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          Georg von Signau: Noch weit bis Eden


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"Teufel auch! Du machst mir Angst. Woher weisst du das? Das geht doch nicht mit rechten Dingen

zu! Die Anja war übrigens nur einige Wochen bei uns. Sie sei ausgesetzt worden von ihren Leuten,

hiess es damals. Und plötzlich, so wie sie aufgetaucht war in unserer Schule, verschwand sie

wieder, niemand wusste wohin. Ich aber hatte meinen ersten Liebesschmerz, denn mit Anja hatte

ich es lustig. Sie war ein unkompliziertes Geschöpf, ganz anders als meine Kolleginnen, die nur

auf schöne Kleider aus waren, mit denen sie einander zu übertrumpfen versuchten. Sag mal: weisst

du eigentlich etwas darüber, oder bluffst du?"


"Schön, dass du die Anja in so guter Erinnerung hast," Elvira lächelte, dass ihre Zähne blitzten wie

ein eben auf Hochglanz polierter weisser Porzellanteller. "Aber du erzählst nur die halbe Wahrheit,

kannst ja wohl die ganze gar nicht wissen, wie die meisten von euch Sesshaften die ganze

Wahrheit über uns eben nicht wissen oder vielleicht gar nicht wissen wollen. Die Anja war nicht

ausgesetzt. Nein, das tun die Fahrenden nicht. Eher - so ist wenigstens die Meinung von euch

Sesshaften - würden wir Kinder klauen, als dass wir eigene aussetzen würden. Nein, die Anja ist

ganz einfach einer Fahrenden Familie entrissen worden, im Namen der staatlichen Ordnung und

mit dem Segen der Regierung, damit sie hätte `sesshaft und ordentlich` werden sollen. Eine

Organisation, die es übrigens immer noch gibt und die im Ruf steht, für das Wohl der Kinder im

Lande einzustehen, hat die Anja und noch ein paar hundert andere Kinder der Landstrasse der

`Unordnung` entzogen, wie es damals hiess. Sie wurden zwangsweise in Erziehungsanstalten und

Jugendgefängnisse eingekerkert. Man hat ihnen andere Namen aufgezwungen. Anja übrigens auch,

sie hiess also gar nicht Anja. Und um den Angehörigen die Suche nach ihnen noch mehr zu

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