Mittag

verspeisten wir die mitgebrachten Essenvorräte. Hinterher achteten

die Älteren streng darauf, daß keine Reste und Abfälle liegenblieben.

Den Missetätern, die sich nicht an diese Vorschriften hielten, drohte

man an, sie nicht mehr mitzunehmen.

Verschweigen will ich nicht, daß ich hier am Falkensteiner Strand

zum ersten Mal in meinem jungen Leben zum Diebe wurde - ich sollte

lieber sagen, ,,zum Diebstahl gezwungen wurde". Eines Tages, als wir

uns gerade für die Rückfahrt rüsteten, mußte ich fassungslos feststel-

len, daß ein Bösewicht meine Sandalen gestohlen hatte. Was sollte

ich bloß tun? Auf gar keinen Fall wollte ich barfuß loslaufen. Also

schlich ich mich unter entsetzlicher Höllenangst von Strandburg zu

Strandburg und spähte nach Sandalen, die ungefähr meiner Schuh-

größe entsprachen. Ich fand leider nur ein Paar - und das war viel zu


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