Zur Autorenübersicht | Neuere Autoren | Impressum | Inhaltsverzeichnis "Ein deutscher Junge"

Unsere kleine Familie lebte in der Medusastraße 5, im Zentrum

Gaardens, in der Nähe des Vinetaplatzes. Hauseigentümer war ein

mürrischer, geiziger Greis namens Thode. Unsere Nachbarin auf der 2.

Etage hieß Gaulke, eine alte Frau, die mit ihrem Untermieter in ,,wilder"

Ehe lebte. Das störte uns keineswegs, wohl aber die Tatsache, daß wir

die gleiche Toilette benutzten mußten wie die beiden. Wer sitzt schon

gern auf einer im wahrsten Sinne des Wortes besch... Klobrille! Direkt

über uns hauste das zänkische Ehepaar D. mit Tochter Henny, die ich

schwärmerisch verehrte. Sie war zwei oder drei Jahre älter als ich und

hat mich, sehr zu meinem Leidwesen, kaum beachtet. In der 1. Etage

lebte das nette junge Ehepaar Walter und Mia D. Beide waren berufs-

tätig; Walter, von Beruf Eisenbahner, schlug sich als Tanzmusiker die

Nächte um die Ohren, um seinen kläglichen Lohn aufzubessern. Mia

verdiente als Angestellte auf dem Marinearsenal ein paar Mark hinzu.

Ich glaube, mein Vater hatte ihr diese Möglichkeit verschafft. Walter

und Mia waren ein verliebtes Paar. Sie stritten nicht, sie zankten sich

nicht, sie waren immer guter Dinge. Jeder wurde von ihrer guten Laune

angesteckt. Walter hat den Krieg leider nicht überlebt. Irgendwo im

Osten ist er verschollen. Eine alleinstehende Frau besaß eine Woh-

nung im Erdgeschoß. Von ihr weiß ich nur, daß sie überzeugte Kom-

munistin war, was damals sehr viel Mut erforderte. Die übrigen Mitbe-

wohner sind aus meiner Erinnerung verschwunden.


Mein Kinderbett stand in einer Ecke des Eltern-Schlafzimmers. Ein
eigenes Kinderzimmer habe ich nie gehabt, denn unsere Woh-

nung bestand nur aus 2_ Zimmern: Wohn-, Schlaf- und Vaters Arbeits-

zimmer. Dazu kam eine kleine Küche einfachster Ausführung: Gas-

herd, Schrank, Tisch, drei Stühle, Speisekammer und der Ausguß. Der

große Kachelofen im Wohnzimmer, mit Kohle oder Koks beheizt,

brachte in den Wintermonaten eine wohlige Wärme. Aber was war das

für eine Plackerei, den Ofen in Gang zu setzen! Wenn der Wind un-

günstig stand, versagte er seinen Dienst. Im Nu war die ganze Woh-

nung von beißendem Rauch erfüllt. Beschwerlich war natürlich auch


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