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          Georg von Signau: Noch weit bis Eden


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eben seine Hand nach einer Flasche streckte, sah er eine andere, verstaubte Flasche im Regal

stehen. Hatte er da etwa mal eine hin gesteckt und dann vergessen, sie mitzunehmen? Er nahm sie

in die Hand und wischte die Staubschicht weg. Trotz seines brummenden Schädels konnte er die

Schrift, die sich darauf befand, lesen: "Für Friedel. Auf Wiedersehn". Wie ein Blitz kam ihm

wieder die Erinnerung an die drei Frauen im Wohnwagen am Fluss. Und eine Sehnsucht

ungeheuren Ausmasses sprengte ihm fast das Herz: Aida. Seine Zukunftsfrau. Was sie wohl in

diesem Augenblick gerade tat? Quatsch, dachte er laut. Sie konnte ja gar nichts machen, weil sie in

diesem Augenblick gar noch nicht geboren war! Oder vielleicht doch? Er selber hatte ja

schliesslich auch gleichzeitig in zwei Zeiten gleichzeitig gelebt damals? "Für Friedel. Auf

Wiedersehn". Wieder und wieder las er diese von den Zigeunerinnen hin gekritzelten Worte. Auf

Wiedersehen, mit wem denn eigentlich? Hatte Elvira, die Zauberin und Wahrsagerin vielleicht gar

nicht sich selber damit gemeint, sondern Aida?


Friedel steckte die Flasche mit dem Wundermittel in die Hosentasche, nahm eine volle Bierflasche

aus der Harasse und begab sich ins Obergeschoss, wo er beide auf den Küchentisch stellte. Dann

füllte er Dinos Teller mit Fleisch aus einer Büchse und einen Topf mit Wasser, den er neben den

Teller stellte. Der Hund stürzte sich hungrig und durstig drauf. Dann nahm Friedel ein Bierglas aus

dem Schrank und begab sich mit diesem und den beiden Flaschen in die Stube, wo er sich seufzend

niederliess. Mechanisch schenkte er sich Bier ein und trank es in einem Zug. Immer wieder wurde

sein Blick wie magisch von der anderen Flasche angezogen. Sollte er oder sollte er nicht? Er trank

den Rest des Bieres direkt aus der Flasche und entkorkte nun bedächtig die andere. Vorsichtig hob

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