Zur Autorenübersicht | Neuere Autoren | Impressum | Inhaltsverzeichnis "Ein deutscher Junge"

Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes jedoch wendete sich

die Familie W. abermals. Fritz diente sich 1945 der englischen Besat-

zungsmacht als Gärtner an, Margarete putzte das Haus eines engli-

schen Offiziers, Julia verdingte sich als Küchenhilfe bei der Militärre-

gierung, heiratete bald darauf einen schottischen Korporal und ging

zum Erstaunen aller der deutschen Sprache schnell verlustig (,,Ui heißt

das doch noch auf Doitsch?"). Und Werner verkündete lauthals jedem,

der es hören wollte und sollte, niemals Nazi gewesen zu sein. Ja, es

gab auch damals schon politische Wendehälse.


Von den politischen Wirren der frühen dreißiger Jahre war nur we-
nig zu spüren. Gelegentlich marschierten Kolonnen der größeren

Parteiorganisationen mit ihren Fahnen durch die Straßen und brüllten

ihre Parolen, ohne daß sich irgend jemand groß darüber aufregte. Die

Gruppierungen konnte ich kaum voneinander unterscheiden, besten-

falls durch die Art ihres Grußes: Kommunisten waren diejenigen mit

den geballten Fäusten, Nazis jene mit den flach ausgestreckten Ar-

men. So hatte mir das mein Vater erklärt. Eine Vorliebe hatte ich für

die Schalmeikapellen der ,,Roten"; ihre Melodien konnte ich schon als

Kleinkind mitsummen. Was waren dagegen schon die grauenhaft

falsch intonierenden Fanfarenzüge der Nazis oder die gräßliche Blas-

musik der Reichsbanner-Leute!

Aufregend wurde es immer dann, wenn die wilden Haufen bei ihren

Abschlußkundgebungen auf dem Vinetaplatz zunächst mit Worten und

anschließend mit Fäusten aneinandergerieten und sich gegenseitig

fürchterlich verprügelten. Zum Glück dauerte es jedesmal nur wenige

Minuten, bis das Überfallkommando der Polizei mit seinen Mann-

schaftswagen zur Stelle war. Auf den Befehl ,,Knüppel frei!" stürzten

sich die Polizisten in das Kampfgewühl und prügelten in beeindru-

ckend kurzer Zeit den Platz leer. Der Rest der Kampfhähne zerstob in

alle Winde.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten blieben

Kommunisten und Reichsbanner schnell auf der Strecke. Dafür hieß


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