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          Georg von Signau: Noch weit bis Eden


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Sie hätten ruhig mitten in einem Satz aufhören und sich verbeugen können, niemand hätte bemerkt,

dass das Stück noch gar nicht zu ende gespielt war. Aber heroisch kämpften sie weiter gegen die

Wildwasser und den Lärm der im Saal inzwischen mit dem Essen fertig gewordenen Schlemmer

und Zecher.


Endlich kam das Finale. Die schöne aber arme Braut wurde von der bösen, raffgierigen

Schwiegermutter ins Tobel gestossen, wo sie elendiglich sterben musste, wie kurz vorher schon ihr

uneheliches, vom reichen Bauernsohn gezeugtes Kind.


Der Vorhang senkte sich zum letzten Mal. Sie wurden nicht einmal heraus geklatscht und waren

sich einig, dass die Mehrheit der Gäste gar nicht realisiert hatte, dass das Stück zu ende war.

Trotzdem liessen sie den Vorhang noch zweimal sich erheben und verbeugten sich Hand in Hand,

wie sie das in unzähligen Proben geübt hatten.


Als sie sich abgeschminkt hatten und hungrig zu ihren Angetrauten und Freundinnen an die Tische

gingen, waren die Reste der Mahlzeit bereits in der Küche in die Kannen für die Schweine

verschwunden. Friedel begab mich ziemlich aufgebracht zu Baumer, seinem Chef und fragte ihn,

ob man denn nicht an sie gedacht hätte. Mit vom Weine hochrotem Kopf und etwas lallender

Zunge fragte dieser zurück: "Ja, haben Sie denn das nicht selber organisieren können? Nun müssen

Sie halt in der Küche sehen, ob noch etwas übriggeblieben ist." Dass Friedel ihm eben gesagt hatte,

die Reste seien in die Schweinetränke gewandert, hatte er scheinbar gar nicht mehr realisiert.

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