Wohl mehr unbewußt spürte ich auch, daß von dieser Frau ein höchst
erotischer Reiz ausging. Gern wäre ich damals ein paar Jahre älter
gewesen. Wer weiß, was wir dann zusammen angestellt hätten....
Mein Vater diente sich derweil als Angestellter auf dem Kiel-
Wellingdorfer Marinearsenal von Stufe zu Stufe hoch. Dort hatte er
1908 als Schlosserlehrling seine Berufslaufbahn begonnen. Wenige
Jahre später begann der Erste Weltkrieg, den er, zuletzt als Mari-
ne-Oberfeldwebel, vom ersten bis zum letzten Tag durchstehen muß-
te. Überwiegend war er im Osten eingesetzt. Im letzten Kriegsjahr erlitt
er bei einem Gefecht auf der Ostseeinsel Oesel durch einen Bajonett-
stoß schwere Rückenverletzungen, die ihm bis zu seinem frühen
Tode erheblich zu schaffen machten. Durch Begabung und Fleiß
schaffte er es, nach einigen Jahren in die Verwaltung versetzt zu wer-
den. Damit war für ihn die schwere Arbeit in der Werkstatt vorüber. Es
gelang ihm allerdings später nicht, in die Beamtenlaufbahn übernom-
men zu werden. Dafür galt er bei den Nazis als politisch nicht zuver-
lässig genug. Am Ende seiner beruflichen Tätigkeit hatte er es zum
verantwortlichen Leiter der gesamten U-Boot-Ausrüstung des Marine-
arsenals gebracht. Damit kam unsere Familie endlich in den Genuß
eines bescheidenen materiellen Wohlstandes.
Meines Vaters große Leidenschaft war dasSchachspiel. Regelmä-
ßig an den Wochenenden traf er sich mit zwei Freunden zu soge-
nannten Schachnachmittagen. Mit seinem nervösen Freund Erich
Kammer spielte Vater gern und oft, wobei ich als stiller Zuschauer ge-
duldet wurde. ,,Onkel Erich" wohnte mit seiner Frau Lucie in der Saar-
brückenstraße, dem Südfriedhof gegenüber. Je länger die Schachpar-
tien dauerten, desto aufgeregter wurde Erich; sein Gesicht ruckte und
zuckte, bis es nur noch eine abstoßende Grimasse war. Für mich war
das jedesmal ein spannendes Schauspiel. Meine Mutter ging nicht
gern mit zu den Kammers. Frau Kammer war eine dicklich-dümmliche
Person von unglaublicher Arroganz. Auffällig geschminkt, mit Schmuck
behangen und mit gestelzter, gekünstelten Ausdrucksweise wollte sie
so gern die große Dame spielen. Sie bemühte sich zwar redlich, uns
zu beeindrucken, erzielte aber höchstens Heiterkeitserfolge.
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