Zur Autorenübersicht | Neuere Autoren | Impressum | Inhaltsverzeichnis "Ein deutscher Junge"

das Einlagern der Brennstoffe im Keller. Ich wurde immer dazu ,,ab-

kommandiert", die vom Kohlenhändler einfach ins Kellerfenster ge-

schütteten Briketts zu stapeln - eine Schweinearbeit! Zentralheizung

hatten nur die ,,besseren Leute" in ihren Villen, zum Beispiel im Karlstal.

Die Küche diente nicht nur der Speisenzubereitung, sondern mußte

auch für die morgendliche Körperpflege herhalten. Als Kleinkind wurde

ich in einer Zinkwanne gebadet. Zum ,,richtigen" Baden aber gingen wir

einmal die Woche, meistens am Sonnabend, ins Volksbad in der Wikin-

gerstraße. Dieses Vergnügen kostete 15 Pfennig; Handtuch und Seife

wurde noch mitgeliefert. Von unserer Küche kam man auf einen Balkon

zum Hinterhof hinaus. Er wurde mein Lieblingsplatz. Von hier aus

konnte ich, schon im Alter von acht Jahren, ohne Mühe die auf dem rie-

sigen Birnbaum sitzenden Spatzen und Singvögel mit einem Luftgewehr

abschießen (was natürlich streng untersagt war). Noch heute schäme

ich mich für diesen Frevel.

Ich habe es nie als bedrückend empfunden, daß unsere Wohnung

eng und schlicht war. Zumindest hatte ich als Einzelkind ein eigenes

Bett und eine eigene Arbeitsecke an Vaters Schreibtisch. Obwohl in be-

scheidenen Verhältnissen aufgewachsen, kann ich dennoch auf eine

glückliche Kindheit zurückblicken.


Für die Zubereitung der täglichen Mahlzeiten mußte natürlich einge-
kauft werden, aber der Einkauf von Waren aller Art unterschied sich

beträchtlich von dem, was wir heute gewöhnt sind. Supermärkte waren

völlig unbekannt. Schräg gegenüber von unserem Haus, an der Ecke

Medusa-/Kaiserstraße, betrieben die Eheleute F. ein ,,Kolonialwarenge-

schäft", einen richtigen ,,Tante-Emma-Laden", wie man solche Einrich-

tungen heute gern etwas spöttisch nennt. Hier konnte man alles erwer-

ben, was man für den täglichen Bedarf benötigte. Die Besitzer bedien-

ten ihre Kunden zuvorkommend und höflich und ließen sich auch meis-

tens Zeit für ein kleines Schwätzchen. Der Umsatz muß enorm gewesen

sein, weil der Laden immer voll von Hausfrauen war. Viele von ihnen

zahlten nicht bar, sondern brachten ein Büchlein mit, in welches die


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