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darauf zurückzuführen, dass sie als Einzelkind hatte aufwachsen müssen und ihre Mutter sich nur
wenig um sie kümmern konnte, weil der Vater seiner Alimentenpflicht nur sehr sporadisch
nachkam. So musste die junge Mutter eben ganztags arbeiten gehen. Ihre Eltern halfen zwar wo sie
nur konnten, finanziell und mit Hütedienst. Ein Autounfall, bei welchem beide ums Leben kamen,
gebot aber hier ein brutales Ende. Zwar war eine kleine Erbschaft fällig. Aber die musste Sonja,
die Mutter von Silvia, noch mit drei Geschwistern teilen. So blieb nach den Beerdigungskosten
und nach Auflösung des Haushaltes nur noch ein geringer Betrag übrig, den zu teilen sich kaum
lohnte. So brachte für vier Töchter und sieben Enkelkinder der plötzliche Verlust ihrer Eltern und
Grosseltern sehr grosse Veränderungen. Denn die Grosseltern waren nicht nur für Silvia, sondern
auch für die sechs anderen Enkel der ruhende Pol gewesen.
So war auch verständlich, dass Sonja sich nicht eitel freute, als Silvia ihr mitteilte, sie werde in
Kürze mit ihrem Freund zusammenziehen. Sonja wusste zwar aus eigener Erfahrung, dass ein
Sich-querstellen genau das Gegenteil bewirkt hätte von dem, was man eigentlich gerne gemocht
hätte; nämlich eine Verlängerung des engen Mutter-Tochter-Verhältnisses. Trotzdem versuchte sie
möglichst diplomatisch, ihrer Tochter die Nachteile des Zusammenlebens mit einem Manne
realistisch darzustellen. Aber Silvia hätte nicht die Tochter ihrer Mutter sein müssen, wenn sie
nicht genau realisiert hätte, was die eigentlichen Beweggründe der Mutter waren. So kehrte sie den
Spiess eben um. Es wäre doch auch für sie recht nützlich, sagte sie, wenn im engeren Umkreis ein
Mann für alle Fälle erreichbar war.
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