ganzen Tag, und erst am späten Nachmittag leisteten sie sich zur Be-
lohnung ein Plauderstündchen. Dann schickte mich meine Mutter los,
um ein paar Stücke Kuchen (Sahnestücke kosteten damals 8 Pfennig!)
und ein Achtelpfund ,,echten" Bohnenkaffee zu holen. Für gewöhnlich
mußten sich meine Eltern diesen Luxus versagen. Auch Fleischspei-
sen standen höchstens einmal die Woche oder bei besonderen Anläs-
sen auf dem Küchentisch.
Einmal in jeder Woche aber gönnte sich meine Mutter eine Ab-
wechslung: ihren ,,Turnvormittag". Zu diesem Freizeitvergnügen nahm
sie mich schon mit, als ich noch recht klein war. Ich mußte im Umklei-
deraum der Turnerinnen bis zum Beginn der Übungsstunde warten,
damit ich stets unter Aufsicht blieb. Einerseits irritierte mich der Anblick
der halbnackten Frauen, andererseits empfand ich vor dem Körperge-
ruch der durchgeschwitzten Frauen einen ausgesprochenen Ekel.
Während der warmen Jahreszeit fuhren die Turnerinnen mit der Stra-
ßenbahnlinie 8 zum gemeinsamen Schwimmen an die Schwentine, ins
Agnetabad. Ich wurde regelmäßig mitgenommen und machte erste
Bekanntschaft mit dem großen Wasser.
Im übrigen hatte das Turnen in unserer Familie Tradition. Für uns
kam nur der TSV Gaarden in Frage. Auch mein Vater war seit langem
Mitglied in diesem Verein. Er war nicht nur aktiver Turner, sondern
leitete auch lange Jahre den Trommel- und Pfeifenzug als ,,Tambour-
major". Ich muß wohl sechs Jahre alt gewesen sein, als meine Familie
beschloß, daß es nun auch für mich an der Zeit sei, dem Turnverein
beizutreten. Zunächst einmal wurde ich eingekleidet. Blaue Hose und
weißes Hemd waren unverzichtbar. Ich erinnere mich, daß es im TSV
recht stramm herging, beinahe schon militärisch. Strafen für Fehlver-
halten waren drakonisch: Einmal versohlte mir der Turnlehrer mit ei-
nem herabhängenden Tau den Hosenboden, weil ich ohne seine Er-
laubnis am Reck gehangen hatte. Trotzdem war jede der wöchentli-
chen Turnstunden voll von schönen Erlebnissen. Der zweite Sportver-
ein Gaardens hieß ,,Borussia". Soweit ich weiß, wurden hier mehr Ball-
spiele betrieben. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft
wurden die Sportvereine ,,gleichgeschaltet", wie alle anderen kulturel-
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