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          Georg von Signau: Noch weit bis Eden


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"Wie recht du da hast", raunzte Friedel, "das einzige Vernünftige, das du bis jetzt aus deinem

hübschen Mündchen herausgelassen hast. Hast du noch weitere solcher Weisheiten auf Lager?"


"Kannst du gerne zu wissen kriegen," antwortete sie lachend. "Aber muss das denn gerade hier auf

der Treppe stattfinden? Könntest du nicht ein bisschen galanter sein und mich hinauf bitten? Ich

werde dich schon nicht anknabbern."


Unschlüssig blieb Friedel einen Moment vor ihr stehen. Dann hatte er sich überlegt, dass es wohl

wirklich gescheiter wäre, wenn er Silvia mit hinauf nähme, als sich mit ihr hier zur Schau zu

stellen, wo jeden Moment jemand hereinschneien konnte. "Also dann komm halt in Gottesnamen,"

seufzte er und ging voraus, um die Türe zu öffnen. "Aber lange kannst du nicht bleiben. Ich muss

noch zum Musikverein," log er, ohne rot zu werden.


Dem Gesichtsausdruck nach zu schliessen, den Silvia nun zeigte, musste diese Bemerkung gegen

ihre gemachte Rechnung verstossen. Eine Minute lang schien eine Spannung im Raume zu liegen,

dass man die berühmte Stecknadel hätte herunterfallen hören. Es war aber keine Stecknadel,

sondern der Unterkiefer von Silvia, der hörbar nach unten klappte und wieder in die

Anfangsstellung zurückging. Nun hatte sie sich wieder aufgefangen und die paar Augenblicke

hatten genügt, ihre Strategie der neuen Situation anzupassen.


"Schön", sagte sie ganz gelassen, "dann kann ich ja wieder gehen. Aber eigentlich würde die Zeit,

die bleibt bis du gehen musst, reichen, um mir einen Kaffe anzubieten, oder?"

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